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Mitarbeiterin verrät: So gelingt Nachhaltigkeit im Unternehmen

Wie kann es gelingen, als Firma Umweltschutz zu fördern? Mara Hermann erzählt von Learnings aus der Praxis.

Wir sind ein mittelständisches IT-Projekthaus mit rund 450 Mitarbeitenden und mehreren Standorten in ganz Deutschland. Nachhaltigkeit war in unserem Unternehmen schon immer ein Begriff. Früher allerdings wurden darunter eher langfristige Kundenbeziehungen und langlebige Software-Lösungen verstanden. Mittlerweile ist durch Eigeninitiative der Mitarbeiterschaft ein Team entstanden, das sich um die ökologischen und sozialen Aspekte kümmert – ein Zeichen dafür, dass sich Angestellte gerade in der IT-Branche zunehmend mit ihrem Unternehmen identifizieren können möchten. Dazu gehören auch Bemühungen in Sachen Nachhaltigkeit.

Als internes strategisches Team setzen wir uns aus freiwilligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zusammen, die neben ihrer Haupttätigkeit in Teilzeit an den Nachhaltigkeitsthemen arbeiten. Zudem sind wir Teammitglieder auf verschiedene Standorte verteilt. Um uns abzustimmen und unsere Themen voranzutreiben, tauschen wir uns hauptsächlich über den Firmen-Messenger Slack aus und treffen uns zusätzlich zu regelmäßigen Orga-Terminen oder freiwilligen Coworking-Sessions per Videocall.

Nachhaltigkeits-Tipp des Monats

Da wir alle keine ausgebildeten Fachleute auf diesem Gebiet sind, legen wir Wert darauf, ausgiebig zu recherchieren und zu evaluieren, welche Maßnahmen für uns sinnvoll, wirksam und umsetzbar sein können. So sind wir zum Beispiel auf den Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) und die Änderungsvorschläge der EU-Kommission für die verpflichtende Nachhaltigkeitsberichterstattung, die sogenannte „Corporate Sustainability Reporting Directive“ (CSRD), gestoßen. Damit können wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Zum einen wollen wir Erfolge im Bereich Nachhaltigkeit ohnehin gern messbar machen, Schwachstellen offenlegen und die Ergebnisse teilen. Zum anderen können wir uns durch unsere frühe Recherche proaktiv auf die neue Richtlinie, die für Unternehmen wie uns ab 2024 verpflichtend sein wird, vorbereiten.

Ein weiterer wichtiger Aspekt unserer Arbeit ist der Austausch mit anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Dadurch stärken wir bei ihnen das Bewusstsein für unsere Arbeit und profitieren außerdem von lebendigen Diskussionen und konstruktivem Feedback. Beispielsweise veröffentlichen wir über Slack einen Nachhaltigkeits-Tipp des Monats und haben zudem ein Austauschformat über Fragen der Nachhaltigkeit in der Mittagspause gestartet. Neben unserer eigenen Recherche ist die Mitarbeiterschaft eine wichtige Quelle für neue Ideen zu nachhaltigen Maßnahmen. Außerdem nehmen wir gelegentlich sowohl methodische als auch inhaltliche Unterstützung von externen Beratungen, die sich auf das Thema Nachhaltigkeit spezialisiert haben, in Anspruch.

Einige konkrete Maßnahmen haben wir in den letzten drei Jahren im Unternehmen erfolgreich umgesetzt:

1. Arbeitsalltag: Gegen Lebensmittelverschwendung

Das Fundament unserer Nachhaltigkeitsbemühungen sind die Maßnahmen, die schnell und zentral umgesetzt werden können. Das waren vor allem Änderungen in unserem Arbeitsalltag, zum Beispiel:

• Energieversorgung: Außer an einem beziehen wir mittlerweile an allen Standorten Ökostrom und werden auch bei dem einen wechseln, sobald vertraglich möglich.
• Lebensmittel: Bei der Versorgung an den Standorten und bei Events achten wir auch verstärkt darauf, zumindest nachhaltige Alternativen anzubieten oder sogar ganz auf nachhaltigere Produkte (bio, regional, pflanzlich, …) umzusteigen. Um unnötigen Essensmüll zu vermeiden, haben wir in den Kühlschränken unserer Büros ein sogenanntes „Shared Shelf” eingeführt – ein Fach, in dem übrig gebliebene Lebensmittel der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden können.
• Plastikflaschen: An einem unserer Standorte haben wir Wasserflaschen komplett durch einen am Wasserhahn installierten Wasserspender ersetzt und prüfen aktuell die Akzeptanz und die Umsetzbarkeit für weitere Standorte.
• Projekte: Gerne unterstützen wir auch soziale oder regionale Projekte und beziehen zum Beispiel Getränke von Viva con Agua, Fritz und Charitea sowie an einigen Standorten Klopapier von Goldeimer.
• Neben der schnellen und zentralen Umsetzung konnten wir durch solche Maßnahmen eine Verankerung des Themas Nachhaltigkeit im Unternehmen schaffen, ohne direkt eine Verhaltensänderung der Mitarbeitenden zu fordern. Letzten Endes wird eine solche Änderung aber erforderlich sein, wenn ein tiefgreifender Wandel geschehen soll: Als Dienstleistungsunternehmen besteht unser Fußabdruck nicht nur aus den Faktoren, die unsere eigene Arbeitsumgebung ausmachen.

2. Mobilität: Bahn statt Flugzeug

Ein wichtiger Punkt sind deshalb auch unsere Reisen. Regelmäßig prüfen wir die Option, Nahverkehrstickets an den jeweiligen Standorten zu unterstützen und wollen gern Roller-Sharing anbieten. Generell wird (auch ohne Corona) darauf geachtet, die Reisezeit zwischen den Standorten und zum Kunden möglichst gering zu halten, ohne das Projekt zu beeinträchtigen. Außerdem wird bei Buchungen angeregt, Reisen möglichst mit dem Zug statt mit dem Flugzeug anzutreten. Da wir keine Verbots-Kultur pflegen möchten, macht sich hier unsere jahrelange Arbeit immer mehr bezahlt: Die Akzeptanz für nachhaltigere Ansätze ist in der Mitarbeiterschaft deutlich gestiegen.

3. Weitere Felder: Langlebige Software

Maßgeblich für unseren Fußabdruck ist auch die Projektarbeit, die wir bei unseren Kunden verrichten. Dabei stellen sich beispielsweise Fragen wie: Sind die Softwarelösungen effizient und langlebig konzipiert? Welchem Zweck dienen unsere Produkte? Als Team Nachhaltigkeit versuchen wir in unseren Austauschformaten und durch Abschlussarbeiten Querschnittsthemen wie z. B. nachhaltige Programmierung im Unternehmen voranzutreiben. Während wir uns mit Maßnahmen zum Arbeitsalltag, zur Mobilität und zum internen Austausch schon eingehend beschäftigt haben, stehen wir hier noch relativ am Anfang. Gerade diese projektbezogenen Querschnittsthemen aus Digitalisierung/IT und Nachhaltigkeit werden voraussichtlich in Zukunft ein zentraler Teil unserer Arbeit sein.

Mara Hermann arbeitet als Data Scientist sowie Data Engineer bei der Firma inovex am Standort Hamburg.

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Earthship: Was sich hinter diesen alienhaften Häusern verbirgt

Nein, dieses Haus ist kein Filmset. Wir erklären, was Earthships sind und wie sie uns helfen können, die Welt zu retten.

Sie klingen wie eine Erfindung aus Star Wars und sehen auf ersten Blick auch so aus: Earthships sind Passivhäuser aus recycelten Materialien. Das Konzept wurde in den 70er-Jahren von dem US-amerikanischen Architekten Michael Reynolds entwickelt, heute soll es weltweit etwa 1.000 Earthships geben. Bei aller Variation kennzeichnen einige Eigenschaften fast alle dieser Gebäude:

Passivhaus aus Erde und Glas: Tragende Wände bestehen aus gestapelten Autoreifen, die mit verdichteter Erde gefüllt sind. Das wird mit einer Glaswand auf der Sonnenseite des Hauses kombiniert. So heizen sich die Wände tagsüber auf und geben die Wärme nachts wieder ab. Das ermöglicht eine stabile Raumtemperatur.

Recycelt: Statt neuer Baumaterialien wird Material kreativ weiterverwendet, allein für die Mauern mehrere hundert alte Autoreifen. Eine Sitzbank besteht zum Beispiel aus Coladosen, und alte Glasflaschen werden zum bunten Mosaikfenster oder zur Füllung von Holzkonstruktionen für Innenwände.

Strom aus eigener Herstellung

Autark: Nicht nur die Bauweise, auch die Nutzung des Hauses soll umweltfreundlich sein. Statt aus konventionellen Strom-, Wasser- oder Heiznetzen kommt die Energie aus eigener Produktion. Trinkwasser wird nur dort verwendet, wo es wirklich gebraucht wird. Das nur wenig verschmutzte Grauwasser etwa aus der Waschmaschine wird durch Pflanzen in einem Indoor-Gewächshaus gefiltert und anschließend in Spülkasten oder Dusche geleitet. Stark verdrecktes Abwasser etwa aus der Toilette fließt in einen Abwassertank und wird in Biogas und Dünger für die Gärten verwandelt.

Eigene Lebensmittel: Drinnen wie draußen wird eigenes Obst und Gemüse angebaut.

Die ersten Earthships wurden im Wüstenklima des US-Bundesstaats New Mexico errichtet; dessen klimatische Verhältnisse sind für diese Bauweise ideal. Im kühleren Mitteleuropa herrschen andere Bedingungen, die Temperierung ist schwieriger, es besteht die Gefahr von Schimmelbildung, was mehr Dämmung nötig macht. Ein erstes genehmigtes Projekt in Deutschland hat die Gemeinschaft Tempelhof in Baden-Württemberg umgesetzt.

Text: Nicole Heymann

"Dafür stehe ich mit meinem Namen." Dieser Satz hat Claus Hipp berühmt gemacht. Zum 83. Geburtstag erzählt der Unternehmer, wie er die Landwirtschaft revolutionierte und was der Glaube für ihn bedeutet.

Claus Hipp im Interview: Das treibt den Kult-Unternehmer an

Claus Hipp war Vorreiter beim Thema Babynahrung. Im Interview erzählt der 83-jährige Unternehmer, wie er die Landwirtschaft revolutionierte und was der Glaube für ihn bedeutet.

Auf dem Weg ins Büro kommt Claus Hipp immer an der Wiege des Unternehmens vorbei: Der Reibstein, in dem sein Großvater 1899 Zwieback für den Brei seiner Zwillinge mahlte, steht im Foyer der Unternehmenszentrale. Umrahmt ist er von einem Kruzifix und großflächigen abstrakten Ölbildern, die Claus Hipp am Feierabend in seinem Forsthaus-Atelier malt. Nach rund 50 Jahren in der Unternehmensleitung hat er den Staffelstab mittlerweile an seine beiden Söhne abgegeben. Seitdem schläft er an manchen Tagen auch mal ein bisschen länger als bis 4:30 Uhr. So richtig zurücklehnen mag er sich trotzdem nicht: „Der Schreibtisch ist voll und die Arbeit geht weiter. Ich komme rein, helfe, wo ich kann, und bin wie ein Austragsbauer“, sagt er und spielt damit auf Landwirte an, die ihren Hof an die nächste Generation überschrieben haben. Hipp lebt immer noch auf dem Bauernhof seiner Familie, um dessen landwirtschaftlichen Betrieb er sich schon als Schüler gekümmert hat.

Bio seit den 1950ern

Herr Prof. Hipp, Sie werden oft als Bio-Pionier bezeichnet. Gefällt Ihnen das?
Ja. Denn dafür habe ich mich sehr engagiert, schon seit den Fünfzigerjahren. Das tue ich auch weiterhin und halte es für sehr wichtig. Die Bio-Bewegung ist nicht von einer Partei ausgegangen, sondern von der Wirtschaft.

Nehmen Sie uns doch mal hinein in das Jahr 1956, in dem Sie den organisch-biologischen Landbau für Ihr Unternehmen vorangetrieben haben.
Es geht sogar noch weiter zurück. Meine Mutter war Schweizerin und hat nach dem Krieg meinen Vater gedrängt, auch in der Schweiz Babynahrung zu verkaufen. Die Schweizer wollten aber kein deutsches Produkt und schon gar keine Babynahrung. Dass die Idee nicht funktioniert hat, hat sich unser damaliger Geschäftsführer so zu Herzen genommen, dass er krank wurde. Sein Arzt, Dr. Bircher-Benner, riet ihm dazu, seine Ernährung umzustellen und morgens mit einem Müesli anzufangen. Da sagte mein Vater: „Wenn es für Sie gut ist, ist es für andere auch gut“. Daraufhin haben wir in Deutschland das erste Müesli entwickelt, das wir dann in der Schweiz verkauft haben.

Weg von den Pestiziden

Das ist ja schon ein bisschen frech.
Durch Zufall sind wir dabei auf Dr. Hans Müller in Großhöchstetten gekommen, den Pionier des ökologischen Landbaus in der Schweiz. Er hat uns mit Getreide und Obst beliefert. Er war viel bei uns, hat mich oft bis spät in die Nacht unterrichtet und mich für biologischen Landbau begeistert. Damals habe ich als Schüler unseren Hof geleitet. Auf seinen Rat hin haben wir unsere Landwirtschaft auf bio umgestellt. Er hat uns auch davon überzeugt, Babynahrung aus Bio-Rohstoffen herzustellen, denn wir wollten in unserer Babynahrung keine Pestizid-Rückstände haben. Unser Schluss war: Wenn sie in der Rohstofferzeugung nicht angewandt werden, ist das die größte Sicherheit dafür, dass sie im Endprodukt nicht drin sind.

Hat Ihnen dieser Weg gleich eingeleuchtet?
Ja. Aber es war natürlich schwierig, weil die Umgebung nicht reif dafür war. Als erste Tätigkeit nach der Schule habe ich Bauern beraten und konnte sie davon überzeugen, biologischen Landbau zu betreiben. Ausschlaggebend war, dass die Gesundheit des ganzen Hofes zunimmt, wenn nicht mit Gift gespritzt wird. „Gesunde Pflanzen, gesundes Tier, gesunde Menschen“ – das hatte Albrecht Thaer schon 1750 gepredigt. Die Bauern wollten natürlich wissen, wie es mit dem Ertrag aussieht. Wir haben ihnen versprochen, Ernteausfälle zu vergüten, wenn sie weniger ernten würden. Dadurch haben dann manche Landwirte damit angefangen. Später wurden es immer mehr.

Nie gezweifelt

Sie haben die Produktion schrittweise auf Bio umgestellt. Gab es auch Momente, in denen Sie dachten: Was ist, wenn es nicht funktioniert oder wenn wir doch falsch liegen?
Nein, denn ich war überzeugt davon, dass es der richtige Weg ist. Und mit der nötigen Konsequenz im Handeln hat es dann auch geklappt.

Woher haben Sie den Mut genommen, es anders zu machen? Noch als Schüler entließen Sie den Verwalter Ihres Hofs, weil er ihn nicht so biologisch führen wollte wie Ihre Familie. Ist dieser Mut angeboren?
Unternehmer müssen immer weiter schauen. Bereit sein, Dinge anders zu machen und bestrebt sein, besser zu sein als die Mitbewerber.

Das hat Sie angetrieben.
Ja. Aber ich war auch überzeugt davon, dass das der richtige Weg ist. Viele Jahre später hatten wir einen harten Wettbewerb mit Nestlé und deren Marke Alete. Mit unserer Umstellung auf Bio haben wir dem Handel gesagt: „Wir bringen etwas Neues, aber wir werden teurer.“ Der Handel hat das eingesehen, mit Ausnahme unseres Hauptkunden. Daraufhin haben wir 20 Prozent unseres Umsatzes von heute auf morgen verloren. Das war eine harte Zeit. Der übrige Handel hat unsere Haltung aber honoriert. Nach zwei Jahren hatten wir dieses Minus wieder aufgeholt.

Natur erholt sich schnell

Der Ehrensberger Hof, auf dem Sie mit Ihrer Familie leben, gilt als Musterbetrieb für Biodiversität. Welche Maßnahmen entwickeln Sie dort und wie profitieren Ihre 8.000 HiPP-Bio-Erzeuger davon?
Auf dem Ehrensberger Hof erforschen wir in Kooperation mit Wissenschaftlern und Naturschutzverbänden Methoden, die sich in der Landwirtschaft positiv auf Bodenfruchtbarkeit und die Artenvielfalt auswirken. Die Ergebnisse geben wir an unsere Bio-Bauern weiter und erhöhen damit die Anzahl besonders biodiversitätsfreundlicher Erzeuger. Gerade führen wir eine mehrjährige Studie durch, bei der wir die Insektenvielfalt auf ökologisch und konventionell bewirtschafteten Flächen untersuchen. Dabei konnten wir auf dem Ehrensberger Hof insgesamt 21 Prozent mehr Insektenarten sowie 60 Prozent mehr Schmetterlingsarten als auf der konventionellen Vergleichsfläche feststellen, darüber hinaus die doppelte Anzahl laut Roter Liste gefährdeter Arten.

Zudem konnten wir nachweisen, dass sich die Natur schnell erholt. Bereits ein Jahr nach der Umsetzung biodiversitätsfördernder Maßnahmen nimmt die Vielfalt auf den bislang konventionell betriebenen Flächen wieder zu. Mit ganz einfachen und pragmatischen Mitteln können wir das Artensterben verhindern. Wir müssen es nur wollen.

Was bedeutet es für Sie, im Einklang mit der Schöpfung zu leben?
Es heißt, ich erkenne an, dass es einen Schöpfer gibt, der über allem steht. Einen Schöpfer, dem wir auch Rechenschaft schuldig sind. Wir müssen alles unterlassen, bei dem wir seine Schöpfung schädigen oder ihr Dinge entnehmen, die unserer Generation gar nicht zustehen.

Fleisch „Die Menge macht’s“

Auf welche Dinge verzichten Sie selbst?
Beim Essen verzichte ich zum Beispiel auf einen zu hohen Fleischkonsum. Grundsätzlich soll jeder Fleisch essen dürfen, aber die Menge macht’s – und entscheidend ist auch die Qualität. Wenn wir sehen, dass die Stadt Wien täglich so viel Brot wegschmeißt wie die Stadt Linz verbraucht, dann stimmt etwas nicht. Seit vielen Jahren bin ich Schirmherr der Münchner Tafel: Dort vermitteln wir an unsere Gäste Lebensmittel, die verzehrfähig sind, aber vielleicht nicht mehr verkehrsfähig. Und da bewegen wir in der Woche Lebensmittel im Wert von über 100.000 Euro.

Wer war Ihnen ein Vorbild im Glauben?
Das waren meine Eltern. In der Familie haben wir gebetet und viel über Glaubensfragen erzählt bekommen. Wir sind in die Kirche gegangen und das war ganz normal.

Arbeit als Gebet

Sie schließen morgens in aller Frühe die Kapelle Herrnrast auf und beten dort. Gleichzeitig sagen Sie, Arbeit ist auch Gebet. Wie meinen Sie das?
Meine Arbeit kann ich als Aufgabe sehen, die mir von oben gestellt wurde. Dann ist es Gebet. Wenn ich aber in erster Linie möglichst viel Geld zusammenraffen möchte, ist es kein Gebet mehr. Ich kann schon schauen, Gewinne zu machen. Aber es kommt dann darauf an, was ich damit anfange und wie sozial ich die Mittel wieder einsetze.

Welche Rolle spielt der Glaube in Ihrem Alltag?
Glauben heißt, etwas für wahr halten, was man nicht sehen oder verstehen kann. Es ist ein Akt des Willens. Wenn ich alles diskutiere und hinterfrage und mir alles logisch erscheint, dann ist es Wissen. Dann bleibt für den Glauben nichts mehr übrig. Wenn ich mich in einem kindlichen Vertrauen fallen lasse, fühle ich mich im Glauben geborgen und aufgehoben. Damit kann ich mehr tun als jemand, der nicht glaubt: Ich kann beten und hoffen, dass es gut wird.

Ja, und trotzdem erleben wir aber auch, dass manches eben nicht so läuft, wie wir beten oder worauf wir hoffen.
Ja, sicher. Die Welt besteht aus Gutem und Bösen. Sie ist so geschaffen und damit müssen wir zurechtkommen. Auch bei Paulus [in der Bibel, Anm. d. Red.] lesen wir, wie er sich selbst als Schwachen und Sünder bezeichnet, der gegen das Böse zu kämpfen hat. Wenn es ein Apostel schon machen muss, dann steht es uns auch zu.

Talente nicht vergraben

Gibt es einen Bibelvers, zu dem Sie einen besonderen Bezug haben?
„Richtet euren Sinn auf das, was oben ist, nicht auf das Irdische!“ aus Kolosser 3,2. Das sagt eigentlich alles. Diesen Vers fand ich schon immer gut. Es hat in meinem Leben Situationen gegeben, in denen ich schwerwiegende Entscheidungen zu treffen hatte. In denen ich nach Gewissen, nach meinem Wertebewusstsein und meinen Überzeugungen entschieden habe. Und das war richtig.

Was macht Ihrer Meinung nach ein erfülltes Leben aus?
Jeder bekommt Talente und die soll man nicht vergraben. In meinem Leben habe ich mich bemüht, es gut zu machen. Aber ich hätte es auch sicher besser machen können.

Inwiefern hätte man es besser machen können?
Alles lässt sich besser machen. Es ist nicht so, dass ich in irgendeiner Weise stolz bin. Sondern ich bin mir meiner Schwächen bewusst und weiß, dass ich manchmal hätte mehr machen können. Und dass die eigene Trägheit oft davor steht.

Claus Hipp, der Tausendsassa

Es hätte ja gereicht, das Unternehmen zu leiten. Sie sind darüber hinaus Künstler und Kunstprofessor, Georgischer Honorarkonsul für Bayern, Baden-Württemberg und Thüringen, spielen im Behördenorchester Oboe. Warum diese Vielfalt?
Erstmal wird es mir schnell langweilig. Und vielleicht ist es schon ein Bedürfnis, Bestätigung auch woanders zu suchen. Aber es war richtig, die Firma zu leiten. Mein Vater war auch ein sehr musischer Mensch. Er hat wunderbare Bilder gemalt, aber er hat zu mir gesagt, als wir über Berufe diskutiert haben: „Da hast du ein Unternehmen, aus dem du noch etwas machen kannst. Ob die Welt auf dich als Künstler wartet, kannst du vorher nicht wissen.“ Und da hat er Recht gehabt.

Ihr Vater ist gestorben, als Sie 29 Jahre alt waren. Inwiefern hat Sie das geprägt und welche Rolle spielt die Perspektive auf die Ewigkeit für Sie?
Dass das Leben kurz sein kann, ist ein Gedanke, der uns immer bewegt. Ich bin dankbar dafür, dass mein Leben schon so lange währt, aber es kann schnell vorbei sein. Manchmal diskutiere ich darüber mit meiner Frau. Sie wüsste immer gern, wie alt sie wird. Und ich frage dann: Was würdest du dann anders machen? Dann hat sie irgendwelche Ideen. Ich sage, lebe jeden Tag so, als ob er der letzte ist. Und wenn sich meine Mitmenschen einmal mit Wohlwollen an mich erinnern, bin ich zufrieden.

Interview: Debora Kuder

Das Unternehmen
HiPP wird von mehr als 8.000 Bio-Landwirten beliefert und ist damit einer der weltweit größten Verarbeiter biologisch erzeugter Rohstoffe. An allen HiPP-Standorten in der EU wird klimaneutral produziert, am Stammsitz in Pfaffenhofen und in Österreich bereits seit 2011. Bis 2025 will das Unternehmen klimapositiv werden und über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg mehr Treibhausgase ausgleichen als verursachen.

Susanne in Montur, Foto: Privat

Honig-Start-up: Susanne und Markus besuchen spontan einen Imker – und krempeln danach ihr Leben um

Eigentlich wollten Susanne und Markus Müller nur Urlaub machen. Doch der Ausflug überzeugt sie, eine Imkerei aufzubauen.

Eigentlich wollten sie nur „im Vorüberfahren“ eine Salbe kaufen, damals im Österreichurlaub 2014. Doch sie landeten bei jenem Imker, der sie schließlich mit seiner Begeisterung ansteckte. Susanne und Markus Müller beschäftigten sich gerade intensiv mit ihrer Zukunft. Susanne hatte Kommunikationsdesign und Markus Maschinenbau studiert. Aber als engagierte Christen wollten sie nicht nur eigenen Plänen folgen, sondern sich an Gott und seinen Gedanken ausrichten. Kaum etwas lag ihnen ferner als Honig. Den hatten sie noch nicht mal im Haus!

Doch dann blieben sie bei jenem Imker in Österreich hängen, der nicht ahnen konnte, was er mit seiner „Bienenschwärmerei“ auslöste. Susanne und Markus hörten zu, sahen sich um, ließen sich den Betrieb zeigen. Anschließend sahen sich die beiden im Auto an und wussten: Honigbienen – das wird unser Ding!

Völlige Überforderung

Zuhause in Brackenheim, 40 Kilometer nördlich von Stuttgart, krempelten die beiden Mittzwanziger gleich die Ärmel hoch: Parallel zum Imkerkurs und dem Studium von Bienenlektüre zogen bereits zwei Völker im Garten der Müllers ein. „Wir waren völlig überfordert“, lachen die beiden, als ich sie in ihrem Wohnhaus im Zabergäu besuche. Im Keller sind auch ihre zertifizierte Bioland-Imkerei und die Abfüllstation untergebracht. So einiges machte ihnen anfangs zu schaffen und vieles mussten sie erst mühsam durch Trial and Error lernen. Varroamilbe, Drohnenschneiden, Königinnenzucht – am Beginn alles noch Fremdwörter.

„Obwohl es sehr stressig war, haben sich für uns ganz viele Türen geöffnet“, staunt Markus im Rückblick. Was zunächst als Hobbyimkerei beginnt, weitet sich mit den Jahren aus. Als die drei Kinder dazukommen, nutzt Markus die Elternzeit unter anderem zum Ausbau des Betriebs, der immer mehr Raum im Leben der beiden einnimmt. Schließlich reduziert Markus seine Arbeitszeit als Ingenieur auf 80 Prozent.

Jede Menge Gottvertrauen

Dann kommt Corona und damit Kurzarbeit für Markus, was sich überraschend als eine weitere geöffnete Tür entpuppt, die sie als himmlisches Angebot wahrnehmen, den Übergang vom Neben- zum Vollerwerb anzupacken. Ihre Bienen bringen sie je nach Blütezeit an ganz unterschiedliche Standorte, manche mehrere Stunden Fahrt entfernt. „Unser Ziel sind 160 Völker“, erklären die beiden. Für ein neues Wirtschaftsgebäude haben sie gerade die Baugenehmigung erhalten. Und dabei soll es nicht bleiben, erzählt Susanne: „Ich träume von einem Naturgarten mit Bienenlehrpfad, der Stauden, Sträucher, Obstbäume sowie Rückzugsorte für Tiere und Insekten bieten soll.“

Das erste Jahr als Berufsimker stellte sie in diesem Jahr aber auch vor Zweifel und innere Kämpfe: Das Frühjahr und der Sommer waren extrem verregnet, die Ausbeute war wesentlich geringer als erhofft. Doch sie bleiben dran und ich staune über ihren Mut, den sie aus ihrem Glauben beziehen: „Wir setzen unser ganzes Vertrauen in Gottes Zusagen“, erklärt Markus.

Jeder Honigname hat eine Bedeutung

Und davon soll auch ihr Name „Werthonig“ erzählen. Am Esstisch der Müllers darf ich das Bienengold testen. Vor mir aufgereiht stehen Gläser, versehen mit Etiketten, die Wertmarken ähneln. Jede Honigsorte trägt einen besonderen Namen. Der duftige Lindenblütenhonig zum Beispiel heißt „Friede“. Markus erntet diesen Honig am Heilbronner Neckarufer unter Linden – und wo könnte man mehr Frieden finden als abseits von Straßenlärm? Der dunkle Weißtannenhonig trägt den Namen „Geduld“, weil dieser nur alle paar Jahre geerntet werden kann. Ihr Akazienhonig heißt „Hoffnung“, eine Anspielung auf die Empfindlichkeit der Blüte. Zudem steht auf jedem Etikett ein zu den jeweiligen Namen passender Bibelvers. Müllers hoffen vor allem, dass ihr Honig verschenkt wird: „Ein Glas Hoffnung oder Geduld für einen Freund im Krankenhaus: Das spricht seine eigene Sprache“, erklärt Susanne den Kern ihrer Vision. Honig ist hier also nicht nur süßer Brotaufstrich, sondern ein greif- und schmeckbarer Beweis für Gottes Fürsorge in jeglicher Hinsicht.

Und auch ich werde versorgt. Susanne und Markus schenken mir von jeder Honigsorte ein Glas und als ich nach Hause fahre, haben auf dem Beifahrersitz Vertrauen, Geduld, Hoffnung, Fülle, Trost, Freude, Liebe, Kraft und Geborgenheit Platz genommen. Letzteres, eine Honig-Zimt-Mischung, rühre ich abends meinen Kindern in ihre heiße Milch und muss denken, wie sehr sie göttliche Geborgenheit gebrauchen können und wie schön es ist, dass es Menschen gibt, die gleich mehrere Leidenschaften so sympathisch zusammenbringen.

Veronika Smoor ist Autorin, Referentin und Hobbygärtnerin. Mehr über Werthonig: werthonig.de

Die Wohngemeinschaft der Familie Filker. Foto: Privat

Claudia öffnet ihre Wohnung radikal für Fremde – und bereut es nicht

Bei Claudia Filker wohnen jahrelang Geflüchtete in der Wohnung. Jetzt wendet sie sich mit einem Mutmach-Appell an alle, die Platz haben.

„Mama, ihr seid doch wohl verrückt!“. Klarer hätte unser Sohn Lukas sein Unverständnis nicht zum Ausdruck bringen können. Gerade hatte ich ihm am Telefon erzählt, dass wir einen jungen Afghanen als Mitbewohner in unser Haus aufgenommen haben und nun für drei Wochen in die Alpen fahren würden. „Ist das euer Ernst?! Ihr kennt ihn eigentlich gar nicht und dann überlasst ihr ihm einfach euer Haus?! Ich kann euch jetzt schon sagen, wie ihr es bei eurer Rückkehr vorfinden werdet!“ Zugegeben, unser Sohn wusste genau, wovon er sprach. Er leitete damals als Sozialarbeiter eine Wohngruppe für unbegleitete männliche Flüchtlinge. Er machte es mit viel Engagement, meistens großer Begeisterung und freute sich über die vielen Fortschritte der jungen Leute. Nur diese ungeputzten Badezimmer und die unaufgeräumten Küchen gingen ihm gehörig auf die Nerven. Und genau das prophezeite er uns – und vor allem mir mit meiner Vorliebe für eine saubere, aufgeräumte Küche, für geputzte Herde und weggeräumtes Geschirr.

Drei Menschen aus anderen Kulturen zu Gast

Szenenwechsel. Drei Wochen später. Wir betreten nach einem sehr erholsamen Urlaub mit einem etwas mulmigen Gefühl unser Haus. Unsere Wohnküche – top aufgeräumt. Der Tisch ist fein gedeckt und es riecht nach leckerem Essen. Samir, unser neuer Mitbewohner, strahlt zur Begrüßung, so wie auch alle Fenster strahlen, denn die hat er frisch geputzt. Der Rasen ist auch gemäht. Was soll ich sagen? Gut gegangen! Es hätte natürlich auch ganz anders aussehen können …

Zu gern erzähle ich diese verrückteste all unserer „Wir-lassen-Menschen-mit-uns-wohnen“-Storys. Zugegebenermaßen rate ich nicht zu ähnlicher Blauäugigkeit. Aber als sich damals der 23-jährige Samir bei uns vorstellte, hatten wir sofort ein sehr gutes Gefühl. Eigentlich sollte er nach unserer Rückkehr zu uns kommen. Aber wie praktisch: Er konnte sofort aus seiner Flüchtlingsunterkunft ausziehen und wir hatten damit einen Haus-Sitter während unserer Reise. Das war im Jahr 2017. Der Beginn einer langjährigen gemeinsamen Zeit. Ab 2020 wohnte auch noch seine Frau Rohina bei uns. Auf sie hatte er drei Jahre warten müssen, ehe die Familienzusammmenführung möglich war. Beide sind im Frühling 2021 in eine eigene kleine Wohnung gezogen. Das war einfach dran, traurig waren wir trotzdem alle. Seit 2019 wohnt zudem Wossen, ein 44-jähriger äthiopischer Flüchtling bei uns. Richtig mitgezählt? Ja, eine gewisse Zeit lang lebten drei freundliche Menschen aus anderen Kulturen mit uns gemeinsam. Und wir hatten und haben richtig viel Spaß zusammen.

Keine scheinheiligen Argumente

Das jüngste unserer Kinder zog 2013 aus unserer Doppelhaushälfte aus, da waren die anderen schon weg. Drei freie Kinderzimmer? Kein Problem: Erklären wir doch eins zum Nähzimmer. Schade nur, ich nähe nicht und auch die Modelleisenbahn können wir nicht bieten. „Ein Zimmer brauchen wir, wenn unsere Kinder oder andere Gäste sich anmelden“, hören wir es von Bekannten in ähnlichen Lebenssituationen, „und vielleicht kommen mal alle drei mit Anhang, dann braucht man doch drei Zimmer!“

Wir wollten es anders machen und keine Argumente anführen, warum wir „Fremde“ nicht aufnehmen können, obwohl unbestritten „genug Platz in der Herberge“ wäre. Seither fallen uns Mitbewohnerinnen und Mitbewohner irgendwie immer in den Schoß. Mal hängt in der Gemeinde ein Zettel an der Pinnwand, der einen Praktikanten als ersten Mitbewohner zu uns brachte, mal taucht eine Frage in der WhatsApp-Gruppe auf: „Meine Cousine sucht …“ Und dann kam dieser Notruf einer Sozialarbeiterin, die dringend für einige Tage einen Schlafplatz für einen Flüchtling suchte. Daraus wurde dann eine jetzt dreijährige gemeinsame Geschichte. Sogar eine ganz enge. Heute Morgen haben wir Wossens 44. Geburtstag gefeiert. Er vermisst seine Heimat und seinen alten Vater sehr. Wir sind jetzt seine Familie in Deutschland.

Der Bedarf nach Wohnraum ist riesig

Ich finde es schade, wenn sich Paare auf ihren 100, 120, 150 Quadratmetern ausbreiten, wenn die Kinder aus dem Haus sind. In nur zwanzig Jahren hat sich die bewohnte Fläche pro Einwohner in Deutschland von 34,9 auf 47,4 Quadratmeter erhöht. Wohnungsknappheit entsteht auch, weil wenige Personen üppig viele Quadratmeter beanspruchen. Der Bedarf an zu vermietenden Zimmern ist riesengroß.

Das Zusammenleben lässt sich auch erst einmal ausprobieren. Für einige Zeit einen (meist jungen) Menschen als Mitbewohnerin oder Mitbewohner ins Haus oder die Wohnung aufzunehmen, ist schließlich kein Bund fürs Leben. Ein guter Start kann zum Beispiel eine Person sein, die ein vierwöchiges Praktikum in der Stadt machen möchte oder für ein Gastsemester ein Zimmer sucht. In solchen begrenzen Zeiten lassen sich Erfahrungen sammeln. Gerade wohnte für zwei Monate eine Hochschullehrerin aus dem Senegal bei uns, die einen Forschungsauftrag an der Humboldt-Universität hatte. Einfach ein grandioser Mehrwert. Wir haben viel von ihrem Land gelernt, viel gelacht, gut gegessen und rund um den Esstisch gespielt.

Klare Regeln fürs Zusammenleben

Hilfreich ist dabei, klare Regeln festzulegen. Wir sind keine Studierenden-WG, in der man über unterschiedliche Toleranzschwellen von Sauberkeit diskutiert. Klarheit erlebe ich als guten Weg für Konfliktvermeidung. Wichtig ist, gut zu erklären, wo Geräte und Putzmittel zu finden sind und was für den gemeinsamen Gebrauch bestimmt ist und was auch nicht. Natürlich dürfen unsere Mitbewohner beispielsweise alle Gewürze mitbenutzen. Im Kühlschrank wird ein Platz für die persönlichen Lebensmittel freigeräumt.

Wir verstehen uns nicht als Gastgeber. Es wird nicht bewirtet und umsorgt, sondern wir entscheiden, wie viel gemeinsames Leben wir zulassen möchten. Bei uns hat sich das gemeinsame Samstag-Frühstück mit allen eingebürgert. Und in der Lockdown-Zeit, als Sprachkurse online stattfanden, haben wir gemeinsam Mittag gegessen und reihum gekocht. Sonst gibt es am Wochenende oft ein gemeinsames Essen – und jeder ist mit dem Kochen dran. Vereinbart haben wir eine monatliche Miete. In Notfällen fiel sie auch mal aus.

Studierende zahlen mit Mithilfe

Freundinnen von mir haben ihren Wohnraum zur Verfügung gestellt, um sich ihre zu groß gewordene Wohnung noch weiter leisten zu können. So kann das Sinnvolle mit dem eigenen Nutzen verbunden werden. Es gibt vom Studierendenwerk eine wunderbare Initiative, die eine sehr viel größere Verbreitung verdient: „Wohnen für Hilfe“. Hier werden Zimmer gegen Unterstützung im Haushalt vermittelt. Ursprünglich für Seniorinnen und Senioren gedacht, nutzen inzwischen auch Alleinerziehende, Familien, Menschen mit Beeinträchtigungen diesen Service. Die Aufgaben werden individuell ausgehandelt. Es gilt die grobe Faustregel: Eine Arbeitsstunde gegen einen Quadratmeter Wohnfläche. Also für ein 15-Quadratmeter großes Zimmer werden 15 Arbeitsstunden pro Monat geleistet: Einkaufen, gemeinsames Kochen, Gartenarbeit … Pflege und medizinische Tätigkeiten sind ausgenommen.

Ich finde: Es gibt gute Gründe, die Türen zu öffnen und mit Menschen, die nicht zur Familie gehören, gemeinsames Wohnen auszuprobieren. Mein Mann und ich schauen auf acht bunte Jahre zurück und sind gespannt, wer bei uns noch anklingeln wird.

Claudia Filker ist Pfarrerin im Ehrenamt bei der Berliner Stadtmission. Zusammen mit Hanna Schott hat sie die Talk-Box-Reihe entwickelt (talk-box.de).

Der aktuelle Hof der Lebensgemeinschaft. Foto: VieCo

Diese Gruppe hilft psychisch kranken Menschen – mit einem ungewöhnlichen Modell

Sie zogen aus Berlin aufs hessische Land, versprachen sich lebenslange Gemeinschaft und kümmern sich um Menschen in Not. Stefan Kleinknecht hat die Lebensgemeinschaft VieCo besucht.

Es ist Dienstag, kurz vor eins. Mittagszeit. Auf dem großen Hofgelände in der Nähe von Marburg sitzen rund 30 Menschen jeden Alters auf Bierbänken zusammen und lassen sich das Mittagessen schmecken – eine leckere Gemüsesuppe und selbst gebackenes Brot. Zwischen den Bierbänken liegt Spike, einer der Hofhunde, und beobachtet seelenruhig das Geschehen um sich herum. Es wird sich angeregt unterhalten, Kinder lachen. Es herrscht eine fröhliche und entspannte Stimmung. Dass man hier willkommen ist, spüre ich bei meinem Besuch schnell.

Den Hof kennt im Dorf Kernbach jeder. Gut, das ist nicht schwer, bei gerade einmal 200 Einwohnern. Doch der Hof der VieCo Lebensgemeinschaft ist kein gewöhnlicher Bauernhof, wie es viele andere im Dorf gibt. Neben den 13 Erwachsenen und 14 Kindern der Gemeinschaft wohnen hier noch bis zu weitere elf Personen. Sie sind Teil des sozialen Wohnprojektes Kernbach für psychisch kranke Menschen. Sie werden professionell pädagogisch betreut – zum Teil von Leuten der VieCo-Gemeinschaft, zum Teil von weiteren pädagogischen Kräften, die außerhalb wohnen. Vor allem aber sind die elf Menschen einfach Mitbewohnerinnen und Mitbewohner und gehören mit zur Hofgemeinschaft.

Visionäre lernen sich auf Hochzeit kennen

Begonnen hat alles vor über 15 Jahren auf einer Hochzeit in Marburg. Die beiden Paare Paco und Tschul sowie Andi und Mareike sind gerade neu nach Berlin gezogen – lernen sich jedoch nicht dort, sondern auf einer Hochzeit gemeinsamer Freunde in Marburg kennen. „Wir fanden uns gleich sympathisch und haben uns anschließend in Berlin mehrmals getroffen – und dann schnell kennen und lieben gelernt“, erzählt Mareike. Sie ziehen als WG in Berlin zusammen, erste Kinder werden geboren. Sie merken, dass beide Familien ein Wunsch, eine Vision verbindet: Leben, Glauben und Gemeinschaft zu teilen und dabei immer eine offene Tür für Menschen in Not zu haben. Länger suchen sie nach dem passenden Ort. Über einen alten Schulkollegen landen sie schließlich 2012 im hessischen Kernbach. Der ehemalige Schweinestall war schon vor vielen Jahren zu Wohnungen ausgebaut worden, sodass die beiden Familien im mittleren Wohnhaus eines Dreiseitenhofes einziehen können.

Anfängliche Skepsis auf dem Land

„Braucht ihr frische Kartoffeln? Wir haben noch viele übrig“, fragt ein Gast am Nebentisch und streichelt Spike. Er ist heute zu Besuch, um die Gemeinschaft und das Wohnprojekt kennenzulernen und um seine Unterstützung anzubieten. Paco erzählt uns von den ersten Jahren in der Dorfgemeinschaft: „Anfangs war es nicht so leicht. Da kommen Leute aus der Großstadt ins Dorf, mieten einen Hof, leben dort als Gemeinschaft. Dazu kommen noch Menschen in seelischer Not.“ Für Landwirte aus traditionsreichen Höfen erst einmal ungewohnt. Doch die meisten Kernbacher ließen relativ schnell ihre Bedenken hinter sich, erinnert sich Tschul: „Wir haben gleich gezeigt: Wir haben nichts zu verbergen. Wir haben ein großes Hoffest gefeiert, Aktionen mit dem Dorf veranstaltet und immer wieder Gäste und Nachbarn zu unseren HofCafés eingeladen. Wir lebten von Anfang an eine große Willkommenskultur.“ Paco lacht und ergänzt: „Wir kamen von der Stadt aufs Land und hatten kaum einen Plan von Landwirtschaft und Tieren. Viele Kernbacher und Kernbacherinnen waren uns echt eine große Hilfe.“

Nach fast zehn Jahren ist nicht nur das landwirtschaftliche Wissen stark gewachsen – auch die VieCo-Lebensgemeinschaft an sich. Doro und Henning haben sich verbindlich angeschlossen und auch Steffi und Thorsten mit vier und Antje und Simon mit zwei Kindern gehören zur Gemeinschaft. Eva wohnt zudem seit 2020 als Gast in einem kleinen „Backhäuschen“ direkt gegenüber des Hofes. Doro und Matthias befinden sich mit ihren beiden Kindern noch im Besucherstatus und leben im Nachbardorf. Sie lernen VieCo und das Projekt Kernbach ganz intensiv vor Ort kennen und prüfen für sich, ob sie sich eine lebenslange Verbindung vorstellen können und sich einreihen wollen in den Schulterschluss der Gemeinschaft.

Lebenslang, wie bei einer Hochzeit

Die Entscheidung, ein Leben lang zusammenzubleiben, empfinden die VieCos als Geschenk. Paco beschreibt es als vergleichbar mit einer Hochzeit: „Da verspreche ich, ein Leben lang mit einer Person mein Leben zu teilen, aber gleichzeitig ist es ganz schwer, das Gefühl dieser besonderen Verbindung zu beschreiben. Genauso ist es auch bei unserer Gemeinschaft. Es ist ein Lebensmodell, sich freiwillig für eine lebenslange Gemeinschaft zu versprechen.“

Eine solche Entscheidung erfordere bestimmt Mut, frage ich nach. Ich fand schon den Schritt in die Ehe gewaltig … Mareike lächelt: „Bei mir war es definitiv eher Überzeugung als Mut. Denn ich würde mich nicht gerade als mutigen Menschen beschreiben. Ja, es war vor allem die Überzeugung, das Vertrauen: Wir stehen zusammen, egal, was kommt im Leben.“ Tschul nickt bestätigend: „Wenn wir andere in unser Leben lassen, dann profitieren wir alle so viel voneinander, können lernen und wachsen. Und klar, es ist nicht immer nur schön und einfach. Aber trotzdem ist es für mich und uns zu einer festen Überzeugung geworden, dass es die allerbeste Lebensweise ist, die zu uns passt.“

Paco erinnert sich: „Alles hinter sich zu lassen, von der Großstadt aufs Dorf ziehen, um dich herum überall nur Natur – schon ein ordentlicher Schritt! Aber sobald wir uns als VieCo diese lebenslange Gemeinschaft versprochen hatten, war auch klar: Hey, das ist fix, die Entscheidung getroffen. Wir stehen gemeinsam für ein größeres Ganzes. Wir möchten den Menschen in unserem Umfeld dienen und das geht gemeinsam deutlich einfacher als allein. Natürlich sind wir keine Sekte, alles ist freiwillig. Dieser Schulterschluss gibt uns viel Kraft: Wir sind eins, gehören zusammen. Da ruckelt so leicht nichts dran.“ Paco strahlt bei den Worten und es ist allen anzumerken, wie viel Sicherheit die Gemeinschaft gibt.

Der Garten hilft bei psychischen Krisen

Das Mittagessen ist beendet. Ein Teil der Hofgemeinschaft macht sich an den Abwasch. Wir schauen uns das Gelände an. Paco, Tschul und Mareike zeigen uns die „Rote Rübe“, den Garten auf der anderen Seite der Straße. Hier bauen sie zusammen mit den Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern Obst und Gemüse an. Das wird in der Hofgemeinschaft aufgeteilt oder für die wöchentlich stattfindenden Mittagessen am Dienstag verwendet. „Es tut den Menschen in psychischen Krisen meist richtig gut, sich um etwas zu kümmern, wie hier zum Beispiel um den Garten“, berichtet Paco, der theologisch wie auch pädagogisch ausgebildet ist und wie Mareike, Andi und Tschul eine Anstellung im Wohnprojekt Kernbach hat. Alle anderen aus der Lebensgemeinschaft arbeiten ehrenamtlich im Projekt mit. Träger des ambulanten Wohnprojektes ist der St. Elisabeth-Verein e. V. Marburg, der zur evangelischen Diakonie gehört.

Auf dem Weg über den Hof kommen wir an den Tieren vorbei, an Hühnern, Hasen, Schafen und Ziegen. Mareike erzählt, das Ziel ihrer pädagogischen Arbeit sei immer, dass die Menschen in ihrer seelischen Not erst einmal auf dem Hof zur Ruhe kommen können und möglichst stabil werden. Bei einem großen Teil gelinge das auch. „Wir sehen unsere Arbeit so: Wir bestimmen nicht, sondern wir ermöglichen“, erklärt Paco. „Wir fragen die Leute, was sie brauchen, was ihr Ziel ist. Und dann unterstützen wir sie, so gut es nur irgendwie geht, auf ihrem Weg dahin.“ Tschul weiß, dass die Mitwohnenden auch andere Erfahrungen gemacht haben: „Vorher wurden viele nicht gefragt, was sie denn selbst wollen. Hier sollen sie erfahren: Ich darf mitreden, ein Teil der Gemeinschaft sein. Ich kann etwas. Andere sehen mich, schätzen mich und unterstützen mich. Das ist so viel wert. Nur so ist das Ziel, eines Tages wieder ein selbstbestimmtes Leben zu führen, überhaupt möglich.“

Es ist nicht alles Bullerbü

Wir laufen nun durch das Dorf. Sie wollen mir noch etwas zeigen. Einen großen Schritt, den sie als VieCo Lebensgemeinschaft gegangen seien. Ich bin gespannt, was das wohl sein wird. Mich erinnert die ländliche Idylle hier jedenfalls ein wenig an Bullerbü. Alle lachen. „Ja, im ersten Moment sieht es vielleicht danach aus“, sagt Paco, „doch die Gemeinschaft bedeutet jede Menge Arbeit – sowohl praktisch als auch inhaltlich.“

Mareike nickt: „Und wenn man Leben teilt, dann geht man sich auch mal auf die Nerven, reibt sich aneinander. Da bedeutet es, immer wieder Kompromisse zu finden. Zu schauen, dass niemand auf der Strecke bleibt.“ Tschul ergänzt: „Auch die richtige Balance ist ein Dauerthema. Balance zwischen Job und Ehrenamt, zwischen Nähe und Distanz, zwischen Gemeinschaft und Zeit für sich selbst, für die Familie.“ Für Paco hat das Leben hier auch viel mit persönlicher Entwicklung zu tun: „Wir sehen uns als Lernende. Und Jesus als unseren Lehrer. Wir wollen immer besser im Umgang miteinander werden, wollen Konflikte ansprechen und Lösungen suchen. Wir wollen uns die Füße waschen, nicht die Köpfe.“

Ein neues Projekt entsteht – vor allem durch Spendengelder

„Da sind wir!“, sagt Tschul, als wir auf einem weiteren Hof angekommen sind. „Das ist unser nächster großer Meilenstein!“ Auf rund 2500 Quadratmetern Fläche stehen hier neben einem Wohnhaus zwei aneinander gebaute alte Scheunen. Dachziegel fehlen, ganze Wandteile sind eingestürzt. „Erst vor ein paar Tagen haben wir den Hof hier gekauft“, sagt Tschul mit leuchtenden Augen, „aber wie du siehst: es gibt noch unglaublich viel zu tun! Wir sind noch ganz am Anfang.“ Sie erzählen, dass sie schon lange zu wenig Räumlichkeiten haben, immerzu am Limit sind. Vor allem im Winter bekämen sie nicht einmal mehr die ganze Hofgemeinschaft in einem Raum unter, wie etwa dienstags zum gemeinsamen Mittagessen. Paco sprüht nur so vor Ideen: „Hier soll etwas ganz Tolles entstehen: Ein schöner, großer Aufenthaltsraum. Viele Räume für Gäste. Für Menschen mit Hilfebedarf. Ein schönes Café wäre noch ein Traum, eine große Küche und vielleicht auch eine Werkstatt. Auf jeden Fall viel Raum für Begegnungen.“

Auf dem Rückweg erzählen sie, dass sie lange gesucht und lange überlegt und gebetet hätten, ob der Kauf der richtige Schritt sei. Jetzt seien aber alle richtig froh, den mutigen Schritt gegangen zu sein. Für die insgesamt 2,5 Millionen Euro Investitionskosten werden sie hauptsächlich auf Spenden angewiesen sein. „Alleine würden wir den großen Betrag nicht stemmen können“, sagt Mareike, „aber wir sind voller Vertrauen: Es wird Menschen geben, die uns durch Spenden unterstützen werden. Die uns helfen, dass wir weiterhin unsere Türen für Menschen öffnen dürfen.“ Schon jetzt haben sie einen großen Freundeskreis, den sie regelmäßig mit Newslettern in ihre Geschichte und ihre Ideen hineinnehmen.

Gemeinsame Kindererziehung

Zurück auf dem Hof setzen wir uns in den Raum der Stille. Antje kommt mit ihrer kleinen Tochter Maartje hinzu, die noch etwas wackelig auf den Füßen unterwegs ist: „Es gibt den Spruch, dass man ein ganzes Dorf brauche, um ein Kind zu erziehen – das erlebe ich hier täglich“, erzählt Antje. „Unsere Kinder wachsen in der Gemeinschaft auf, haben immer viele unterschiedliche Kinder und Erwachsene um sich herum. Sie lernen das soziale Miteinander von klein auf.“ Schließlich lassen mich die VieCos noch teilhaben an der Liturgie, die sie als Gemeinschaft durch die wöchentlichen Treffen führt. Besonders hängen bleibt mir ein jüdisches Gemeinschaftsgebet. Es beschreibt sehr schön den Wert der Gemeinschaft, der hier auf dem Hof bei allen Begegnungen deutlich zu spüren ist. Wir stellen uns in den Kreis, halten die Hände und sprechen uns einen Segen zu. Und da ist sie wieder zum Greifen nah: die Kraft der Gemeinschaft, der Verbundenheit und des gemeinsamen Glaubens.

Stefan Kleinknecht ist Redakteur bei der Stiftung Marburger Medien und wohnt mit seiner Familie in Mittelhessen. Die Lebensgemeinschaft ist zu finden unter vieco.org

Der Bus in Aktion, Foto: Julia Schwendner // juliaschwendner.com

Gründer kommt selbst von der Straße: In Hamburg tourt der Duschbus für Obdachlose

Im Hamburger Duschbus GoBanyo können Obdachlose ihrer Körperpflege nachkommen. Gründer Dominik Bloh weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig das ist.

Waschen ist ein menschliches Grundbedürfnis, doch nicht alle haben die Chance dazu. In Hamburg schafft „GoBanyo“ seit zwei Jahren Abhilfe: Der Duschbus mit drei vollausgestatteten Badezimmern – eines davon barrierefrei – tourt immer von Mittwoch bis Montag durch die Großstadt und bietet jeweils zwischen 9 und 15 Uhr Duschen im Halbstundentakt an. Ein Team aus vier Hauptamtlichen und über 100 ehrenamtlich Mitarbeitenden koordiniert das mobile Badezimmer. Seit der Gründung von GoBanyo im Dezember 2019 konnten bereits 12.000 Duschen angeboten werden. Zudem bekommen die Gäste Hygieneprodukte und Handtücher, manchmal ergänzen Friseure, Ärztinnen oder eine Kleiderausgabe das Angebot.

Gründer Dominik kennt die Problematik

Mittels leicht verständlicher Flyer und Plakate, vor allem jedoch über Mund-zu-Mund-Propaganda werden Menschen auf die Standorte des Busses aufmerksam gemacht. „Einen Ort, wo ein Mensch sich wohlfühlt, wo er noch Mensch sein darf – den teilt man gerne!“, erzählt mir GoBanyo-Gründer Dominik Bloh. Aus eigener Erfahrung weiß er, wie groß die Scham ist, wenn man ungewaschen unter Leute gehen muss: Er lebte selbst zehn Jahre auf der Straße. Ihm ist es auch wichtig, das Thema Obdachlosigkeit mal aus einer anderen Perspektive in die Öffentlichkeit zu rücken. Aus diesem Grund kommt der Duschbus in knallig bunten Farben daher statt in tristem Grau, das man vielleicht sonst mit dem Thema Obdachlosigkeit in Verbindung bringt.

Duschen dank Spenden

Beim Crowdfunding der gemeinnützigen GmbH 2019 konnten innerhalb von vier Wochen 168.000 Euro gesammelt werden. Den Bus selbst gab’s vom Verkehrsunternehmen „Hamburger Hochbahn“ geschenkt, ausgebaut wurde er mit Mitteln aus dem Funding. 3.000 Einzelspenderinnen haben dies ermöglicht. „Eine Idee entsteht vielleicht im Kopf eines Einzelnen, doch eine gute Sache wird es erst, wenn viele Menschen daran mitarbeiten“, sagt Dominik Bloh. „Nichts ist wichtiger als ein gutes Team.“ Inzwischen gibt es zusätzlich zum Bus noch ein fest installiertes Duschdorf mitten im Kiez auf St. Pauli. Darüber hinaus berät „GoBanyo“ Städte von Berlin bis Kapstadt bei der Einrichtung von eigenen Duschbussen. „Wir wollen auf keinen Fall systemerhaltend arbeiten“, betont Bloh. „Die Abschaffung der Obdachlosigkeit ist das oberste Ziel. Housing first!“

Text: Catharina Bihr

Der Co-Working-Space "Kairos13", Foto: Kairos13 / Evangelische Kirche in Karlsruhe

Kirchen eröffnen Co-Working-Spaces: Wie passt das zusammen?

Immer öfter erproben Kirchen, wie sie New Work anbieten können. Was wie ein Widerspruch klingt, ist eigentlich keiner.

Zwischen Shishabar und Parkhaus, keine fünf Minuten zu Fuß vom Karlsruher Schloss entfernt, liegt das Kairos13. Die Evangelische Kirche hat hier 2020 einen Social Co-Working-Space eröffnet für Menschen, die in einem Start-Up oder freischaffend an nachhaltigen und sozialen Themen oder Projekten arbeiten.

Große Teppiche liegen auf dem Betonfußboden des hellen Arbeitsraums, der mit viel Holz und Schwarz eingerichtet ist. Neben Schreibtischen dürfen Wohnzimmerecke und Kaffeebar nicht fehlen, denn Vernetzung ist ein wichtiges Anliegen. Aus der reduzierten Überhangsfläche eines Gemeindehauses soll ein Innovationscampus werden, der zwei Ziele verfolgt: sozialnachhaltiges Engagement fördern und einen kirchlichen Ort schaffen für Menschen, die sonst kaum oder keine Kontaktflächen zu Kirche haben. „Das geschieht sehr niederschwellig und ganz automatisch darüber, dass Co-Working unter dem Dach von Kirche stattfindet und ich als kirchlicher Mitarbeiter vor Ort und selbst Teil der Community bin“, erklärt der Leiter Daniel Paulus.

New Work passt zur Kirche

Die sich rasant verändernde Arbeitswelt, die immer globaler, digitaler und mobiler wird, wird gern mit dem Stichwort „New Work“ beschrieben. Das Konzept entwickelte in den 1970er-Jahren der Sozialphilosoph Frithjof Bergmann. Er beschrieb die konventionelle Arbeit damals als eine Krankheit, die man aushalte bis zur Rente, und er prognostizierte stattdessen für die Zukunft eine positive Entwicklung: gemischte Teams statt homogener Abteilungen, Projektarbeit, Innovation statt Tradition und Kontrolle. Sein menschenfreundliches Zukunftsbild aus Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft passt gut zur biblischen Ethik.

Zu den wichtigen Formen neuer Arbeit zählt das Co-Working: Menschen, die ihren Arbeitsort frei wählen können, etwa Freelancer oder Gründerinnen, bilden eine Bürogemeinschaft und nutzen das Inventar gemeinsam. Als in der Pandemiezeit klar wurde, dass Arbeiten auch außerhalb des betrieblichen Büros gut funktionieren kann, erhöhte sich auch die Zahl derjenigen, für die ein solcher öffentlicher Arbeitsort infrage kommt.

Work-Life-Balance ist Hauptargument

Zu Beginn vor allem in wenigen Metropolen bekannt, breitet sich das Konzept nun weltweit aus. Rund 18.700 Co-Working Spaces nennt Statista für 2018. Etwa 1,65 Millionen Menschen haben sie genutzt.

Danach befragt, welche Vorteile sich Arbeitnehmende von neuen Arbeitsplatzkonzepten erhofften, stand die bessere Work-Life-Balance ganz oben. Es zeigte sich: Viele Menschen lieben ihre Freiheit und würden gern zeitlich und örtlich ungebundener, selbstbestimmter und vernetzter arbeiten.

Laut einer Umfrage des Online-Magazins Deskmag schätzen Menschen am Co-Working-Space vor allem die angenehme Arbeitsatmosphäre (59 %), die Kommunikation mit anderen (56 %) und das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein (55 %).

Der Grad der Verbindlichkeit allerdings ist sehr unterschiedlich. Während manche Anbieter sich schlicht als Schreibtischvermieter verstehen, entsteht anderswo eine enge Gemeinschaft mit hoher Verbindlichkeit und gemeinsamen Werten und Anliegen. Dort entstehen Synergieeffekte, die häufig zu neuen Projekten führen.

Co-Working existierte bereits in Klöstern

Soziologen ordnen Co-Working-Spaces wie Cafés, Bibliotheken oder Kirchen den „dritten Orten“ zu, als wichtige Lebensmittelpunkte neben dem eigenen Zuhause und dem klassischen Arbeitsplatz im Betrieb. Auch Kirchen haben mittlerweile verschiedene Co-Working-Konzepte entwickelt. Die Theologin und Innovationsforscherin Maria Herrmann wirbt dafür, sich bewusst zu werden, dass Co-Working einerseits etwa in den Klöstern eine lange kirchliche Tradition hat und andererseits auch große Chancen bietet für die Zukunft.

Klöster mögen in der allgemeinen Wahrnehmung nicht mehr als Orte der Innovation präsent sein. Doch lange Zeit waren sie die Räume, in denen nicht allein für Einzelne, für eine Institution oder aus rein wirtschaftlichem Interesse geforscht und gearbeitet wurde. Auch Gemeinschaft und Ästhetik spielten wichtige Rollen. Genau das kann heute auch Co-Working-Spaces von anderen Kontexten der Arbeit unterscheiden: die Entdeckung und Erfahrung, dass es sowohl für ein gutes Arbeitsleben als auch für das Neue Verbündete und eine angemessene Atmosphäre braucht. Dass man nicht alleine an Innovationen arbeiten kann. Dass verschiedene Perspektiven, Fähigkeiten und Ressourcen notwendig sind. Dass Schönheit und Ästhetik Einfluss haben.

Alter Gemäuer, neuer Geist

Warum aber sollen sich Kirchen und Gemeinden mit dem Thema Co-Working-Space beschäftigen? Hansjörg Kopp, Generalsekretär des CVJM Deutschland, nennt dazu Folgendes: „Kirche hat den Auftrag, nah bei den Menschen zu sein. Und damit auch mitten in einer agilen Gesellschaft mit zunehmend mobilem Arbeitsverhalten. Wie wunderbar, wenn der Schatz unserer alten Gemäuer Neuland und Freiraum bietet.“

Mittlerweile haben etliche Gründer und Gründerinnen auch mit kirchlichem Hintergrund oder aus ihrem Glauben als Motivation Projekte rund um das Co-Working entwickelt. Für sie und ihre Generation ist das Thema New Work und im Speziellen das Arbeiten und Leben in den Co-Working-Spaces eine angemessene Form von Gemeinschaftserleben. Letztlich sehnt sich jeder Mensch nach einem Kreis von Verbündeten, einer tragenden Verbindung. Vor allem in einer Zeit, in der die Familienverbände kleiner werden und oftmals nicht durch Nähe verbunden sind. Um dieses Community-Building geht es den Pionieren und Pionierinnen in diesem Bereich.

„Hirschengraben“ in Luzern: Innovation in konservativer Stadt

Der Architekt Sandro Schmid nennt seinen „Hirschengraben“ ein „Kollektiv von Weltveränderern, ein Sparringspartner für deine Träume und ein Spielplatz für Unternehmen“. Zum Start hat er seine Mitstreiter gefragt: „Was hat Luzern davon, dass es euch gibt?“ Seine Frage zeigte Wirkung: Bislang haben die 35 Mitglieder 21 Projekte und Start-ups gegründet: Von der Wäscherei über Wertefinder bis zur Business-Community ist die Spanne groß. In einer Stadt, die eher konservativ geprägt ist, tragen sie zu einer Reformation der Arbeit bei. Sandro Schmid bringt dabei gern auch seinen christlichen Glauben ins Spiel: „Mein Vertrauen auf Gott gibt Menschen etwas. Gott hat mich versorgt, mich Geschichten erleben lassen, die mir als ein Wunder entgegenkommen.“

Gründergeist in Frankfurt: Villa in der Innenstadt

Als die Idee der Villa Gründergeist vor vier Jahren entstand, kämpfte das Bistum Limburg nicht nur mit den Folgen des schleppenden Umgangs mit den Missbrauchsskandalen, Relevanzverlusten und einem prognostizierten Einbruch der Kirchensteuereinnahmen. Man zweifelte auch an der eigenen Berufung. Das Bistum steckte nach dem durch den Papst angenommenen Rücktritt von Bischof Franz-Peter Tebartz von Elst in einer Leitungskrise. Nicht der beste Nährboden für gemeinsam getragene pastorale Ziele oder gar für kirchliche Innovationen. Oder vielleicht gerade doch?

Im Dezernat Kinder, Jugend und Familie wurde überlegt, was mit einer rund 100 Jahre alten Villa mit rund 600 Quadratmetern Fläche mitten in der Frankfurter Innenstadt passieren könnte. In einem kleinen Projektteam über verschiedene Hierarchieebenen hinweg entstand die Idee einer Plattform für Zukunftsfragen. Nicht die kirchlichen Mitarbeitenden sollten das Haus allein von sich aus mit Leben füllen, sondern Pioniere und Macherinnen aus möglichst vielen Bereichen. So entwickelten sich mit Gründer David Schulke mutige Ziele: die Welt täglich besser machen durch die Förderung von Social Entrepreneurship und Sozialinnovation. Die Learnings aus dieser Reise nutzbar machen für Menschen, die Kirche neu gründen und Glauben anders leben wollen – im Umfeld einer sinnstiftenden und durch das Villa-Team gut begleiteten Community.

Kaffeebar „Effinger“ wird zum Modell für andere

Der Bildungscoach und Entrepreneur Marco Jakob hat 2015 in Bern den Co-Working-Space mit Kaffeebar „Effinger“ mitgegründet, der ein Modell für viele andere geworden ist. Er sieht kirchlich orientiertes Co-Working allerdings auch kritisch. Die Kirche einfach zu einem Co-Working-Space umzubauen und zu meinen, dann kämen die Leute schon von selbst, sei ein fataler Irrtum. Wer beruflich die Möglichkeit dazu hat, den ermutigt er vielmehr dazu, einen bestehenden Co-Working-Space in der eigenen Umgebung aufzusuchen und selbst regelmäßiger Co-Worker zu werden, zuzuhören, wahrzunehmen, was Leute bewegt und ihre Träume und Projekte kennenzulernen.

Wer Herausforderungen wahrnimmt, kann überlegen, wie er mit den eigenen Fähigkeiten, Netzwerken und Ressourcen etwas zur Lösung beitragen kann. „Rechne mit Gottes Hilfe. Und wenn dein Beitrag mehr als zehn Prozent deiner Zeit beansprucht, so mache dich selbstständig und verlange einen angemessenen Preis für das, was du tust“, rät der Christ. „Falls es etwas ist, das die anderen nicht direkt bezahlen können, so suche mit ihnen nach einem Weg, wie es finanziert werden kann. So ist das, was du tust, wirksam, authentisch und nachhaltig.“

Byro Aarau: Mehr als Cappuccino-Beziehungen

Gründungen, die ein inhaltliches Ziel verfolgen und durch Projekte und Veranstaltungen auch positiv in ihre lokale Umgebung hineinwirken oder global etwas bewegen wollen, sind meist vom Gedanken einer engeren Community getragen, der man sich verbindlicher anschließt.

Daniel Hediger, Co-Gründer vom „Byro Aarau“ stellt fest, dass das nicht immer einfach ist und spricht von Beziehungsfähigkeit, die jemand mitbringen muss. „Das sind nicht nur lustige Cappuccino-Beziehungen. Community geht nur dann, wenn du bereit bist, dich auf Beziehungen einzulassen.“ Verbindliche Beziehungen müssten da wachsen und der Wille zur Veränderung vorhanden sein. „Hier beginnt die schwer quantifizierbare Wirkung eines Co-Working-Spaces.“ Es gelte, Vertrauenskultur aufzubauen auf und der Versuchung zu widerstehen, in alte, hierarchische Strukturen zurückzufallen.

Bei all diesen faszinierenden Projekten wird deutlich, dass es kein Grundmuster für den Start, den Aufbau und den Betrieb eines Co-Working-Spaces gibt. Sowohl bei der Ausrichtung auf die jeweilige Zielgruppe als auch in Bezug auf Kirchennähe gibt es verschiedene Ansätze. Es wird noch viel experimentiert werden – und den Königsweg vielleicht nie geben. Die Tendenz ist aber klar: Für viele Menschen und Milieus sind die klassischen Kirchen nicht attraktiv. Sie sehnen sich zutiefst nach Gemeinschaft, aber ohne Gemeindeordnung. Nach sinngebenden Angeboten, aber ohne Gottesdienstliturgie. Arbeit und Freizeit werden nicht mehr scharf getrennt. Und in diese Sehnsucht hinein lohnt es sich, Angebote zu setzen.

Jürgen Jakob Kehrer ist Referent der Evangelischen Landeskirche Württemberg und freiberuflicher Organisationsentwickler. Dorothea Gebauer betreibt ein eigenes Co-Working-Space, hat mehrere Gründungen begleitet und arbeitet im Bereich innovativer Bildung, PR und Fundraising.
In diesen Wochen erscheint ihr gemeinsames Buch: „Co-Working: aufbrechen, anpacken, anders leben – Herausforderung und Chance für Gemeinden und Organisationen“ (Vandenhoek und Ruprecht).

Symbolbild: Getty Images / E+ / lindsay_imagery

Ende der Plastik-Ära: Diese Beispiele zeigen, dass es vorangeht

Noch kann unsere Gesellschaft ohne Einweg-Verpackungen nicht leben. Aber es gibt gleich mehrere Hoffnungsschimmer.

Packung aufreißen, Folie abwickeln, Tetrapack leeren: Manchmal ist es zum Verzweifeln, wie schnell sich die Gelbe Tonne füllt. Von der eingeschweißten Gurke über abgepackten Käse bis zum Flüssigwaschmittel: kaum ein Produkt ohne Kunststoffhülle. Unser Planet ist plastifiziert. 4,3 Millionen Kunststoffverpackungen wurden 2020 in Deutschland produziert, die jährlichen Kunststoffabfälle haben sich seit 1995 mehr als verdoppelt. Vergangenes Jahr haben unsere Müllabfuhren wieder sechs Prozent mehr Plastik aus unseren Haushalten weggekarrt – insgesamt rund 40 Kilo pro Kopf jedes Jahr. Dabei landen die Becher, Folien und Behälter gar nicht immer in der Tonne. Allein die Elbe befördert jährlich 42 Tonnen Kunststoff in die Nordsee.

Dass die Menge an Plastikmüll steigt, hat verschiedene Gründe: Unsere Gesellschaft wird älter und mehr Menschen leben in Single-Haushalten. Senioren und Alleinstehende kaufen aber eher kleinere Portionen und die Verpackungen sind im Vergleich aufwändiger. Zudem nimmt der Trend zu Fertiggerichten, To-Go-Waren und sogenannten Convenience-Produkten zu: fertig geschmierte Sandwiches oder Salate etwa in Plastikboxen. Auch Einwegflaschen werden immer beliebter: Die Mehrwegquote ist seit 1997 von 72 auf 41 Prozent gesunken.

Pfandpflicht auch auf Energy-Drinks

Doch es tut sich was. Ideen zur Reduzierung und gesetzliche Änderungen für neue Rahmenbedingungen machen Hoffnung, dass der Abschied aus der Plastik-Ära zumindest denkbar ist. Ab 2022 wird beispielsweise die Pfandpflicht ausgeweitet. Für Saft, Smoothies, Apfelwein und Energy-Drinks galten bislang Ausnahmeregelungen, die nun entfallen. 25 Cent Pfand werden dann pro Flasche fällig. Darüber hinaus müssen ab 2025 Plastikflaschen mindestens zu einem Viertel aus recyceltem Kunststoff bestehen. Ab 2023 müssen größere Cafés und Restaurants Waren zum Mitnehmen auch in wiederverwendbaren Verpackungen anbieten.

Die Erwartung an solche gesetzlichen Bestimmungen ist immer auch, dass sie neue Entwicklungen auslösen wie etwa Mehrwegsysteme und verpackungsfreie Alternativen. Der durch seine Porter-Hypothese bekannt gewordene amerikanische Ökonom Michael E. Porter nennt in seinen Aufsätzen mehrere Fallstudien, die zeigen, wie umweltpolitische Maßnahmen sowohl zur Reduktion der Kosten wie auch zu Innovationen geführt haben. Er erwähnt beispielsweise japanische Recyclingbestimmungen, die beigetragen haben, den Produktionsaufwand bei Hitachi zu senken. Bei deutschen Unternehmen sieht er Wettbewerbsvorteile, weil Recycling-Gesetze einen Entwicklungsvorsprung ausgelöst hätten.

Start-ups gehen mit gutem Beispiel voran

Gerade kleinere Unternehmen gehen da oft mit guten Ideen voran. Das Hamburger Label Sea Me bietet beispielsweise Handseife, Spül- und Desinfektionsmittel in Pfandglasflaschen an. Sind sie leer, können sie über den Lebensmitteleinzelhandel zurück in den Mehrwegkreislauf gegeben werden. Das Start-up Repaq stellt seine Verpackungen aus pflanzlicher Zellulose, Wasser und Glyzerin her, die kompostierbar sind, ebenso wie die aus Jute hergestellte Versandkiste der Neugründung kompackt61. Das kleine Kieler Unternehmen Umtüten verkauft nachhaltige Brotbeutel und Lunchbags aus ökologischer Baumwolle aus Tansania und recycelten Jeansresten.

Doch auch große Unternehmen beginnen umzudenken. Der Konzern Henkel verwendet für die Flaschen mancher seiner Haarpflegeprodukte bis zu 98 Prozent Altplastik. Für seine Marke Nature Box verwendet er sogar sogenanntes „Social Plastic“, also Kunststoff aus Müll, der etwa vom Sozialunternehmen Plastic Bank an Stränden gesammelt wurde.

Auch dm geht voran: In 150 Filialen der Drogeriemarktkette können seit Oktober in einem Pilotprojekt leere Kunststoffflaschen von Pflege- und Reinigungsmitteln zurückgegeben werden. Damit will der Konzern testen, ob Kunden und Kundinnen dazu bereit sind.

Keine verpackten Gurken in Frankreich

Im August hat die Umweltorganisation WWF gerade ihre Studie „Verpackungswende jetzt“ vorgestellt. Fazit: „Eine kreislauforientierte und nachhaltigere Verpackungswirtschaft [ist] in Reichweite, wenn wir alle Hebel umsetzen und einen Systemwandel einleiten.“ Die Autoren schlagen etwa vor, einheitliche Richtlinien zu schaffen, um unnötige und überdimensionierte Verpackungen im Handel zu vermeiden, oder essbare Hüllen für Obst und Gemüse einzusetzen, um Schalen und Folien zu vermeiden, wenn die Sorten nicht ohnehin von Natur aus eine robuste Hülle haben.

In Frankreich dürfen schon ab 2022 rund 30 Obst- und Gemüsesorten nur noch ohne Plastikverpackung verkauft werden. Beispielsweise Äpfel, Gurken, Kartoffeln und Blumenkohl gibt es dann nur noch plastikfrei. Ab 2030 müssen dort Einzelhändler mit einer Ladenfläche von mehr als 400 Quadratmetern mindestens ein Fünftel ihrer Fläche für Mehrweg- und Nachfüllprodukte nutzen.

QR-Code macht Plastik sortierbar

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Auch die Recyclingquote ließe sich erhöhen, wie die WWF-Studie zeigt. Wirtschaftliche Anreize für Verpackungen aus recyceltem Plastik könnten dabei helfen, denn die Produktion ganz neuer Kunststoffe sei immer noch zu billig.

Die EU hat beschlossen, dass bis 2030 Verpackungen zu 55 Prozent wiederverwertet werden sollen. Derzeit liegt die Quote EU-weit bei rund 40 Prozent. Helfen soll dabei auch ein digitales Wasserzeichen – eine Art QR-Code in Briefmarkengröße, der verschiedene Informationen enthält und aufgedruckt wird auf Joghurtbecher & Co. Im Recyclingunternehmen erkennt die Kamera daran die Materialzusammensetzung, sodass die Verpackungen sortenrein sortiert werden können. Derzeit wird das Projekt in Kopenhagen getestet, 2022 soll es auch in Recyclingbetrieben in Deutschland und Frankreich eingesetzt werden. Mehr als 130 Unternehmen, darunter Beiersdorf, Dr. Oetker und Lidl, sind beteiligt.

Ein solches Engagement der Industrie, gestützt von Vorgaben der Politik und befürwortet von Bürgerinnen und Bürgern, macht Hoffnung, dass eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft möglich sein wird.

Von Anja Schäfer

Hannah Brencher, Foto: Taylor Zorzi / Zorzi Creative

Hunderttausende handgeschriebene Mutmacher: Das ist die Geschichte hinter dem Brief-Wunder

Hannah Brencher zieht für ihren vermeintlichen Traumjob nach New York, aber die Einsamkeit der Großstadt erschlägt sie fast. Dann fängt sie an, Briefe zu schreiben …

Hannah wächst mit einer Mutter auf, die nicht mit dem Trend geht, wenn es um virtuelle Kommunikation geht. Ihre Mutter liebt das Briefeschreiben. Und als Hannah nach dem Studium ins große New York City zieht, ertappt sie sich oft dabei, wie sie hoffend am Briefkasten steht. Gibt es heute Post von daheim?

Sie durchlebt eine harte Zeit, ist überwältigt von der Großstadt-Mentalität, wird depressiv. Als sich eines Tages in der U-Bahn eine Frau ihr gegenübersetzt, hat sie den Drang, ihren Block herauszuholen und ihr einen Brief zu schreiben. Doch als sie wieder hochblickt, ist die Frau bereits ausgestiegen. Und Hannah ist überrascht: Zum ersten Mal seit langem fühlt sie sich nicht mehr einsam und traurig. Sie beschließt, weiterhin zu schreiben, weil es ihr selbst guttut. Sie schreibt Briefe an Fremde und versteckt sie in ganz New York City: in der Umkleidekabine, in der Metro, in Cafés – und erzählt davon auf ihrem Blog.

Wer will, bekommt einen Brief

Brief für Brief beginnt sie, endlich wieder Licht zu sehen. Sie wird beschenkt mit einem Sinn fürs eigene Leben, indem sie etwas von sich hergibt. Und sie begegnet auch Gott dadurch, dass sie seine Liebe zu den Menschen zu Papier bringt. Liebe, die nichts fordert, sondern dazu da ist, verschenkt zu werden.

Als sie auf ihrem Blog anbietet, jedem, der es braucht, einen Brief zu schreiben, wird sie überraschend überhäuft mit Anfragen. In den folgenden Wochen schreibt sie 400 Briefe. Mehr, als ihr Spaß gemacht hätten. Aber sie will ihr Versprechen halten. Das soll es dann aber auch gewesen sein. Doch ihre Familie und Freunde widersprechen: Was sie da angefangen habe, sei dringend nötig!

Alle können mitmachen

Schließlich willigt sie ein und startet das Projekt More Love Letters. Jeder weltweit kann mitmachen, der daheim ein Blatt Papier und einen Stift hat. Aus vielen über die Webseite eingereichten Vorschlägen werden jeden Monat fünf bis sechs Personen ausgesucht, die einen Stapel liebevoller Briefe bekommen sollen. Ein Monat lang ist Zeit zu schreiben, freiwillige Helfer und Helferinnen sichten und sortieren die Post und schließlich bekommen die Personen ihre Päckchen voller Ermutigungen zugeschickt. Mehrere Hunderttausend Briefe sind es inzwischen, die Hannah Brenchers Engagement initiiert hat. Am Ende war es der Entschluss, nicht in der eigenen Einsamkeit zu verharren, sondern andere zu ermutigen.

Constanze Bohg ist Autorin des Buches „Viereinhalb Wochen“ (Pattloch).

Wer bei More Love Letters mitmachen will, findet hier alle Infos (auf Englisch) unter moreloveletters.com. Auf YouTube ist außerdem ein berührender TED-Talk von Hannah Brencher zu sehen.