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Zwei Vertreter des Yanesha-Volkes, das seit Jahrtausenden das Land bewohnt, aber nun mehrere Generationen lang verdrängt und versklavt wurde. Jens Bergmann und sein Verein Chance e. V. haben mit mehreren Yanesha-Gemeinschaften Kooperationen begonnen. Foto: Chance e. V.

Wie ein deutscher Verein den Regenwald und Indigene schützt

Der Verein Chance e. V. unterhält eines der größten privaten Naturschutzgebiete in Peru. Dort kämpft die Organisation gegen Monokulturen und die Ausrottung indigener Völker.

Wenn Jens Bergmann von seiner Reise in die südliche Amazonasregion Madre de Dios erzählt, hört man noch sein Entsetzen: „Es war so schrecklich, was wir dort gesehen haben. Ich war schon vorher dort gewesen und damals war es noch ein unberührter, artenreicher Teil Amazoniens – heute ist diese Gegend von mafiamäßig organisierten Goldgräbern völlig zerstört worden.“

Peru ist der größte Goldproduzent in Lateinamerika. Neben den legalen Minen sind hier schon seit Langem auch illegale Goldgräbertrupps am Werk. Mithilfe von hochgiftigem Quecksilber wird das Gold vom Gestein getrennt. Zurück bleiben vergiftete Schlammlöcher und abgeholzte Mondlandschaften, von denen sich die Ökosysteme ein Menschenleben lang nicht erholen werden. „Allein in dieser Gegend gibt es 20.000 Quadratkilometer quecksilberverseuchte Sandflächen, wo vor 15 Jahren noch Primärregenwald war“, erzählt Jens Bergmann, Gründer und erster Vorsitzender des Vereins Chance e. V. mit Sitz in Köln.

Waldhüter mit Satellitentechnik

Er und Elizabeth Luque, die Leiterin der peruanischen Partnerorganisation, waren 2013 in Peru unterwegs, um neue Einsatzmöglichkeiten für ihren Verein zu finden, den sie 2003 gegründet hatten. Nach dieser Reise beschlossen sie, sich in Amazonien für den Schutz von Regenwald zu engagieren und ließen sich fortbilden vom ehemaligen Leiter dreier großer Naturschutzgebiete.

Heute überwacht der Verein mit einer staatlichen Lizenz und 25 Mitarbeitenden wahrscheinlich das größte von einer christlichen Organisation betriebene Naturschutzgebiet der Welt. Mit Waldhütern, Kontrollposten und Satellitentechnik sichern sie ein 200 Quadratkilometer großes Gebiet vor Wilderern und Landräubern. Eine halb so große Fläche steht nochmals in Aussicht. „Mittlerweile haben wir eine sehr gute Arbeitsbeziehung zur Forstbehörde“, sagt Jens Bergmann. „Wenn sie von freien Flächen erfährt, weist sie uns darauf hin.“

20 Prozent des Landes soll Wildnis bleiben

Fast die gesamte Landesfläche in Peru ist konzessioniert: Der Staat bleibt immer Eigentümer, vergibt aber verschiedene Nutzungsrechte – für Erdöl, Erdgas, Tourismus, Bergbau, Landwirtschaft und auch für den Naturschutz. Mindestens zwanzig Prozent der Landesfläche will die Regierung auch langfristig als Wildnis erhalten. Zum Vergleich: In Deutschland sollen in Zukunft zwei Prozent unbewirtschaftet bleiben, nicht einmal das wird aber aktuell erreicht.

Damit eine Naturschutzkonzession beantragt werden kann, müssen Bedingungen erfüllt sein: Keine indigene Bevölkerung darf dort leben, kein Bergbau darf betrieben werden. Eine Konzession wird für vierzig Jahre übertragen und kann bei gutem Management verlängert werden.

Im Behördendschungel

Für die Antragstellung war viel Ausdauer erforderlich. Als Jens Bergmann und sein Verein von einem freien Stück Regenwald erfahren hatten, begannen zweieinhalb Jahre schwieriger Verhandlungen. Die Mitarbeitenden der Forstbehörde gelten als schlecht ausgebildet, sind fast immer unterbezahlt und nicht selten korrupt. Hinzu kommt in Peru ein Zuständigkeitswirrwarr: Gesetze und Verordnungen widersprechen sich mitunter, selbst die Mitarbeitenden steigen oft nicht durch. Nachdem der Verein den ersten Antrag mit allen Unterlagen und Unterschriften für die Naturschutzkonzession gestellt hatte, wurde ein neues Forstgesetz verabschiedet. Nun war zusätzlich ein Dekret des Staatspräsidenten notwendig und konnte erst nach dem Zusammenschluss mit anderen NGOs erwirkt werden. „Dann wurde plötzlich der Leiter der Behörde in einer Nacht- und Nebel-Aktion festgenommen, weil er Chef einer illegalen Holzmafia war“, erinnert sich Jens Bergmann, „und daraufhin lag der Antrag erstmal rum.“ Der Verein schaltete bekannte Umweltanwälte aus Lima ein. Sie arrangierten ein Treffen mit der Chefin der nationalen Forstbehörde, drohten mit juristischen Schritten – und erhielten zwei Tage später die unterzeichneten Verträge.

Die Regenwaldfläche wurde auf die peruanische Partnerorganisation übertragen und die Arbeiten konnten beginnen: Die Grenzen des Gebiets mussten markiert und Bestandsaufnahmen gemacht werden. Lokale Waldhüter wurden ausgebildet, Kontrollposten an den Zugangswegen eingerichtet. Überwacht wird alles von der gut finanzierten Kontrollbehörde der Forstbehörde.

Ananas in der Monokulturwüste

Im Süden grenzt das Regenwaldgebiet an das staatliche Waldschutzgebiet Pui Pui, auf der anderen Seite an ein kleineres privates Schutzgebiet. So beschirmen sie sich nicht nur gegenseitig, sondern vergrößern auch den biologischen Korridor für die Tier- und Pflanzenarten.

Im Norden und Nordwesten liegen zehn Walddörfer, die vom Kaffeeanbau leben. Jenseits dieses Grüngürtels beginnt die Ananaszone: Monokulturwüste, wo vor dreißig Jahren noch dichter Regenwald wuchs. Ananas brauchen Vollsonne und reagieren sehr empfindlich auf Schädlinge und Nährstoffmangel. Deshalb wird der Dschungel bis auf den nackten Boden brandgerodet, der Lebensraum der Pflanzen und Tiere vernichtet. Die endlosen Reihen stachliger Gewächse werden mit Kunstdünger vollgepumpt und mit Pestiziden behandelt, die durch die häufigen Regenfälle weggespült werden und das Trink- und Grundwasser der umliegenden Region vergiften. Gegen die Fruchtfliege werden sie zudem in weiße Plastikfolie verpackt. „Das sind apokalyptische Landschaften“, sagt Jens Bergmann.

Umso wichtiger ist es, mit den Kaffee-Kleinbauern zusammenzuarbeiten, ihnen den Wert des Regenwaldes zu zeigen und sie darin zu bestärken, ihn zu schützen. Ein eigener Kaffeespezialist des Vereins schult sie zudem in nachhaltigem und hochqualitativem Anbau von Bio-Kaffee, für den geringere Anbauflächen nötig sind und der dennoch ein höheres Einkommen erzielt als eine konventionelle Erzeugung.

Indigene Gemeinschaften drohen auszusterben

Gute Kontakte unterhält der Verein auch zu etlichen indigenen Gemeinschaften des Yanesha-Volkes, die rund 50 Kilometer entfernt leben. Nachdem sie Generationen lang vertrieben, entrechtet, vergewaltigt und versklavt worden sind, drohen Kultur und Sprache dieses Volkes nun auszusterben. Noch etwa 40 Gemeinschaften gibt es, nur in etwa zehn wird die Sprache noch an die Kinder weitergegeben. Manche Gemeinschaften sind dem Drogenhandel erlegen. Es gibt große Zerfallserscheinungen. Die Zusammenarbeit von Chance e. V. mit den indigenen Gemeinschaften unterscheidet sich mittlerweile von der Arbeit anderer NGOs. „Wir wollen indigene Gemeinschaften von innen stark machen“, erklärt Jens Bergmann, „also nicht Straßen, Schulen oder Spitäler bauen, sondern die Menschen begleiten, die in eine Welt geworfen sind, die sie gar nicht verstehen.“

Die Vereinten Nationen haben 2007 eine Erklärung über die Rechte indigener Völker verabschiedet, der sich Peru angeschlossen hat. Dazu gehört das Recht, eigene Institutionen, Kulturen und Traditionen zu bewahren und sich an allen Angelegenheiten, von denen sie betroffen sind, wirksam zu beteiligen. „Die Autonomie, die ihnen zugesprochen wird, ist erstaunlich groß. Die Regierung muss den indigenen Gemeinschaften beispielsweise zweisprachige Lehrer zur Verfügung stellen, tut das aber nicht“, erläutert Jens Bergmann.

Kampf für die Rechte der Indigenen

Doch eigene Rechte kann nur einfordern, wer sie kennt – nicht selbstverständlich für eine Kultur, die sich schon darin unterscheidet, dass sie nicht schriftbasiert ist. In diese Lücke springt der Verein durch Kooperationen mit jenen indigenen Gemeinschaften, die dafür offen sind. „Das ist eine komplizierte Arbeit, die langen Atem erfordert. Viele Workshops und Gespräche sind dafür nötig“, beschreibt Jens Bergmann. Sie feiern Feste der kulturellen Identität, veranstalten Kochwettbewerbe mit einheimischem Essen und starten Arbeitsgruppen, etwa zum Thema Schule oder Dorfgesetze. „Wir begleiten diese Gemeinschaften dabei, sich selbst eine politische Verfassung zu geben, um sich nach innen und außen zu definieren und zu festigen und ihre Rechte verteidigen zu können. Und wir geben viel Geld für Anwälte aus, die die Indigenen befähigen, ihre Territorialrechte zu verteidigen. Und in der zweiten Phase unserer Begleitung entwickelt jede Gemeinschaft für sich einen nachhaltigen Entwicklungsplan.“

Und da schließt sich der Kreis: Denn wenn die indigenen Gemeinschaften ihre Territorien schützen, verstärken sie damit auch den Schutz für die großen staatlichen Regenwaldgebiete, die an ihre Gebiete grenzen.

Mit Gott im Regenwald

In Deutschland ist der Verein eng mit Kirchen und Gemeinden aus ganz verschiedenen Richtungen verbunden, bietet Workshops und Predigten in Gottesdiensten an, etwa zum Thema „Schutz der Schöpfung in der Bibel“. „Unser christlicher Glaube steht im Zentrum unserer Motivation und auch unserer Identität als Organisation“, sagt Jens Bergmann. „Was unsere Methoden angeht, spielt das eine weniger große Rolle. Wenn ein Christ Mathelehrer ist, ändert sich der Matheunterricht dadurch nicht. Der muss einfach fachlich gut sein. Und so sehen wir das für unsere Arbeit auch.“

Durch spanische Missionarsmönche, die im Lauf der Kolonialgeschichte nach Peru kamen, und auch pfingstchristliche Missionare, die seit den 70er Jahren aktiv waren, sind viele Yanesha christlich geprägt. „Aber da wurde nicht immer das positive und im ganzheitlichen Sinne erlösende Potenzial gepredigt“, formuliert Jens Bergmann vorsichtig. „Wenn wir mit ihnen Gottesdienste feiern, versuchen wir, das ganz anders zu machen, stärker in ihrer Kultur verortet. Und man muss ja auch nicht zwingend Kirchen bauen, sondern kann im Wald Gottesdienst feiern – der wurde schon von Gott gemacht.“ Alles hängt zusammen: Das Bewusstsein für die Schöpfung, Bildung, Gemeinschaft und ein gelingendes Leben. „Wir versuchen, in unserem ganzen Arbeiten, die Adlerperspektive einzunehmen“, sagt Jens Bergmann deshalb. Es geht darum, dass Menschen innerlich gestärkt werden und Verantwortung übernehmen können für sich selbst, für ihre Familien und für einen intakten, geschützten Lebensraum, der wiederum die Grundlage ist für das Wohlergehen aller Menschen – nicht zuletzt von uns, auf der anderen Seite der Erdkugel.

Text: Anja Schäfer

Der Verein
Mit Freunden aus Deutschland und Peru gründete Jens Bergmann 2003 den Verein Chance e. V. Nach Projekten in Peru kamen 2010 Projekte in abgelegenen Maasai-Dörfern in Kenia hinzu. 2013 wurde die Arbeit in Peru nach Amazonien verlagert, um Regenwald und damit die Lebensgrundlage für Menschen und Dorfgemeinschaften zu schützen. Der Verein bietet die Möglichkeit, Waldpatenschaften zu übernehmen. Auch ein Patenkinderprogramm wurde aufgebaut, in dem die Kinder nicht nur praktisch unterstützt werden, sondern in Waldprojekten und bei Ausflügen lernen, soziale und ökologische Verantwortung zu übernehmen.
Infos:
mein-regenwald.de
chance-international.org
Der Kaffee aus der Region ist erhältlich über: kuuna-kaffee.de