Microsabbaticals: Wie sie funktionieren und warum sie sinnvoll sind
Organisationsberater Marlin Watling bietet mit Freunden Denkwochen im Tiny House an. Sein Konzept hat er von Bill Gates entlehnt.
Zwei von fünf Arbeitenden wünschen sich ein Sabbatical. Was erhoffen sich diese 40 Prozent von einer Auszeit? Es gibt viele Motive – aber es scheint ein Merkmal der heutigen Zeit zu sein, dass das Leben wahnsinnig voll ist und hier und da der rote Faden verloren geht. Mal eine Zeit Abstand gewinnen, die Dinge wieder klarsehen und zurück zum Wesentlichen kommen, das ist die Sehnsucht hinter einem Sabbatical, das immer mehr für sich in Betracht ziehen.
Weil drei bis sechs Monate Auszeit aber echt tricky zu realisieren sind, bleibt sie oft nur als super Idee tief im Hinterkopf abgelegt. Die letzten Jahre hat sich ein Trend gebildet, dieses Problem zu beantworten: Micro-Sabbaticals. Auszeiten mit Sabbatical-Flair, in kürzerer Zeit. Statt drei Monate sind es drei Tage, die zum Abstand und Neuorientieren dienen.
Revolutionäre Gedanken während einer Auszeit
Ein paar Freunde und mich führte der Weg zu einem Tiny House. Noch so ein Trend: Minimalismus. Auf 18 Quadratmetern steht ein kleines Häuschen mit Bett, Bad, Wohnzimmer, Küche und direktem Zugang zur Natur. Wir haben es 2019 zusammen mit Flüchtlingen gebaut und bieten dort jetzt vier Formate für Micro-Sabbaticals an. Dabei sind wir seit Jahren auf einer Fährte, die wir nun erproben: die Denkwoche.
Die Lunte haben wir einst bei Bill Gates gerochen. Irgendwo in seiner Biografie kam vor, dass er sich jedes Jahr eine Auszeit nimmt, um nachzudenken. Eine Woche zum Lesen, Reflektieren, Überlegen. Die bekannteste Denkwoche war seine Auseinandersetzung mit dem Internet Anfang der 90er. Er ging in eine Hütte und las viele Bücher und Paper über das Thema. Bis er überzeugt war, dass das Internet alles verändern wird. In der Folge verbreitete er in seiner Firma ein Memo mit dem Namen „Internet Tidal Wave“ und stellte dort die Weichen für die Zukunft.
Mentalen Ballast sortieren
Alleine rumsitzen und über große Trends nachdenken – das hörte sich für uns gut an. Wie wäre es also, wenn wir uns ein paar Tage freischaufeln, um ein paar wichtige Fragen zu Ende zu denken? Denn der Mönch Thomas Merton brachte es einst auf den Punkt: „Eine der größten Herausforderungen unserer Zeit ist das Sortieren des enormen mentalen Ballasts, der sich in uns sammelt.“ Das gilt nicht weniger uns, die wir permanent von Impulsen und Ideen bombardiert sind. Als Mönch fokussierte er sich darauf, Rhythmen zu entwickeln, um die Stille und damit eine innere Klarheit zu finden.
Der amerikanische Computerwissenschaftler und Autor Cal Newport formulierte vor ein paar Jahren die Idee von „Deep Work“. Sie besagt, dass die Arbeitswelt heute viel zu fragmentiert und schnell ist. Die Fähigkeit, sich tief mit einem Thema zu beschäftigen zu können, ist sehr rar. Und viele Probleme, die wir haben, liegen daran, dass wir uns nicht ausführlich genug mit ihnen beschäftigen und die Dinge zu Ende denken. Man möchte meinen, dass große Firmen genug Ressourcen haben, um Themen wirklich bewerten zu können.
Unsere Erfahrung ist da eine andere: Je mehr Wissen da ist, desto mehr wird man in alle möglichen Richtungen gezogen und selten dringt man in diesen Diskussionen zum Wesen der Dinge durch. Workshops helfen da manchmal, aber auch sie sind oft überladen mit zu vielen Themen. Newport sagt, dass Deep Work, also ein ablenkungsfreies Abtauchen in die Arbeit, die volle Konzentration auf eine Sache, eine der wesentlichen Arbeitsweisen der Zukunft sein wird. Wer sie meistern kann, ist im Vorteil.
Mischung aus Freizeit, Lesen, Reflexion und Bewegung
Wie geht nun eine Denkwoche? Man kann sie selbst organisieren, viele profitieren aber von einem Rahmen und etwas Anleitung, für die wir ein Kit entwickelt haben. Die Denkwoche beginnt damit, dass man sich gut vorbereitet. Zum einen muss man ein Thema wählen und seinen Ansatz klären. Was nehme ich mit? Womit genau beschäftige ich mich? Dann muss man die Zeit organisieren, dass sie möglichst frei von Ablenkung ist und die Zeit gut genutzt werden kann. Eine Mischung aus Freizeit, Lesezeit, Reflexionszeit und Bewegung ist ideal.
Inzwischen liefen die ersten Experimente mit unserer Denkwoche im Tiny House und wir sind immer wieder überrascht, dass viele Wege und Impulse, die für das gewählte Thema hilfreich sind, direkt vor der eigenen Nase liegen. Durch das Nachdenken in der Denkwoche kommen Erkenntnisse, die irgendwie schon da waren, aber jetzt klar gesehen werden können. Das ist die Magie des Denkens: Verbindungen herstellen und Geahntes klar zu sehen. Wie die Schriftstellerin Virgina Wolf sagte: „Ein Schlüssel in der Tür versetzt dich in die Lage, selbst zu denken.” Es braucht diesen bewussten Moment, diese Entscheidung, diesen Rahmen für die eigenen Fragen. Das ist das Wesen von Micro-Sabbaticals.
Marlin Watling. Der studierte Psychologe war viele Jahre Personalleiter für Großkonzerne und berät heute Organisationen in Zukunftsfragen. Daneben war er Leiter der Mosaikgemeinde in Heidelberg, wo er auch mit seiner Familie lebt. Mehr zum Micro-Sabbatical im Tiny House unter microsabbatical.de