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Shopping-Pause. Symbolbild: Getty Images / kwangmoozaa / iStock / Getty Images Plus

Shopping-Pause: Ein Selbsttest im Konsumverzicht

Nur das nötige für den täglichen Bedarf einkaufen. Klingt logisch und normal. Wie oft kaufen wir mehr als das? Was passiert, wenn man auf Unnötiges verzichtet? Ein Selbstversuch.

Keine Bücher?! Keine Kleider?! Keinen Blumenstrauß?!, denke ich, als ich auf die Seite Shoppingpause.com stoße. Schon eine Weile beeinflussen die Gedanken des Minimalismus mein Kaufverhalten – „eine radikale Shopping-Pause ist aber zweifellos eine andere Liga“, denke ich. Mein Herz kommt ins Stottern, meine Gedanken rotieren: „Mir würde das Experiment bestimmt schwerer fallen als meinem Mann“, geht es mir durch den Kopf. Ich kaufe öfter spontan eine Kleinigkeit. Dennoch erzähle ich meinem Liebsten davon – und er ist begeistert von dieser Idee.

Kaltstart

Mutig und auch ein bisschen Hals über Kopf beschließen wir an diesem Abend im Juni 2021, von Anfang Juli bis Ende des Jahres eine Shopping-Pause einzulegen. Das sind 26 Wochen. Vielleicht lange Wochen, wer weiß das schon, wenn man ein solches Experiment startet!? Wir machen an diesem Abend eine Vollbremsung: Alle Tricksereien fallen weg. Wir haben keine Möglichkeit, noch kurz etwas einzukaufen, damit der Verzicht etwas abgefedert wird. Wir gehen die Regeln auf der Website durch und vereinbaren, dass jeder von uns in dieser Zeit zwei Joker zur Verfügung hat und sich damit zwei Ausnahmen von den aufgeführten Regeln nehmen darf. Weiter beschließen wir, dass wir bei Geschenken für andere keine Abstriche machen. Auf diesem Gebiet wollen wir kreativ werden, möglichst wenig Geld ausgeben, aber uns dabei auch nicht verbiegen.

Natürlich verkünden wir unsere Entscheidung noch am selben Abend im Familien-Chat. Unsere drei Kinder sind erwachsen und verheiratet. Der Mittlere reagiert sofort und fragt: „Müssen wir schon bald damit rechnen, dass ihr zwei nur noch in handgestrickten Wollpullovern umherirrt?“ Nein, müssen sie nicht.

Lockeres Einlaufaufen

Die erste Woche beginnt für mich richtig gut: Ich bekomme zwei Bücher geschenkt! Einfach so. Eines darf ich aus einer kleineren Auswahl auswählen, das andere findet meine Nachbarin so gut, dass sie gleich alle Frauen in unserer Gebetsgruppe damit beschenkt. Freudig lege ich die beiden Bücher auf den Bücherstapel, von dem ich weiß, dass ich ihn sicher bis Ende des Jahres nicht bewältigt haben werde. Irgendwie beruhigt mich dieser Notvorrat. Er vermittelt: Egal was kommt, ich bin gut versorgt und werde keinen Mangel leiden. Ob Kaufen tatsächlich im Ansatz zu einer Prise Sicherheit und Geborgenheit verhilft?

Mir wird immer öfter bewusst, wie schnell ich im Alltag einem kleinen Kaufimpuls nachgebe. Da ist die Zeit am Bahnhof, die ich bis zur Abfahrt meines Zuges vertrödeln muss. Der Tchibo-Shop lädt mich zum Stöbern ein. Schon halte ich coole, leichte Stoffsäckchen (100% Baumwolle!) für den umweltfreundlichen Einkauf von Gemüse und Früchten in der Hand. Ohne Shopping-Pause hätte ich diesen kleinen Betrag ausgegeben und meine aus Polyester in den Müll befördert. Aber jetzt steht da innerlich das Stoppschild.

Mein Mann Thomas stellt bereits nach kurzer Zeit fest: „Mich entschleunigt das Experiment.“ Schon länger überlegten wir uns die Anschaffung eines Fahrradträgers. Immer wieder schaut er sich die verbilligten Angebote an, wägt ab. Jetzt ist die Frage, welches der Beste bei gutem Preis sein könnte, bis Ende des Jahres vom Tisch.

Härtetest

Ungefähr in Woche neun kommt bei mir der absolute Durchhänger. Ich suche und finde Ausreden. Und kaufe mir schlussendlich einen Ersatz für meine Sandalen. Die Sohle meiner alten ist ziemlich durchgelatscht. Aber jetzt, da ich gerade so ehrlich reflektiere, muss ich mir eingestehen: Die hätte ich problemlos eine weitere Saison tragen können. Ich bin gescheitert, der Versuchung erlegen! Einer meiner Joker ist aufgebraucht, obschon ich mir vorgenommen hatte, sie ganz bewusst und nur nach längerem Nachdenken einzusetzen. Als ich diese Einsicht mit Thomas teile, bekennt er ebenso, dass nicht alles Anglermaterial tatsächlich dringend nötig war, um sein Hobby weiterzuführen. Er hat also seinen ersten Joker ebenso leichtsinnig vergeben wie ich. Da war’s nur noch einer für jeden von uns.

Die Verlockungen sitzen überall. Es gilt Entscheidungen zu treffen: Bummeln wir in unserem Urlaub nun tatsächlich durch die reizvolle Altstadt Chur, die ich mit vielen Erinnerungen verbinde? Oder lassen wir das für dieses Mal sein? Was macht es für einen Sinn, sich den attraktiven Kleiderboutiquen und dem verführerischen „Chuchilade“ (Küchenladen) auszusetzen, wenn man nichts kaufen darf? Wir gehen trotzdem und sparen mindestens 38 Franken, denn das begehrenswerte Pizza-Schneiderad bleibt dort, wo es ist, und landet weder in meiner Tasche noch in meiner Küche. Dafür setzen wir uns in ein Straßen-Café, genießen die erstaunliche Wärme der Herbstsonne und einen feinen Cappuccino.

Adventskalender

Endlich klappt es dieses Jahr mit einem „Gemeinschafts-Adventskalender“ mit Frauen aus meiner Kirche. Okay, die 24 gleichen Überraschungen, die ich dazu beisteuern muss, fallen ja glücklicherweise unter die Geschenke und sind damit ausgenommen. Aber Stopp! Statt im Internet eine Kleinigkeit zu kaufen, entschließe ich mich, meine exquisiten Papierreste aufzubrauchen und damit Karten zu gestalten. Farblich ist die Verpackung festgelegt, aber kein Problem: Meine zum Basteln beiseitegelegten Notenblätter passen genau ins vorgegebene Schema. Wie cool ist das denn!

Gegen Ende Oktober wird’s richtig hart. Am liebsten möchte ich die Challenge abbrechen und dann wieder einmal nach dem Wocheneinkauf zum Kiosk schlendern und eine Zeitschrift kaufen. Und einen Blumenstrauß, einfach, weil er der Seele schmeichelt.

Den Kalender mit Bildern aus meiner Lieblingsstadt bestellen, das Buch „Jesus. Eine Weltgeschichte“ und den neusten Schmöker von Nicholas Sparks. Die teuren Schuhe, die ich mir so wünsche, oder doch lieber das Kleid aus meinem Lieblingskleiderladen? Was soll diese Selbstkasteiung?! Das Leben fühlt sich momentan doch hart genug an! Corona sitzt in jeder Ritze, zudem habe ich meine Stelle gekündigt. Zwar aus eigener Initiative aber unterm Strich doch unfreiwillig. Trauerarbeit, bewusstes Loslassen und dabei der Verzicht …

20 Wochen sind genug

Heute schreiben wir den 20. November, fünf Monate sind vergangen seit jenem Abend im Juni. Und ehrlich gesagt: Jetzt ist genug! 20 Wochen Verzicht reichen aus. Ich entscheide mich, aus dem Projekt auszusteigen. Nicht, dass ich jetzt in einen Kaufrausch fallen möchte, aber ich merke, meine innere Spannkraft hat mich verlassen. Ich mag diese freiwillige Askese nicht weiter durchziehen. Thomas hingegen ist wild entschlossen durchzuhalten bis zum bitteren Ende.

Ich ziehe für mich dennoch eine durchaus positive Bilanz zum Thema Shopping-Pause. Ich habe erkannt, dass mancher Kaufimpuls bei mir von einem momentanen Seelentief gesteuert wird. Es ist nicht nur fraglich, wie lange dieser „Trost“ anhält, sondern äußerst bedenklich, in solch einem täuschenden Manöver Zuflucht zu nehmen. Diese Erkenntnis möchte ich in mein zukünftiges Kaufverhalten mitnehmen. Der reflektierte und zögerliche Griff ins Verkaufsregal tut gut – zweifellos auch dem Portemonnaie. Thomas‘ Fazit sieht ähnlich aus: In vielen Bereichen genügt weniger – auch in der Auswahl seines Angler-Equipments.

Insgesamt wurde uns durch dieses Experiment einmal mehr bewusst, dass alles, was wir besitzen, ein großes Geschenk ist und das Maß bei weitem übersteigt, von dem Milliarden von Menschen nur träumen können. Wir kennen die Sorge nicht, ob wir morgen genug zu essen haben. Eher zerbrechen wir uns den Kopf über den Menüplan, weil die Auswahl an Lebensmitteln unendlich vielfältig und verlockend ist, was die Waage schonungslos zeigt. Obwohl unser Kleiderschrank recht minimalistisch ausgestattet ist, können wir doch nach Lust und Laune auswählen, was wir anziehen möchten. Unsere Kleider erfüllen mehr als den Zweck, unsere Nacktheit zu bedecken und uns im Winter warmzuhalten. Ihr Zustand ist einwandfrei, sie sind weder abgenutzt noch löcherig, ja, die meisten sind absolute Lieblingsstücke … So gesehen würde es auch für mich keinen triftigen Grund geben, die Shopping-Pause nach 20 Wochen abzubrechen. Wenn es nicht so schwierig wäre …

Helena Gysin arbeitet als freie Texterin für verschiedene Medien und lebt in Seegräben (Schweiz).

Symbolbild: Getty Images / The Image Bank / Joos Mind

Bio oder Fairtrade? Veronika verzweifelt beim nachhaltigen Einkauf

Für Veronika Smoor ist der Wocheneinkauf eine Qual. Denn die beste Lösung gibt es beim Thema Nachhaltigkeit oft nicht.

Gerade bricht im Obstgang die Welt eines Zweijährigen zusammen. Tim, so heißt er. Das erfahre ich aus der gepressten Stimme der Mutter: „Tim, nein, ich kaufe keine Ananas! Die kommt aus Südafrika. Das ist ganz schlecht für unser Klima.“ Tim ist nicht überzeugt und heult und schreit, was das Zeug hält. Die einheimischen Äpfel, mit der die Mutter ihn locken will, entschärfen die Situation keineswegs. Tim liegt nun auf dem Boden. Ich mache einen Bogen um ihn und lächle der Mutter aufmunternd zu. Es ist noch nicht lange her, da lagen meine Töchter auch auf Supermarktböden rum, weil ich ihnen gezuckertes Müsli verweigert hatte.

Wer ist wichtiger: Umwelt oder Bauer?

Auf meiner Einkaufsliste steht unter anderem: Bananen, Birnen, Salat, Zwiebeln und Möhren. Letztere gibt es in vier Variationen und die Wahl wird mich drei Minuten meines Lebens kosten: Bio, in Plastik verpackt. Die Krummen Dinger, nicht Bio, unverpackt. Möhren mit Möhrengrün, nicht bio, unverpackt. Konventionelle Möhren im Plastiksack. Letztendlich entscheide ich mich aus Mitleid für die Krummen Dinger. Niemand will euch, nur weil ihr etwas zu kurz oder lang geraten seid und die hier hat sogar zwei Beine. Wie niedlich. Kommt her zu Mama! 

Nun auf zu den Bananen, wobei ich wieder einen Bogen um Tim mache, der den Apfelstreik auf dem Boden fortführt. Ich widme mich dem Bananendilemma: Fairtrade-Banane in Plastik verpackt, unfaire Bio-Bananen unverpackt, konventionelle Bananen unverpackt. Ich wäge ab. Ist mir der Bauer in Lateinamerika wichtiger oder die Umwelt? Ich will mich für das kleinere Übel entscheiden, wenn ich nur wüsste, welches das ist. Am liebsten möchte ich mich schreiend neben Tim auf den Boden legen. Ich greife nach den Fair-Trade-Bananen. Die Zwiebeln lassen mich fast in Tränen ausbrechen, denn meine Lieblingssorte (rot, klein, süß) gibt es weder in Bio noch unverpackt. Die einzige Variante, die noch in Frage käme, sind die Zwiebeln eines Bio-Lebensmittel-Anbieters, deren Preis man mit Gold aufwiegen könnte. Seit wann sind Zwiebeln bitteschön Luxusartikel? Beim Salat und den Birnen gebe ich auf und greife nach plastikverpackter konventioneller Ware. Energisch schiebe ich den Wagen zum nächsten Schlachtfeld: der Wursttheke. Die inneren Gewissenskämpfe erspare ich dir an dieser Stelle. Es sei nur soviel gesagt: Ich habe heute viel Plastik gespart, aber dafür keine Bio-Wurst im Wagen.

Wir können es nie ganz richtig machen

An der Kasse treffe ich Tim und seine Mutter wieder. Seine Hand steckt in einer Tüte Erdnussflips, die er Richtung rotfleckiges, verquollenes Gesicht wandern lässt. Die Mutter hat im Snackgang kapitulieren müssen.

Sacht lege ich meine Einkäufe aufs Band und bin wie so oft unglücklich. So gerne würde ich bewusst einkaufen, dabei aber auch meinen Geldbeutel nicht überstrapazieren und mit einem Gefühl von moralischer Überlegenheit nach Hause fahren. Aber solange es noch keine verbindlichen Standards für Supermärkte hinsichtlich von Plastikvermeidung und Bioprodukten und Zweite-Wahl-Ware gibt, wird unserem Gewissen viel Flexibilität abverlangt. Wir können es momentan nie ganz richtig machen. Aber es ist die Annäherung, die so wichtig ist. Vielleicht können wir im Wechsel eine Woche lang Plastik vermeiden, in der anderen nur Bio kaufen? Und Supermarktketten mit Protestmails fluten! Oder wir steigen um auf die Ökokiste, welche bereits in vielen Regionen von Biohöfen angeboten wird.

Ein bisschen was möchte ich aber auch von Tims Mama lernen. Zu den einheimischen Äpfeln greifen und mir öfter mal die Bananen verkneifen.

Text: Veronika Smoor