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Der regionale Bioladen "grüne Perle" in Witten. Foto: Jan Hagelstein

Regionale Bioprodukte im Ruhrgebiet – die „grüne Perle“ zeigt, wie es geht!

Regionale Bio-Lebensmittel zu fairen Preisen? Das muss keine Utopie bleiben! Eine Gruppe engagierter Menschen hat einen Regionalladen in der Wittener Innenstadt gegründet. Dort verkaufen Erzeuger aus dem Umkreis ihre Waren. Benjamin Kleine Vennekate erzählt, warum es sich lohnt mitzumachen.

Wer durch unseren Laden geht, der erspürt Hoffnung. Nicht nur, weil Wände, Ladentheken und Gemüseregale in grüner Farbe erstrahlen und regional erzeugte Lebensmittel hier sichtbar wertgeschätzt werden, sondern auch weil Menschen wieder anfangen, in der Wittener Innenstadt einzukaufen, wo in den letzten Jahren so viele Läden geschlossen haben. Wir setzen einen Gegentrend. Das war uns wichtig bei der Gründung.

Wenn ich freitagvormittags meinen ehrenamtlichen Dienst im Laden leiste, treffe ich keine Kunden, ich treffe Gleichgesinnte – Landwirte, Schreinerinnen, Cafébesitzer, Sozialpädagoginnen, Rentner. Ich begegne einer Stadt, die anfängt, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

MARKTMACHT DER DISCOUNTER

Mitte August 2022 hat die „grüne Perle“ für alle Liebhaber regionaler Bio-Produkte feierlich ihre Türen geöffnet. Eine Initiative hatte beschlossen, groß zu träumen und verschiedenen Missständen entgegenzutreten. Unnötig lange Transportwege für Erzeugnisse, die eigentlich auch ganz in der Nähe hergestellt werden können, und viele Praktiken konventioneller Landwirtschaft halten wir in Zeiten des Klimawandels nicht mehr für angemessen. Außerdem beschäftigten uns die herrschenden Dumpingpreise für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Die vier großen Supermarktkonzerne – Aldi, Edeka, Rewe und die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland – haben in Deutschland einen Marktanteil von über 85 Prozent – und damit eine unverhältnismäßig große Marktmacht gegenüber Lieferanten. Erst im letzten Jahr hat Oxfam eine Auflistung unfairer Handelspraktiken veröffentlicht, unter denen vor allem landwirtschaftliche Familienbetriebe leiden: geforderte Rabatte, nicht vereinbarte Rückgabe von Waren und rückwirkende Vertragsänderungen mit hohen Geldforderungen. Das „kann bedeuten, dass Supermarktketten nach Ablauf des Geschäftsjahres oder des Vertrages fünf- bis sechsstellige Geldbeträge von den Lieferanten verlangen – nur weil sie die Macht haben, das zu tun“, schreibt Oxfam in seinem Bericht.

Wir glauben an eine Lösung, die alle mit ins Boot holt: Landwirte und Konsumentinnen – und wir denken, dass regionale, solidarische und nachhaltige Lösungen für viele der genannten Probleme die besten sind. Nicht zuletzt wünschen wir uns selbst hochwertige und frische Bio-Lebensmittel, die uns schmecken, gesund halten und deren Wertschöpfungskette inklusive der Transportwege wirklich nachhaltig ist.

MIT 100 EURO EINSTEIGEN

Darum wagten wir im Frühjahr 2022 den Schritt und gründeten die “Wittener Regional e. G.”, eine Genossenschaft, aus der heraus der Regionalladen “grüne Perle” entstehen sollte. Die Idee: Wir bauen ein Netzwerk aus regionalen Erzeugern auf, die ihre Produkte wie Obst, Gemüse, Brote und viele weitere Lebensmittel direkt ins Zentrum der Stadt liefern und so eine große Kundschaft erreichen.

Mit Erfolg: Innerhalb weniger Monate hatten wir fast 40 Produzenten gefunden, die den Regionalladen gerne regelmäßig versorgen wollten. Die meisten von ihnen müssen weniger als 30 Kilometer zum Regionalladen zurücklegen. Obwohl das Ruhrgebiet einer der größten Ballungsräume Europas ist, werden überall auch hochwertige Bio-Lebensmittel erzeugt. Wie beispielsweise bei den Jungs vom “Hevener Feld”.

Vor einem Jahr mieteten Jonas Dietrich und Matthias Brohl ein Stück Acker am Wittener Stadtrand und betreiben nun eine solidarische Landwirtschaft: Interessierte kaufen Ernte-Anteile und können sich dann von April bis November einmal in der Woche eine Gemüse-Kiste abholen. In diesem Jahr wurden 160 Kisten bestückt – die Warteliste ist lang.

Diese und viele weitere Erfolgsgeschichten im Bereich der urbanen Landwirtschaft möchten wir mit der „grünen Perle“ fördern und zugleich in der Stadtbevölkerung wieder ein Bewusstsein für den hohen Wert von Lebensmitteln schaffen. Unsere Strategie: Partizipation! Jede und jeder kann mit einem Anteil von 100 Euro einsteigen und Miteigentümer der „Grünen Perle“ werden. Der Laden ist also nicht die Sache irgendeiner Geschäftsführung, sondern alle machen mit, alle entscheiden. Und gemeinsam haben wir beschlossen, mit Hilfe der Einnahmen durch die verkauften Anteile ein leerstehendes Ladenlokal mitten in der Fußgängerzone zu mieten. Die Eigentümerin war begeistert von unserer Idee und gewährte uns für die ersten Monate einem Mietrabatt. Auch der Ladenumbau durfte nicht zu teuer werden. Darum investierte ein Heldenteam aus Freiwilligen über Monate hinweg Freizeit und Fähigkeiten in den Ladenumbau. Je mehr der Laden seine fertige Form annahm, desto häufiger hielten Passantinnen und Passanten an und nachdem die lokale Presse intensiv über das Projekt berichtet hatte, stieg die Zahl der Genossenschaftsmitglieder auf über 350 Personen. Warum ich einer von ihnen bin? Ich mag den Bibelvers aus Jeremia 29,7: „Suchet der Stadt Bestes…, denn wenn‘s ihr wohl geht, so geht’s euch gut.“ Als Team haben wir festgestellt, dass uns unsere Stadt sehr am Herzen liegt und wir einen Beitrag leisten wollen, damit das Leben, Einkaufen und der Aufenthalt für alle Beteiligten besser wird.

Benjamin Kleine Vennekate ist Produktmanager an der Universität Witten/Herdecke. Mehr zur „Grünen Perle“ online: wittener-regionalladen.de

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Eigentlich müsste niemand hungern

Ein Drittel unserer Lebensmittel landet im Müll. Almut Völkner erklärt, was das bedeutet und was wir dagegen tun können.

Wäre das nicht absurd? Wir backen einen leckeren Kuchen. Dann lösen wir ihn aus der Form und dritteln ihn. Ein Drittel des Kuchens packen wir auf einen schönen Teller. Damit gehen wir aber nicht zur Nachbarin und auch nicht zu Freunden. Nein, wir gehen damit zur Mülltonne und schmeißen ihn weg.

Zwei Milliarden mehr ernähren

Mir tut diese Vorstellung weh. Doch laut Welternährungsorganisation passiert genau das im übertragenen Sinne tagtäglich: Ein Drittel aller Lebensmittel weltweit landet im Müll. Bei einem Kuchen können wir uns ein Drittel gerade noch vorstellen. Doch denkt man globaler, kommt man schnell auf unfassbare Zahlen, die in vielen Ländern Schätzungen bleiben müssen, weil Daten fehlen. Doch in Deutschland musste das Bundesregierung die Zahlen gerade an die EU-Kommission melden: 10,92 Millionen Tonnen sind 2020 allein in Deutschland auf dem Müll gelandet. 10.920.000 Tonnen. Das sind 10.920.000.000 Kilogramm. In der Schweiz sind es Laut ETH Zürich 2.800.000.000 Kilogramm. Und all das sind eindeutig zu viele Nullen.

Mich machen diese Zahlen absolut fassungslos. Ich wusste, dass viele Lebensmittel weggeworfen werden. Aber wie enorm hoch diese Zahlen sind, das weiß ich erst seit Kurzem. Lebensmittelverschwendung ist ein ethisches Problem. Das würden viele so sehen. Aber wie absurd es ist, zeigt sich, wenn man einen Blick auf wichtige Zahlen wirft: Von 7,9 Milliarden Menschen auf der Erde haben laut Welthunger-Index 2021 über 800 Millionen nicht genug zu essen. Mehr als jeder zehnte Mensch auf diesem Planeten leidet Hunger. Während wir Lebensmittel wegschmeißen. Genau genommen könnten wir laut Welternährungsorganisation sogar zwei Milliarden Menschen mehr ernähren, wenn Lebensmittel, die noch genießbar sind, nicht weggeworfen würden. Denn wie wir alle gerade erst am Beispiel von Weizen und Sonnenblumenöl vorgeführt bekommen haben, gehören auch Lebensmittel zum globalen Welthandel. Je mehr wir verschwenden und damit verbrauchen, desto höher die Nachfrage und die globalen Preise.

Einsparpotenzial: Ein Sechstel der Fläche

Neben den skandalösen Hunger-Zahlen sind auch die vergeudeten Ressourcen ein Problem. Denn für die Lebensmittel, die in Landwirtschaft und Industrie, im Handel, in Restaurants und in privaten Haushalten weggeworfen werden, wurden jede Menge Wasser, Energie und ganze Hektare an Land verbraucht. Laut einer Studie des WWF Deutschland könnte durch vermeidbare Lebensmittelverluste eine Fläche von über 2,6 Millionen Hektar eingespart werden – fast 15 Prozent der gesamten Fläche, die wir in Deutschland für unsere Ernährung benötigen. Auch das Klima wird zusätzlich belastet. Schätzungen zufolge entstehen acht bis zehn Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen für Nahrungsmittel, die nie gegessen werden. Im „Food Waste Report 2021“ erklärt das Umweltprogramm der Vereinten Nationen: „Wenn der Verlust und die Verschwendung von Lebensmitteln ein Land wären, wären sie die drittgrößte Quelle von Treibhausgas-Emissionen.“

Die deutsche Bundesregierung will mit einer „Nationalen Strategie gegen Lebensmittelverschwendung“ gegen das Problem vorgehen. Die Wertschätzung für Nahrungsmittel soll in der gesamten Kette von Ernte über Verarbeitung und Handel bis zu Privatpersonen und Gastronomie geschärft werden. In der Schweiz hat der Bundesrat gerade im April einen Aktionsplan verabschiedet mit dem Ziel, die Verschwendung bis 2030 gegenüber 2017 zu halbieren.

Private Haushalte verursachen besonders viel Biomüll

Einer, der ganz dringenden Handlungsbedarf sieht, ist der Nürnberger Jesuit Jörg Alt. Im Dezember 2021 hat er sich einer Aktion zum sogenannten „Containern“ angeschlossen. Dabei werden aus den Müllkübeln von Supermärkten noch genießbare Lebensmittel geholt, um sie zu verwerten und vor der Vernichtung zu retten. Juristisch ist das Diebstahl, weil auch der Müll den Supermärkten gehört. Um auf die Sache aufmerksam zu machen, hat Pater Alt nach seiner Container-Aktion Anzeige gegen sich selbst erstattet und damit medial einige Öffentlichkeit erregt.

So weit muss vielleicht nicht jeder gehen. Aber dass alle einen Beitrag leisten können, zeigen die Zahlen: Denn 59 Prozent der 10,92 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle fielen in privaten Haushalten an. Abfälle, für die wir übrigens natürlich auch bezahlt haben. Ein Großteil davon waren Obst und Gemüse, gefolgt von Backwaren, Getränken und Milchprodukten, aber auch fertig zubereitete Mahlzeiten landen regelmäßig im Müll. Insgesamt produzieren wir im Schnitt somit 78 Kilo Lebensmittelabfälle pro Kopf und Jahr.

Deshalb will ich mir die Frage gefallen lassen: Was kann ich selbst dafür tun, um Lebensmittel wertzuschätzen und weniger wegzuschmeißen?

Das kann ich tun

Die Grundregeln: Einkäufe gut planen, einen Einkaufszettel erstellen, einen Überblick über die Vorräte behalten, nicht zu Spontankäufen oder Großpackungen verlocken lassen, sondern nur das in den Einkaufskorb legen, was wirklich gebraucht wird. Die richtige Lagerung hilft, dass Lebensmittel nicht verderben, sondern möglichst lange halten. Bei abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum nicht sofort ans Wegwerfen denken, sondern genau hingucken, dran riechen, probieren.

Als Familie starteten wir vor einigen Jahren das Experiment „ewiger Speiseplan“: Dafür haben wir Mahlzeiten für zwölf, später für 16 Wochen festgelegt, deren Reihenfolge sich dann immer wiederholt. So lässt sich der Wocheneinkauf gut planen. Frische Zutaten kaufen wir am Tag davor dazu. Mittlerweile kenne ich fast alle Rezepte auswendig und weiß genau, was wir benötigen, sodass kaum Reste übrigbleiben. Weiterer Vorteil: Das ewige Nachdenken, was man heute kochen könnte, entfällt. Flexibilität erhalten wir uns durch Wunsch- und Saisontage.

Und sollte doch mal etwas übrigbleiben vom Mittagessen, schaue ich gern auf der Website Restegourmet.de nach, auf der man Rezepte nach den Zutaten suchen kann, die man aufbrauchen möchte. Auch bei Frag-Mutti.de finden sich viele alltagstaugliche Rezepte zur Resteverwertung. Ähnlich funktioniert die App von „Eat Smarter“.

Seit einer Weile sind wir zudem Fans der App „To Good To Go“. Bäckereien und Läden bieten dort zu günstigen Preisen meist Backwaren und frische Produkte an, die sonst weggeworfen werden würden.

Wer noch engagierter ist, kann sich bei Foodsharing.de registrieren. Privatpersonen holen hier bei Betrieben, die mitmachen, Lebensmittel ab und geben sie an andere weiter, oft zu festen Zeiten, an festen Orten, sogenannten Fairteilern. Bei allen guten Ideen: Vor allem hilft das Bewusstsein, dass Lebensmittel etwas Wertvolles sind. Dass für ihre Herstellung sehr viele Ressourcen gebraucht und verbraucht werden und wir einen großen Beitrag dazu leisten können, Lebensmittelverschwendung einzudämmen.

Almut Völkner schreibt unter almut-wortkunst.de

Schon abgelaufen – trodem genießbar?

Dran schnuppern und probieren sollte man immer, aber die meisten Lebensmittel in unbeschädigten Verpackungen sind auch über das Haltbarkeitsdatum hinaus noch gut.

Sehr viel länger haltbar:
Salz, Zucker, Marmelade, Honig, Konserven, trockene Hülsenfrüchte, Senf, eingeschweißter Kaffee und Kakao

Meistens länger haltbar:
Nudeln, Mehl, Süßwaren, Knabberkram, Eis, Eingemachtes, Reis, H-Milch

Sorgfältig prüfen:
Milchprodukte, Säfte

Extrem kritisch sein:
Fleisch, Wurst, Fisch, Nüsse

7 Tipps gegen Food Waste

• Einkäufe planen
• Vorräte vorher checken
• An den Einkaufszettel halten
• Spontankäufe und unnötige Großpackungen meiden
• Lebensmittel richtig lagern
• Abgelaufenes nicht automatisch wegwerfen, sondern auf Genießbarkeit prüfen
• Rezepte finden, um Reste zu verwerten

Lebensmittelabfälle

10,92 Mio. Tonnen pro Jahr in Deutschland

59 % private Haushalte
17 % Gastronomie
15 % Lebensmittelverarbeitung
7 % Handel
2 % Landwirtschaft

(Quelle: Statistisches Bundesamt)

Vermeidbare Lebensmittelverschwendung in privaten Haushalten

4,0 % Fleisch & Fisch

6,9 % Sonstiges

5,9 % Fertigprodukte

8,9% Milchprodukte

11,9% Getränke

14,9 % Zubereitetes

12,9 % Backwaren

34,7 % Obst & Gemüse

(Quelle: Gesellschaft für Konsumforschung 2020)