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Ist Bio wirklich besser?

Ist Bio wirklich besser? – Ein Faktencheck

Wie viel gesünder ist die Bio-Möhre? Schützt ökologischer Landbau das Klima? Und warum kostet Bio-Ware oft mehr? Lisa-Maria Mehrkens gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Umfragen zufolge kaufen rund drei Viertel der Deutschen Bio-Lebensmittel – mindestens hin und wieder. Als Grund dafür geben die Befragten oft den Wunsch nach einer artgerechten Tierhaltung, nach einer geringeren Belastung der Lebensmittel mit Schadstoffen und nach einem Beitrag zum Umweltschutz an. Doch erfüllen ökologisch produzierte Lebensmittel diese Wünsche?

Kreislaufprinzip

„Bio“ und „öko“ sind geschützte Begriffe, die nicht jeder auf seine Verpackung drucken darf. Auch der Hinweis „aus kontrolliert biologischem Anbau“ muss von einer unabhängigen Kontrollstelle zertifiziert werden. Bio-Bauernhöfe unterliegen strengen, gesetzlich vorgegebenen Kontrollen – etwa zu artgerechter Haltung. Ökologischer Landbau funktioniert nach dem Kreislaufprinzip: Futter wird selbst angebaut. Mit dem Mist der gehaltenen Tiere wird wiederum die Anbaufläche organisch gedüngt. So entsteht ein Nährstoffkreislauf, in den möglichst wenig von außen hinzugefügt wird. Das bedeutet auch, dass im Prinzip nur so viele Tiere auf einem Hof leben, wie durch selbst angebautes Futter ernährt werden können. Ein Zukauf von Futtermitteln ist nur für wenige Tierarten sehr begrenzt möglich.

Industriell hergestellter Stickstoffdünger ist im ökologischen Landbau verboten, stattdessen wird mit Mist gedüngt und beispielsweise Leguminosen wie Bohnen oder Klee angebaut. Sie fördern bestimmte Bakterien im Boden, die Stickstoff aus der Luft sammeln und binden, sodass er später im Acker zur Verfügung steht. Statt auf Pestizide setzen ökologische Betriebe auf andere Maßnahmen, um Schädlinge in Schach zu halten: Nützlingen wird durch Blühstreifen Lebensraum geschaffen, bestimmte Sorten werden nebeneinander gepflanzt. Kritisch sehen manche, dass zum Teil auch kupfer- und schwefelhaltige Mittel eingesetzt werden dürfen. Allerdings gelten dafür strenge Mengenbegrenzungen.

Tiere sollen in der biologischen Landwirtschaft möglichst artgerecht gehalten werden: Hühner sollen im Boden scharren und picken, Schweine im Boden wühlen und Kühe draußen Zeit mit Grasfressen verbringen dürfen. Die Größe der Auslaufflächen und Weidegang sind beispielsweise vorgeschrieben, Schweinen dürfen die Schwänze nicht kupiert werden, Hühner müssen Zugang zu geschütztem Freigelände haben. Auch in der konventionellen Landwirtschaft gibt es gesetzliche Mindeststandards für die Tierhaltung. Im Öko-Landbau aber sind sie deutlich höher.

Gesünder?

Rund zehn Prozent der Agrarflächen in Deutschland werden ökologisch bewirtschaftet. Ob ihre Ernten immer gesünder sind, darüber streitet sich die Wissenschaft. Einige Studien fanden keine klaren Hinweise dafür, andere bestätigten in frischen Bioprodukten mehr gesundheitsfördernde Nährstoffe und Vitamine. Bio-Obst und -Gemüse enthielt beispielsweise mehr Antioxidantien, die vor Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützen können. Auch eine niedrigere Belastung mit möglicherweise krebserregendem Nitrat wurde nachgewiesen. Für Bio-Milch und -Fleisch konnte vor allem bei viel Auslauf und Weidefütterung der Tiere eine für den Menschen gesündere Fettsäuren-Zusammensetzung belegt werden. Vor allem aber das Risiko, schädliche Pflanzenschutzoder Düngemittel zu sich zu nehmen, ist bei Bio-Produkten deutlich minimiert bis nicht vorhanden.

Umweltfreundlicher?

Da Bio-Landwirte weder chemischsynthetischen Kunstdünger noch Pestizide einsetzen, gelangen weniger umweltschädliche Stoffe wie Stickstoff oder Nitrat in unser Grundwasser und unsere Böden. Biologisch bewirtschaftete Böden sind meist gesünder, humusreicher und können mehr Wasser speichern. Integrierte Hecken, Tümpel oder Streuobstwiesen erhöhen die Artenvielfalt auf Öko-Flächen. Die humusreicheren Bio-Böden binden mehr CO2, die bessere Wasserspeicherung lindert Auswirkungen des Klimawandels, etwa Dürren und Überschwemmungen.

Weil sie auf künstlichen Dünger verzichten, brauchen Bio-Höfe laut Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) bis zu einem Drittel weniger Energie, außerdem landen weniger Treibhausgase wie CO2 und Lachgas in der Atmosphäre.

Weidehaltung, wie sie in der Bio-Landwirtschaft häufig praktiziert wird, kann laut Studien klimafreundlicher sein als die ganzjährige Fütterung von Milchkühen mit Maissilage und Kraftfutter im Stall. Dafür gibt es mehrere Gründe: Ohne importiertes Soja als Futtermittel fallen CO2-Emissionen durch den Transport weg und Regenwaldflächen werden nicht beansprucht. Zudem stoßen Kühe weniger Methan aus, wenn sie hauptsächlich Gras fressen, wie Forschende der Christian-Albrechts-Universität in Kiel 2021 zeigten.

Was den Ausstoß von Treibhausgasen insgesamt angeht, ist allerdings umstritten, ob die biologische Landwirtschaft wirklich die Nase vorn hat. Gerechnet auf den Liter Milch oder das Kilogramm Fleisch können Emissionen stärker ins Gewicht fallen, da die Tiere im biologischen Landbau weniger Milch geben und langsamer Fleisch ansetzen.

Eine Studie des Instituts für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) konnte gar keine klaren Klima-Vorteile belegen – und sah manchmal sogar Nachteile von Bio-Lebensmitteln gegenüber konventionellen Produkten im Hinblick auf den CO2-Ausstoß, da sie aufgrund der geringeren Erträge mehr Anbaufläche benötigen.

Es bleiben aber beim Öko-Anbau auf jeden Fall die Vorteile wie ein geringerer Pestizideinsatz, eine nachhaltigere Bodenbewirtschaftung und ein größerer Artenreichtum. Bio allein rettet also vielleicht nicht das Klima, schont dafür aber Grundwasser, Boden und Artenvielfalt.

Fälschungen

Angebliche Bio-Eier, die in Wirklichkeit aus Käfighaltung im Ausland stammen oder mit „Bio“ gekennzeichnete Tomaten, die dennoch gespritzt wurden: Obwohl „Bio-“ und „Öko“-Lebensmittel in der EU strengen Vorschriften und Kontrollen während der gesamten Produktionskette unterliegen, kommt es immer wieder auch zu Betrug. Prüfberichte etwa werden gefälscht oder verbotene Substanzen eingesetzt. In einem der prominentesten Fälle verkaufte ein Schweinebauer zwischen 2011 und 2013 über 8000 konventionell aufgezogene Schweine als Bioware – und gestand schließlich vor Gericht.

Um solchen Lebensmittelbetrug zu bekämpfen, werden mittlerweile Datenbanken aufgebaut, in denen der spezielle „Fingerabdruck“ aller Lebensmittel gespeichert ist – also die Zusammensetzung von Fetten, bestimmten Nährstoffen, Mineralien. Biomilch beispielsweise hat durch das Grasfutter einen höheren Anteil einer bestimmten Omega-3-Fettsäure. Ist der Wert zu niedrig, ist eine Fälschung wahrscheinlich. Auf solchen Methoden wollen die Überwachungsbehörden zunehmend ihre Kontrollen aufbauen und Fälschungen schneller und einfacher finden als bisher.

Tipps zum guten Einkauf

Auch bei Bio-Lebensmitteln gilt: am besten saisonal, regional und unverpackt. Ein Saisonkalender kann helfen herauszufinden, welche Produkte gerade besonders empfehlenswert sind.

Wichtig ist beim Bio-Einkauf ein Siegel, denn Formulierungen wie „aus kontrolliertem Anbau“ oder „aus umweltschonender Landwirtschaft“ klingen gut, sind aber nicht geschützt und sollen oft nur den Eindruck von Bio-Produkten erwecken. Die Siegel von Bio-Verbänden wie Bioland, Naturland oder Ecovin haben meist noch strengere Kriterien als das EU-Siegel.

Wer ökologische Lebensmittel regional, zum Beispiel bei lokalen Bauernmärkten oder Hofläden kauft, unterstützt damit zugleich die heimischen Bio-Landwirte, die in der Direktvermarktung auf Kundschaft angewiesen sind. Manchmal lohnt es sich, direkt nach den Anbaubedingungen nachzufragen. Denn manche kleinen Höfe produzieren unter Biobedingungen, haben aber nicht die kostspielige und aufwendige Zertifizierung.

Auch wer auf den Preis achten muss, kann nach Bio Ausschau halten: Vor allem bei vielen unverarbeiteten und nicht-tierischen Produkten gebe es kaum Preisunterschiede, meint Britta Klein vom Bundeszentrum für Ernährung in Bonn. Das Marktforschungsinstitut AMI fand heraus, dass sich Bio-Lebensmittel in der Inflation um sieben Prozent verteuert haben, konventionelle Produkte aber sogar um zwölf Prozent. Grund sei unter anderem der teurere Dünger, den konventionelle Landwirte benötigen.

Wer einen Bioladen in der Nähe hat, braucht ebenfalls nicht immer tiefer in die Tasche zu greifen als im regulären Handel: Ein Experiment des Hessischen Rundfunks zeigte nur geringe Preisunterschiede zwischen Bio-Lebensmitteln aus dem Discounter im Vergleich zum regionalen Bioladen.

„Die ökologische Landwirtschaft leistet einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft“, ist sich Britta Klein sicher – und deshalb seien höhere Preise, die gerade bei tierischen und verarbeiteten Produkten anfallen, durchaus gerechtfertigt. „Sie wirkt sich positiv auf unsere Gewässer, Böden und die Artenvielfalt aus. Diese Leistungen sollten auch entsprechend honoriert werden.“ Und obwohl die Supermarktketten auch bei Bio-Produkten die Preise drücken, seien „Bio-Spaghetti aus dem Supermarkt immer noch besser als keine Bio-Spaghetti“.

Lisa-Maria Mehrkens ist selbstständige Journalistin, Autorin und Psychologin (lisamariamehrkens.com).

Der regionale Bioladen "grüne Perle" in Witten. Foto: Jan Hagelstein

Regionale Bioprodukte im Ruhrgebiet – die „grüne Perle“ zeigt, wie es geht!

Regionale Bio-Lebensmittel zu fairen Preisen? Das muss keine Utopie bleiben! Eine Gruppe engagierter Menschen hat einen Regionalladen in der Wittener Innenstadt gegründet. Dort verkaufen Erzeuger aus dem Umkreis ihre Waren. Benjamin Kleine Vennekate erzählt, warum es sich lohnt mitzumachen.

Wer durch unseren Laden geht, der erspürt Hoffnung. Nicht nur, weil Wände, Ladentheken und Gemüseregale in grüner Farbe erstrahlen und regional erzeugte Lebensmittel hier sichtbar wertgeschätzt werden, sondern auch weil Menschen wieder anfangen, in der Wittener Innenstadt einzukaufen, wo in den letzten Jahren so viele Läden geschlossen haben. Wir setzen einen Gegentrend. Das war uns wichtig bei der Gründung.

Wenn ich freitagvormittags meinen ehrenamtlichen Dienst im Laden leiste, treffe ich keine Kunden, ich treffe Gleichgesinnte – Landwirte, Schreinerinnen, Cafébesitzer, Sozialpädagoginnen, Rentner. Ich begegne einer Stadt, die anfängt, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

MARKTMACHT DER DISCOUNTER

Mitte August 2022 hat die „grüne Perle“ für alle Liebhaber regionaler Bio-Produkte feierlich ihre Türen geöffnet. Eine Initiative hatte beschlossen, groß zu träumen und verschiedenen Missständen entgegenzutreten. Unnötig lange Transportwege für Erzeugnisse, die eigentlich auch ganz in der Nähe hergestellt werden können, und viele Praktiken konventioneller Landwirtschaft halten wir in Zeiten des Klimawandels nicht mehr für angemessen. Außerdem beschäftigten uns die herrschenden Dumpingpreise für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Die vier großen Supermarktkonzerne – Aldi, Edeka, Rewe und die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland – haben in Deutschland einen Marktanteil von über 85 Prozent – und damit eine unverhältnismäßig große Marktmacht gegenüber Lieferanten. Erst im letzten Jahr hat Oxfam eine Auflistung unfairer Handelspraktiken veröffentlicht, unter denen vor allem landwirtschaftliche Familienbetriebe leiden: geforderte Rabatte, nicht vereinbarte Rückgabe von Waren und rückwirkende Vertragsänderungen mit hohen Geldforderungen. Das „kann bedeuten, dass Supermarktketten nach Ablauf des Geschäftsjahres oder des Vertrages fünf- bis sechsstellige Geldbeträge von den Lieferanten verlangen – nur weil sie die Macht haben, das zu tun“, schreibt Oxfam in seinem Bericht.

Wir glauben an eine Lösung, die alle mit ins Boot holt: Landwirte und Konsumentinnen – und wir denken, dass regionale, solidarische und nachhaltige Lösungen für viele der genannten Probleme die besten sind. Nicht zuletzt wünschen wir uns selbst hochwertige und frische Bio-Lebensmittel, die uns schmecken, gesund halten und deren Wertschöpfungskette inklusive der Transportwege wirklich nachhaltig ist.

MIT 100 EURO EINSTEIGEN

Darum wagten wir im Frühjahr 2022 den Schritt und gründeten die “Wittener Regional e. G.”, eine Genossenschaft, aus der heraus der Regionalladen “grüne Perle” entstehen sollte. Die Idee: Wir bauen ein Netzwerk aus regionalen Erzeugern auf, die ihre Produkte wie Obst, Gemüse, Brote und viele weitere Lebensmittel direkt ins Zentrum der Stadt liefern und so eine große Kundschaft erreichen.

Mit Erfolg: Innerhalb weniger Monate hatten wir fast 40 Produzenten gefunden, die den Regionalladen gerne regelmäßig versorgen wollten. Die meisten von ihnen müssen weniger als 30 Kilometer zum Regionalladen zurücklegen. Obwohl das Ruhrgebiet einer der größten Ballungsräume Europas ist, werden überall auch hochwertige Bio-Lebensmittel erzeugt. Wie beispielsweise bei den Jungs vom “Hevener Feld”.

Vor einem Jahr mieteten Jonas Dietrich und Matthias Brohl ein Stück Acker am Wittener Stadtrand und betreiben nun eine solidarische Landwirtschaft: Interessierte kaufen Ernte-Anteile und können sich dann von April bis November einmal in der Woche eine Gemüse-Kiste abholen. In diesem Jahr wurden 160 Kisten bestückt – die Warteliste ist lang.

Diese und viele weitere Erfolgsgeschichten im Bereich der urbanen Landwirtschaft möchten wir mit der „grünen Perle“ fördern und zugleich in der Stadtbevölkerung wieder ein Bewusstsein für den hohen Wert von Lebensmitteln schaffen. Unsere Strategie: Partizipation! Jede und jeder kann mit einem Anteil von 100 Euro einsteigen und Miteigentümer der „Grünen Perle“ werden. Der Laden ist also nicht die Sache irgendeiner Geschäftsführung, sondern alle machen mit, alle entscheiden. Und gemeinsam haben wir beschlossen, mit Hilfe der Einnahmen durch die verkauften Anteile ein leerstehendes Ladenlokal mitten in der Fußgängerzone zu mieten. Die Eigentümerin war begeistert von unserer Idee und gewährte uns für die ersten Monate einem Mietrabatt. Auch der Ladenumbau durfte nicht zu teuer werden. Darum investierte ein Heldenteam aus Freiwilligen über Monate hinweg Freizeit und Fähigkeiten in den Ladenumbau. Je mehr der Laden seine fertige Form annahm, desto häufiger hielten Passantinnen und Passanten an und nachdem die lokale Presse intensiv über das Projekt berichtet hatte, stieg die Zahl der Genossenschaftsmitglieder auf über 350 Personen. Warum ich einer von ihnen bin? Ich mag den Bibelvers aus Jeremia 29,7: „Suchet der Stadt Bestes…, denn wenn‘s ihr wohl geht, so geht’s euch gut.“ Als Team haben wir festgestellt, dass uns unsere Stadt sehr am Herzen liegt und wir einen Beitrag leisten wollen, damit das Leben, Einkaufen und der Aufenthalt für alle Beteiligten besser wird.

Benjamin Kleine Vennekate ist Produktmanager an der Universität Witten/Herdecke. Mehr zur „Grünen Perle“ online: wittener-regionalladen.de

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Eigentlich müsste niemand hungern

Ein Drittel unserer Lebensmittel landet im Müll. Almut Völkner erklärt, was das bedeutet und was wir dagegen tun können.

Wäre das nicht absurd? Wir backen einen leckeren Kuchen. Dann lösen wir ihn aus der Form und dritteln ihn. Ein Drittel des Kuchens packen wir auf einen schönen Teller. Damit gehen wir aber nicht zur Nachbarin und auch nicht zu Freunden. Nein, wir gehen damit zur Mülltonne und schmeißen ihn weg.

Zwei Milliarden mehr ernähren

Mir tut diese Vorstellung weh. Doch laut Welternährungsorganisation passiert genau das im übertragenen Sinne tagtäglich: Ein Drittel aller Lebensmittel weltweit landet im Müll. Bei einem Kuchen können wir uns ein Drittel gerade noch vorstellen. Doch denkt man globaler, kommt man schnell auf unfassbare Zahlen, die in vielen Ländern Schätzungen bleiben müssen, weil Daten fehlen. Doch in Deutschland musste das Bundesregierung die Zahlen gerade an die EU-Kommission melden: 10,92 Millionen Tonnen sind 2020 allein in Deutschland auf dem Müll gelandet. 10.920.000 Tonnen. Das sind 10.920.000.000 Kilogramm. In der Schweiz sind es Laut ETH Zürich 2.800.000.000 Kilogramm. Und all das sind eindeutig zu viele Nullen.

Mich machen diese Zahlen absolut fassungslos. Ich wusste, dass viele Lebensmittel weggeworfen werden. Aber wie enorm hoch diese Zahlen sind, das weiß ich erst seit Kurzem. Lebensmittelverschwendung ist ein ethisches Problem. Das würden viele so sehen. Aber wie absurd es ist, zeigt sich, wenn man einen Blick auf wichtige Zahlen wirft: Von 7,9 Milliarden Menschen auf der Erde haben laut Welthunger-Index 2021 über 800 Millionen nicht genug zu essen. Mehr als jeder zehnte Mensch auf diesem Planeten leidet Hunger. Während wir Lebensmittel wegschmeißen. Genau genommen könnten wir laut Welternährungsorganisation sogar zwei Milliarden Menschen mehr ernähren, wenn Lebensmittel, die noch genießbar sind, nicht weggeworfen würden. Denn wie wir alle gerade erst am Beispiel von Weizen und Sonnenblumenöl vorgeführt bekommen haben, gehören auch Lebensmittel zum globalen Welthandel. Je mehr wir verschwenden und damit verbrauchen, desto höher die Nachfrage und die globalen Preise.

Einsparpotenzial: Ein Sechstel der Fläche

Neben den skandalösen Hunger-Zahlen sind auch die vergeudeten Ressourcen ein Problem. Denn für die Lebensmittel, die in Landwirtschaft und Industrie, im Handel, in Restaurants und in privaten Haushalten weggeworfen werden, wurden jede Menge Wasser, Energie und ganze Hektare an Land verbraucht. Laut einer Studie des WWF Deutschland könnte durch vermeidbare Lebensmittelverluste eine Fläche von über 2,6 Millionen Hektar eingespart werden – fast 15 Prozent der gesamten Fläche, die wir in Deutschland für unsere Ernährung benötigen. Auch das Klima wird zusätzlich belastet. Schätzungen zufolge entstehen acht bis zehn Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen für Nahrungsmittel, die nie gegessen werden. Im „Food Waste Report 2021“ erklärt das Umweltprogramm der Vereinten Nationen: „Wenn der Verlust und die Verschwendung von Lebensmitteln ein Land wären, wären sie die drittgrößte Quelle von Treibhausgas-Emissionen.“

Die deutsche Bundesregierung will mit einer „Nationalen Strategie gegen Lebensmittelverschwendung“ gegen das Problem vorgehen. Die Wertschätzung für Nahrungsmittel soll in der gesamten Kette von Ernte über Verarbeitung und Handel bis zu Privatpersonen und Gastronomie geschärft werden. In der Schweiz hat der Bundesrat gerade im April einen Aktionsplan verabschiedet mit dem Ziel, die Verschwendung bis 2030 gegenüber 2017 zu halbieren.

Private Haushalte verursachen besonders viel Biomüll

Einer, der ganz dringenden Handlungsbedarf sieht, ist der Nürnberger Jesuit Jörg Alt. Im Dezember 2021 hat er sich einer Aktion zum sogenannten „Containern“ angeschlossen. Dabei werden aus den Müllkübeln von Supermärkten noch genießbare Lebensmittel geholt, um sie zu verwerten und vor der Vernichtung zu retten. Juristisch ist das Diebstahl, weil auch der Müll den Supermärkten gehört. Um auf die Sache aufmerksam zu machen, hat Pater Alt nach seiner Container-Aktion Anzeige gegen sich selbst erstattet und damit medial einige Öffentlichkeit erregt.

So weit muss vielleicht nicht jeder gehen. Aber dass alle einen Beitrag leisten können, zeigen die Zahlen: Denn 59 Prozent der 10,92 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle fielen in privaten Haushalten an. Abfälle, für die wir übrigens natürlich auch bezahlt haben. Ein Großteil davon waren Obst und Gemüse, gefolgt von Backwaren, Getränken und Milchprodukten, aber auch fertig zubereitete Mahlzeiten landen regelmäßig im Müll. Insgesamt produzieren wir im Schnitt somit 78 Kilo Lebensmittelabfälle pro Kopf und Jahr.

Deshalb will ich mir die Frage gefallen lassen: Was kann ich selbst dafür tun, um Lebensmittel wertzuschätzen und weniger wegzuschmeißen?

Das kann ich tun

Die Grundregeln: Einkäufe gut planen, einen Einkaufszettel erstellen, einen Überblick über die Vorräte behalten, nicht zu Spontankäufen oder Großpackungen verlocken lassen, sondern nur das in den Einkaufskorb legen, was wirklich gebraucht wird. Die richtige Lagerung hilft, dass Lebensmittel nicht verderben, sondern möglichst lange halten. Bei abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum nicht sofort ans Wegwerfen denken, sondern genau hingucken, dran riechen, probieren.

Als Familie starteten wir vor einigen Jahren das Experiment „ewiger Speiseplan“: Dafür haben wir Mahlzeiten für zwölf, später für 16 Wochen festgelegt, deren Reihenfolge sich dann immer wiederholt. So lässt sich der Wocheneinkauf gut planen. Frische Zutaten kaufen wir am Tag davor dazu. Mittlerweile kenne ich fast alle Rezepte auswendig und weiß genau, was wir benötigen, sodass kaum Reste übrigbleiben. Weiterer Vorteil: Das ewige Nachdenken, was man heute kochen könnte, entfällt. Flexibilität erhalten wir uns durch Wunsch- und Saisontage.

Und sollte doch mal etwas übrigbleiben vom Mittagessen, schaue ich gern auf der Website Restegourmet.de nach, auf der man Rezepte nach den Zutaten suchen kann, die man aufbrauchen möchte. Auch bei Frag-Mutti.de finden sich viele alltagstaugliche Rezepte zur Resteverwertung. Ähnlich funktioniert die App von „Eat Smarter“.

Seit einer Weile sind wir zudem Fans der App „To Good To Go“. Bäckereien und Läden bieten dort zu günstigen Preisen meist Backwaren und frische Produkte an, die sonst weggeworfen werden würden.

Wer noch engagierter ist, kann sich bei Foodsharing.de registrieren. Privatpersonen holen hier bei Betrieben, die mitmachen, Lebensmittel ab und geben sie an andere weiter, oft zu festen Zeiten, an festen Orten, sogenannten Fairteilern. Bei allen guten Ideen: Vor allem hilft das Bewusstsein, dass Lebensmittel etwas Wertvolles sind. Dass für ihre Herstellung sehr viele Ressourcen gebraucht und verbraucht werden und wir einen großen Beitrag dazu leisten können, Lebensmittelverschwendung einzudämmen.

Almut Völkner schreibt unter almut-wortkunst.de

Schon abgelaufen – trodem genießbar?

Dran schnuppern und probieren sollte man immer, aber die meisten Lebensmittel in unbeschädigten Verpackungen sind auch über das Haltbarkeitsdatum hinaus noch gut.

Sehr viel länger haltbar:
Salz, Zucker, Marmelade, Honig, Konserven, trockene Hülsenfrüchte, Senf, eingeschweißter Kaffee und Kakao

Meistens länger haltbar:
Nudeln, Mehl, Süßwaren, Knabberkram, Eis, Eingemachtes, Reis, H-Milch

Sorgfältig prüfen:
Milchprodukte, Säfte

Extrem kritisch sein:
Fleisch, Wurst, Fisch, Nüsse

7 Tipps gegen Food Waste

• Einkäufe planen
• Vorräte vorher checken
• An den Einkaufszettel halten
• Spontankäufe und unnötige Großpackungen meiden
• Lebensmittel richtig lagern
• Abgelaufenes nicht automatisch wegwerfen, sondern auf Genießbarkeit prüfen
• Rezepte finden, um Reste zu verwerten

Lebensmittelabfälle

10,92 Mio. Tonnen pro Jahr in Deutschland

59 % private Haushalte
17 % Gastronomie
15 % Lebensmittelverarbeitung
7 % Handel
2 % Landwirtschaft

(Quelle: Statistisches Bundesamt)

Vermeidbare Lebensmittelverschwendung in privaten Haushalten

4,0 % Fleisch & Fisch

6,9 % Sonstiges

5,9 % Fertigprodukte

8,9% Milchprodukte

11,9% Getränke

14,9 % Zubereitetes

12,9 % Backwaren

34,7 % Obst & Gemüse

(Quelle: Gesellschaft für Konsumforschung 2020)