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Gründerinnen Constanze Klotz und Charlotte Erhorn. Foto: Bridge and Tunnel

Nachhaltige Mode: Neue Jeans aus alten Stoffen

Bei „Bridge and Tunnel“ stellen talentierte Frauen aus verschiedenen Ländern aus zerschlissenen Jeans neue Schätze her. Die Entwürfe des Hamburger Labels wurden schon mit dem German Design Award ausgezeichnet.

In einem Gewerbegebiet im Hamburger Süden, hinter Reifenhandel und Autolackiererei, kommt links die Einfahrt. Die Gebäude hier ähneln denen anderer Gewerbekomplexe, aber dieses Areal wirkt nicht anonym und menschenleer. Topfpflanzen und Lastenräder stehen vor den Türen, Menschen werkeln herum, eine Gruppe Schüler hält Raucherpause auf dem Hof. Etliche Vereine und Sozialträger haben sich hier angesiedelt: Kleiderkammer, Sprachkurse, ein alternativer Kaffeehandel. Mittendrin, irgendwo im zweiten Stock: ein 280 Quadratmeter großes Atelier. In Regalen hoch bis zur Decke sind ausrangierte Jeans gestapelt.

ZUKUNFTSPROZESS

Das Modelabel Bridge&Tunnel ist hier seit 2016 zu Hause – anfangs unter dem Dach eines Sozialträgers, mittlerweile als eigenständige GmbH. Von Schmucketuis über Hipbags und Jacken bis hin zu großen Plaids sind mittlerweile viele Produkte im Online-Shop erhältlich. Daneben werden Upcycling- und Reparaturaufträge verschiedener Firmen und Vereine übernommen.

Im Atelier herrscht gelöste Konzentration. Am Fenster arbeiten Näherinnen aufmerksam über ihre Maschinen gebeugt. Am großen Schneidertisch in der Mitte fachsimpeln Mitarbeiterinnen über neue Entwürfe für Weihnachten.

Seine Wurzeln kann das kleine Unternehmen bis zu einem Projekt eines engagierten Bürgerkreises zurückverfolgen, der um das Jahr 2000 einen Zukunftsprozess für den verwahrlosten Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg anstieß. Behörden wurden ins Boot geholt und gemeinsam erarbeitete man Perspektiven: neue Wohnungen, verbesserte Verkehrsanbindung und Bildung. Schließlich nahm man die anstehende Internationale Bauausstellung 2013 zum Anlass, den Stadtteil auf der Elbinsel unter ganz verschiedenen Gesichtspunkten weiterzuentwickeln. Auch Kultur- und Kreativprojekte sollten begleitend im international geprägten Stadtteil entstehen.

Das war der Punkt, an dem Constanze Klotz dazustieß. Ich treffe sie im Atelier. Sie führt mich von der großen offenen Halle über eine Stahltreppe hinauf zur Balustrade mit Blick über das Geschehen. An einem Holztisch nehmen wir Platz und sie erzählt von den Kreativprojekten der IBA, deren Projektleitung sie als Kulturwissenschaftlerin übernahm. „Wir wussten, hier auf der Elbinsel beherrschen viele Leute das Handwerk noch ganz anders, weil es in ihrem Herkunftsland eine andere Rolle spielt“, erzählt Conny. „Deshalb hat die IBA damals gesagt: Ein Ort, wo textile Skills gefördert werden, wäre doch total cool.“

Geplant wurde ein Coworking-Space für Mode- und Textildesign, mit viel Freiraum für Kreativität. Nähmaschinen und Geräte für Siebdruck standen bereit. Allein übernehmen wollte Conny das Projekt auf Dauer aber nicht: „Ich kann ganz vieles, aber nicht nähen, und so haben wir jemanden gesucht, der den operativen Bereich stemmt und Workshops konzipiert.“ Das Jobangebot teilte Conny über Facebook, wo sie seit ein paar Jahren auch schon mit Charlotte Erhorn lose verbunden war. „Zwei Minuten später hat Lotte mir eine E-Mail geschrieben: ‚Conny, du suchst mich!‘“ Lotte war gerade in den Stadtteil gezogen und wünschte sich eine Teilzeitstelle im Kreativbereich. „Wir waren also erst Kolleginnen und sind dann richtig gute Freundinnen geworden. Und ich glaube, es ist total gut, dass wir ohne Gepäck erst mal in die berufliche Beziehung gestartet sind, und dann konnte sich über die gegenseitige berufliche Wertschätzung auch die private etablieren.“

NÄHKURS IN DER MOSCHEE

Nach dem Anschub durch die Bauausstellung ging der Co-Working-Space an einen sozialen Träger über. Kreative mieteten sich ein, Menschen aus der Nachbarschaft kamen zu Workshops. Jemand erzählte von einem Nähkurs in der Moschee, für den jedes Mal alle Maschinen hin- und hergeräumt werden mussten. Conny und Lotte luden die Frauen kurzerhand in ihre Räume ein. Zu sehen, welche großen Nähfertigkeiten sie aus ihren Herkunftsländern mitgebracht hatten, führte zu weiteren Überlegungen. „Bei uns in Deutschland braucht man ja für alles Zertifikate und Diplome“, sagt Conny, „aber man kann großartige Talente und Fähigkeiten nicht nur damit messen.“ Viele der Frauen waren schon seit 15 oder 20 Jahren in Deutschland, hatten aber noch nie eine sozialversicherungspflichtige Stelle gehabt. „Wir haben gesagt: ‚Näh doch mal vor, zeig doch mal, ob du dieses Produkt nähen kannst‘“, erzählt Conny. „‚Wie lange brauchst du dafür? Wie ist die Qualität?‘ Wenn man sich die Zeit nimmt, kann man ziemlich gut erfassen, ob es passt.“

Und bei vielen Frauen passte es. Conny und Lotte trafen die Entscheidung: Sie gründeten ein Label, das Menschen in Arbeit bringt, die sehr gut nähen können, unabhängig davon, ob sie ein Zeugnis haben. Es geht ihnen um die Frauen, aber auch darum, das lokale Handwerk wieder stark zu machen. „Wir versuchen, textiler Arbeit ein Gesicht zu geben, dass die Leute sichtbar werden, die die Produkte nähen“, sagt Conny. Das geschieht zum Beispiel dadurch, dass auf den Waschlabels in den Produkten immer reihum eine Näherin unterschreibt. Und öfter reagieren Kundinnen darauf und mailen zurück: ‚In meinem Blouson steht drin, er wurde von Mandeep genäht. Vielen lieben Dank noch mal an Mandeep!‘ Das stärkt die Wertschätzung für die Menschen, aber auch für die Mode. Gut vorstellbar, dass Kleidungsstücke, deren Geschichte man ein bisschen kennt, länger und sorgsamer getragen werden.

EXPERIMENTE MIT JEANS

Der Labelname Bridge&Tunnel spielt auf die Lage des Stadtteils an: Gelegen auf einer Flussinsel, ist er nur über Brücken und Tunnel zu erreichen. Vielleicht nicht zufällig erinnert er auch an Gürtelschlaufen und Hosenbeine – und ganz sicher daran, dass Frauen hier eine Brücke in den Arbeitsmarkt finden.

Das Signature Piece, das wiedererkennbare Stück in ihrem Online-Shop, ist das Oberteil aus schräg zusammengenähten Jeansteilen, den es als Sweater und Blouson gibt. Schon zu Zeiten vom Coworking-Space hatten sie die LKWs beobachtet, die regelmäßig die Kleiderkammer auf demselben Gewerbehof belieferten – randvoll beladen mit Altkleidern. Darunter viele Jeans. Damit begannen sie zu experimentieren. „Wenn Jeans kaputtgehen, sind die ja maximal am Knie, am Popo kaputt. Aber die komplette Beinvorder- und Rückseite kann man noch supergut benutzen, wenn man sie in Filetstreifen schneidet.“ So nahmen sie die Hosen, die zu zerschlissen waren, um sie noch an Bedürftige weiterzugeben, mit in die Werkstatt und experimentierten. „Wir haben einen Teppich geflochten, ein paar Taschen ausprobiert und haben gemerkt: Das ist ein richtig gutes Material.“

Micht alle ihre Stücke sind aus Jeans, aber alle wurden schon einmal benutzt oder stammen aus Produktionsresten. Und das ganz bewusst.

SCHON EINMAL GELIEBT

„Mode ist ein krasser Klimakiller“, erklärt Conny. „Viele Leute wissen das nicht oder blenden es aus. Aber die Textilindustrie mit allen Stoffen und Vorhängen, Berufsbekleidung und so weiter ist laut Schätzungen für mehr Treibhausgase verantwortlich als Flugindustrie und Kreuzfahrt.“ Berechnungen gehen davon aus, dass weltweit bald 200 Milliarden Kleidungsstücke produziert werden – jedes Jahr. Mitsamt allen Konsequenzen wie Ressourcenverbrauch und CO2-Output. Die Frage ist: Wie lässt sich die Modeindustrie umkrempeln?

Ein zukunftsfähiger Ansatz ist, Materialien zu nutzen, die bereits da sind. „Deshalb verarbeiten wir nur Jeans, die schon mal an zwei Beinen durchs Leben gelaufen sind“, sagt Conny schmunzelnd. Zusätzlich wird der Lagerbestand für den Shop bewusst überschaubar gehalten. Produziert wird, wenn Kundinnen und Kunden bestellen. Verpackt und verschickt wird gleich vor Ort.

Neben dem Shop für Privatkunden setzen Conny und Lotte auf die Zusammenarbeit mit Unternehmen und Vereinen. Auch hier sind immer gebrauchte Stoffe im Spiel. Mal werden alte Banner auf Wunsch zu Weekendern oder ausrangierte Arbeitskleidung zu Hipbags, mal werden Waren repariert, die mit kleinen Fehlern angeliefert wurden. Ein allgemeiner Reparaturservice ist das neuste Standbein.

IMMER KREATIVE LÖSUNGEN

Die Daseinsform von Bridge&Tunnel sei für manche schwer zu greifen, erzählt Conny. „Wir empfinden uns da als Weltenwandlerinnen. Manchen sind wir für eine Zusammenarbeit zu sozial, für manche Fördergelder sind wir zu wirtschaftlich.“ Schwarze Zahlen schreibt Bridge&Tunnel auch nach sieben Jahren noch nicht ganz. „Als kleines Unternehmen zwei Jahre Pandemie abzufedern, war schon crazy genug“, sagt Conny. „Dann startet der schreckliche Krieg in der Ukraine. Inflation und Konjunkturschwäche erschweren natürlich gerade kleinen Firmen mit wenig Rücklagen das Leben.“ Leute gucken stärker, wofür sie Geld ausgeben – und landen oft wieder bei Fashion und Waren, die billig zu haben sind. Verständlich, findet Conny, ihr gehe es nicht anders, aber es gefährde aktuell viele Firmen und Initiativen, die fair und nachhaltig arbeiten – Modelabel genauso wie Unverpacktläden und Biobetriebe. „Und dann gehen die Konzepte nicht auf, obwohl die eigentlich genau das transportieren, was wir uns doch für die Zukunft wünschen.“

Das Gehalt einiger Mitarbeiterinnen wird durch ein Programm des Jobcenters gefördert, was sehr hilft. Und sonst bleiben sie hartnäckig, um immer wieder kreative Lösungen zu finden: „Wir machen viel Fundraising, haben seit sieben Jahren eine tolle Partnerschaft mit einer großen Firma, seit letztem Jahr haben wir einen Investor an Bord.“

ZEIT FÜR NACHHALTIGKEIT

Wenn man mit Conny spricht, kann man sich ihren Spaß am Netzwerken gut vorstellen – und ihr Geschick, auch mit Wirtschaftsleuten über Kooperationen ins Gespräch zu kommen. Eine ansteckende Leidenschaft für die Themen hilft sicher zusätzlich – und Lotte mit ihrer Begabung für Design, Technik und Finanzfragen klingt nach der perfekten Business-Partnerin.

Ihre Mitarbeiterinnen arbeiten bewusst nur 20 Stunden, damit genug Zeit für Familie und anderes bleibt. Für die Gründerinnen gilt das nicht: „Wir arbeiten rund um die Uhr“, lacht Conny, „aber mit voller Begeisterung.“ Drei Tage sind beide im Atelier, zwei Tage im Homeoffice. Beide haben zwei Kinder und ihren Alltag gut organisiert. „Wenn keiner krank ist, läuft das super“, sagt Conny. Ihre erste Tochter kam im zweiten Jahr nach der Gründung zur Welt und stand oft in der Babywippe im Atelier – zur Freude der Mitarbeiterinnen. Und auch heute kommen die Kinder öfter mal mit, wenn Betreuung ausfällt und auch die Väter Termine haben. Ohnehin ist es ihnen wichtig, ihren Kindern die Werte von Nachhaltigkeit und Wertschätzung zu vermitteln. Und nicht nur ihnen. „Wir wollen auch in die Gesellschaft hineinwirken und sagen: Mode ist kein Bubble-Thema. Sie geht uns alle an. Niemand ist nackt.“

Wir alle treffen dauernd Kaufentscheidungen. Und ob wir Gebrauchtes kaufen, auf Siegel achten oder billige Schnäppchen jagen, hat Auswirkungen. Für nachhaltige und oftmals hochpreisige Modelabels hat allerdings nicht jeder das passende Budget. „Und das sind auch nicht diejenigen, an die wir uns wenden. Wir richten uns an diejenigen, die die Möglichkeit hätten, sich die Zeit zu nehmen, um nachhaltiger zu kaufen, es aber – auch aus Gewohnheit an Fast Fashion – nicht tun.“

VIELFALT VON WEGEN

Eine faire Produktion aus gebrauchten Materialien in Deutschland ist zweifellos nachhaltig, aber auch für Conny nicht der einzige Ansatz. Denn ob es sinnvoll wäre, unsere sämtliche Kleidung komplett in Europa fertigen zu lassen, ist fraglich. Zum Beispiel, weil dann Näherinnen in Bangladesch oder Vietnam arbeitslos würden. „Ich glaube, es braucht ganz viele verschiedene Ansätze, die auf unterschiedliche Art nachhaltig sind“, sagt Conny. Secondhand gehört genauso dazu wie faire Fabriken im Globalen Süden oder auch das Recycling von Fasern aus abgetragener, geschreddeter Kleidung.

„Unsere Textilien, die wir upcyceln, sind ja schon hier – die zurück nach Bangladesch zu transportieren, macht keinen Sinn.“ Gleichzeitig müssen konsequente Lieferkettengesetze für menschenwürdige Arbeitsbedingungen im Globalen Süden sorgen. Wenn Arbeiterinnen Windeln tragen müssen, weil in ihren 14-Stunden-Schichten keine Zeit ist, aufs Klo zu gehen, dann liegen die notwendigen Verbesserungen auf der Hand. „Und das klappt vor allem dann, wenn wir uns bewusst werden, wie wir konsumieren“, sagt Conny. „Denn natürlich gibt es eine Wechselwirkung: Wenn wir weiter günstige Kleidung nachfragen, wird immer weiter viel günstige Kleidung produziert.“

Wie man es dreht und wendet – am Ende ist und bleibt aber der entscheidende Schlüssel für den Modekonsum die Menge: Wenn wir meinen, viel Neues zu brauchen, werden viele Ressourcen verbraucht, Müll und Emissionen fallen an – und die Preise müssen niedrig sein. Wenn wir uns auf wenige Teile beschränken, kann das einzelne Kleidungsstück mehr kosten und eine faire Produktion wird möglich.

Sich selbst nehmen die beiden Unternehmerinnen aus dieser Denke nicht heraus. In diesem Jahr haben sie sich beide eine Challenge gestellt: Lotte hat sich eine „Capsule Wardrobe“, eine feste Garderobe aus 30 Kleidungsstücken zusammengestellt – ausschließlich aus Second-Hand-Stücken. Conny hat eine „Outfit Repetition“ gemacht: Vier Wochen lang hat sie jeweils ein Kleidungsstück eine Woche lang getragen und immer anders kombiniert. „Ich kenne jetzt viel mehr Kombinationsmöglichkeiten für meine Kleidungsstücke. Es ist eben alles Übung.“

Übung hilft zweifellos beim nachhaltigen Modekonsum – und Wertschätzung gehört unbedingt dazu: Wertschätzung für Kleidung, Menschen, Talente, Stoffe, Handwerk, letztlich für unsere Schöpfung. Als ich die Stahltreppe wieder heruntersteige, arbeitet gerade eine Mitarbeiterin am Schneidertisch. Auf ihrem T-Shirt steht: „Liebe. Immer.“ Wie passend hier, denke ich.

Anja Schäfer ist Redaktionsleiterin von andersLEBEN. Online-Shop von Bridge and Tunnel: bridgeandtunnel.de

Symbolbild: Getty Images / E+ / pixelfit

Nachhaltige Mode: Mit diesen Tipps finden Sie sich im Fairtrade-Dschungel zurecht

Umweltsiegel, Second Hand und Capsule Wardrobe: Fairtrade-Mode kann überfordern. Dabei helfen schon kleine Tricks beim nachhaltigen Kleiderschrank.

Wie viele Kleidungsstücke besitze ich eigentlich? Diese Frage stellte ich mir vor ein paar Wochen, als ich mit der frisch gefalteten Wäsche vor meiner Kommode stand und erfolglos versuchte, alle Klamotten darin zu verstauen. Egal, wie sehr ich versuchte, zu quetschen und zu puzzeln: Meine Kommode ging nicht mehr zu. Der Stapel mit Pullis passte einfach nicht hinein.

5,8 Millionen Tonnen Kleidung landen im Müll

Etwa 60 neue Kleidungsstücke kaufen wir hierzulande jährlich, sagt die Umweltorganisation Greenpeace. Ich würde mich in Sachen Kleidung eigentlich als eher sparsam bezeichnen, und trotzdem haben sich in meinem Schrank 116 Teile angesammelt, von denen ich die Hälfte im letzten Jahr nicht einmal getragen habe. Nimmt man Socken und Unterwäsche dazu, wird die Zahl noch viel größer. 5,8 Millionen Tonnen Kleidung landen in Europa im Müll – pro Jahr. Nur ein kleiner Teil davon wird recycelt, weil die Fasern für die Wiederaufbereitung nicht geeignet sind oder die Kleidungsstücke aus Fasergemischen bestehen, die sich nicht sauber voneinander trennen lassen. Das meiste landet deshalb auf der Müllkippe oder wird verbrannt.

Wie genau es in der Fashion-Industrie aussieht, habe ich bei Sandra Dusch Silva erfragt. Sie ist Expertin für nachhaltige Lieferketten bei der Christlichen Initiative Romero (CIR), einem Verein, der sich mit Kampagnen- und Bildungsarbeit für ein gerechtes Wirtschaftssystem engagiert. Die Zahlen sind gigantisch: Die Fashion-Industrie verbraucht weltweit pro Jahr 98 Millionen Tonnen Erdöl, 79 Milliarden Kubikmeter Wasser – etwa anderthalb Mal so viel, wie der Bodensee fasst – und stößt fast 1.500 Tonnen CO2 aus. Zudem werden mehrere Millionen Tonnen umweltschädlicher Materialien produziert.

Die Angestellten seien diesen Chemikalien oft ohne ausreichende Schutzkleidung ausgesetzt, ihre Löhne reichten kaum zur Existenzsicherung und wer sich für bessere Arbeitsbedingungen in Gewerkschaften organisieren wolle, verlöre leicht seinen Job, erzählt Sandra Dusch Silva. Und in der Coronazeit habe sich diese Situation noch verschärft: „Es zeichnet sich ab, dass viele während der Pandemie dort nicht arbeiten konnten und damit auch nicht entlohnt wurden. Das hat die ökonomische Abhängigkeit noch verstärkt – die Schere zwischen Arm und Reich geht so global immer weiter auseinander.“

Welches Nachhaltigkeitssiegel ist passend?

Wenn ich das so höre, vergeht mir die Lust auf neue Kleidung. Aber gar nichts zu kaufen, ist natürlich keine Lösung, schließlich sind Kleidungsstücke Verbrauchsgegenstände – irgendwann gehen sie kaputt und müssen ersetzt werden. Auch wenn das bei meiner vollen Kommode womöglich noch ein Weilchen dauert. Was aber kann ich tun, um meinen Kauf möglichst nachhaltig zu gestalten? Weil ich als Endverbraucherin kaum selbst herausfinden kann, wo und wie Kleidung produziert wurde, sind Siegel eine gute Hilfe. Sie werden von Prüforganisationen vergeben, die die Herstellungsbedingungen der Kleidung überwachen.

Meist konzentriert sich ein Siegel nur auf einen Aspekt der Herstellung, zum Beispiel die Herkunft der Rohstoffe oder die faire Bezahlung. „Ein Siegel bedeutet nicht, dass es gar keine Probleme mehr in der Wertschöpfungskette gibt“, sagt Sandra Dusch Silva, „aber es stellt sicher, dass einige soziale oder ökologische Knackpunkte angegangen werden und dort nach Verbesserungsmöglichkeiten gesucht wird.“ Deshalb hält sie Siegel grundsätzlich für einen guten Hinweis auf fairere Mode. Allerdings gibt es viele verschiedene und nicht alle sind gleich aussagekräftig.

„Einige Unternehmen setzen sie ein, haben aber nicht wirklich ein Interesse an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen im globalen Süden“, gibt Sandra Dusch Silva zu bedenken. Manchmal gehe es nur darum, Imageschäden zu reduzieren oder den Ruf aufzuhübschen. „Da fließt dann viel Geld, aber am Ende verspricht so ein Siegel dann nur die Einhaltung nationaler Gesetze – was ja eigentlich ohnehin Standard sein sollte“, findet sie und gibt mir ein paar Tipps mit auf den Weg, woran ich gute Siegel erkenne. Um einen Blick auf die jeweiligen Webseiten komme ich nicht herum: „Wichtig ist die Transparenz. Wenn mir nicht gesagt wird, wie man die Einhaltung der Kriterien überprüft und durch wen, dann sollte man das Siegel mit Vorsicht genießen.“ Außerdem sei die Frage wichtig: Wer setzt den Standard, den das Siegel vorgibt? Wer trifft die Entscheidungen dafür?

Webseiten helfen bei der Siegel-Suche

Sandra Dusch Silva wirbt für Siegel-Initiativen, bei denen verschiedene Akteure mit am Tisch sitzen und Probleme in der Wertschöpfungskette aus verschiedenen Perspektiven angehen. Auf Webseiten wie siegelklarheit.de und labelchecker.org werden die wichtigsten Siegel erklärt und eingeordnet. Dort kann man auch nach bestimmten Initiativen suchen.

Wer sich neben den Siegeln für die allgemeine Nachhaltigkeitsbilanz einzelner Modemarken interessiert, kann einen Blick auf das Projekt „Good on You” werfen: Dort werden Marken aufgrund ihrer ökologischen und sozialen Produktionsbedingungen bewertet. Die zugehörige App funktioniert gut, um im Laden kurz einzelne Marken abzuchecken. Allerdings stammt sie aus den USA, die erklärenden Texte gibt es nur auf Englisch und nicht jede deutsche Marke findet sich dort. Ein Angebot zum Checken der Löhne ist fashionchecker.org. Dort wird erklärt, welche Bekleidungsunternehmen existenzsichernde Löhne zahlen und wo produziert wird. Auch wer nach fair produzierenden Marken sucht, wird auf diesen Seiten fündig.

Wie sinnvoll ist der „Grüne Knopf“?

Schon lange haben Umweltorganisationen die Einführung eines umfassenden Siegels gefordert. Mit dem „Grünen Knopf” existiert nun seit zwei Jahren das erste staatliche deutsche Textilsiegel, das sowohl Unternehmen als auch deren Produkte auf ihre soziale und ökologische Nachhaltigkeit überprüft. Allerdings gibt es auch Kritik: „Der Grüne Knopf ist nicht weitreichend genug“, findet Sandra Dusch Silva. „Zum Beispiel werden existenzsichernde Löhne und das Recht auf Vereinigungsfreiheit und Kollektivverhandlungen nicht aktiv gefördert. Außerdem sind die Prüfverfahren viel zu intransparent – gerade bei einem staatlichen Siegel sollte es eigentlich das absolute Minimum sein, Kontrollberichte und Ähnliches zu veröffentlichen.“

Wie nachhaltig ist meine Jeans?

Neben Siegeln helfen auch ein paar Grundregeln beim Einkauf. Zum Beispiel sind natürliche Stoffe wie Baumwolle umweltfreundlicher als synthetische Materialien wie Polyester, bei denen sich beim Waschen Mikrofasern lösen und in den Wasserkreislauf gelangen. Aber auch Baumwolle ist nicht gleich Baumwolle: Genetisch veränderte Monokulturen gefährden die natürlichen Ökosysteme und brauchen deutlich mehr Wasser als Pflanzen aus biologischem Anbau. Deshalb ist Bio-Baumwolle immer die bessere Wahl.

Bei Jeansstoffen gilt die Faustregel: Je heller, desto schlechter. Denn für die Bleichvorgänge kommen häufig umwelt- und gesundheitsschädliche Chemikalien zum Einsatz. Das gilt nicht für alle Marken, ist aber eine gute Orientierung für Jeansartikel, bei denen über die Herkunft nicht viel bekannt ist.

Diese Regeln helfen beim Kleiderkauf

Ganz grundlegend muss sich aber vor allem unsere Einstellung zu Kleidung ändern. Denn egal, ob bio oder nicht, ausgebeutet oder fair bezahlt: Die Masse an Kleidung, die wir konsumieren, ist einfach zu groß. Unser Planet ist überfordert mit den Ressourcen, die wir für unseren aktuellen Lebensstil verbrauchen und dem Müll, den wir hinterlassen. Deshalb sollten wir einen anderen Weg einschlagen, weg von Fast Fashion und hin zu einem bewussteren Modekonsum. Ein erster Schritt könnte zum Beispiel sein: keine Impulskäufe mehr. Bevor ein Teil an der Kasse landet, stelle ich mir die Fragen: Brauche ich das wirklich? Welchen Mehrwert bringt es in meinen Kleiderschrank? Welches Kleidungsstück erfüllt die Rolle dieses Neuzugangs momentan? Manchmal hilft es auch, den Laden nach der Anprobe wieder zu verlassen und erst später zurückzukommen und über den Kauf zu entscheiden. Oder – wie beim Wocheneinkauf im Supermarkt – vorher festzulegen, was ich eigentlich brauche und mich dann von Schnäppchen und Trends nicht beirren zu lassen.

Ein beliebtes Konzept ist die sogenannte „Capsule Wardrobe“. Die Londoner Boutiquenbesitzerin Susie Faux prägte den Begriff in den 1970er Jahren, als sie einige klassische Basics zusammenstellte, die bewusst zeitlos gehalten waren und mit einigen jahreszeitlichen Stücken ergänzt werden konnten. Heute suchen sich viele für eine bestimmte Zeit aus ihrer eigenen Kleidung eine Anzahl an Teilen aus, die sich gut kombinieren lassen. Die restliche Kleidung wird für diese Zeit weggepackt. Die christliche Social Media Managerin und Sinnfluencerin Larissa McMahon organisiert ihre Garderobe schon seit mehreren Jahren auf diese Weise. Sie findet, dieser bewusste Minimalismus kann das eigene Verhältnis zu Mode verändern: „Eine Capsule Wardrobe kann helfen, den eigenen Stil zu finden und entspannter mit Kleidung umzugehen.“ Sie hat gute Erfahrungen damit gemacht, ein Board bei Pinterest anzulegen und dort Kleidungsstücke zu pinnen, die ihr gefallen. „Daran konnte ich meinen eigenen Stil ganz klar erkennen und daran orientiere ich mich nun. Denn auch, wenn ich das ein oder andere Trendteil toll finde, oder den Stil von anderen, fühle ich mich doch in meinem Stil am wohlsten. Und das sind die Kleidungsstücke, die wir am Ende wirklich tragen.“

Wo kann ich nachhaltig einkaufen?

Soll der Kleiderschrank aber doch mal erweitert werden, lassen sich Jeans oder T-Shirts sehr gut in Second-Hand-Läden, über Ebay oder die Plattform vinted.de finden. Je länger Kleidung getragen wird, umso besser, denn das spart Material, Wasser und Energie. Dass gebrauchte Stücke meist auch günstiger sind, ist da ein netter Nebeneffekt.

Durch unsere Kaufentscheidungen nehmen wir Einfluss darauf, dass sich in der Modeindustrie etwas wandelt: Wenn Billigmodemarken auf ihren Klamotten sitzenbleiben, müssen sie etwas ändern. Häufig haben nachhaltig produzierte Kleidungsstücke aber ein großes Manko: Sie kosten deutlich mehr als die Konkurrenzprodukte aus der Fast-Fashion-Industrie. Nicht für alle ist es eine Option, 40 Euro für ein T-Shirt oder 120 Euro für eine Jeans auszugeben. Deshalb muss das langfristige Ziel sein, faire Kleidung zum normalen Standard und damit für alle zugänglich zu machen. T-Shirts für zwei und Hosen für acht Euro werden aber zu umweltverträglichen Bedingungen und fairen Löhnen nicht zu machen sein.

Diese Schwachstellen hat das Lieferkettengesetz

Die Arbeit in den Nähereien der Kleidungsindustrie bildet für einen Großteil der Bevölkerung von Bangladesch und benachbarten Ländern die Lebensgrundlage. Gleiches gilt für diejenigen, die auf den Baumwollfarmen schuften, Garne spinnen, Stoffe färben und Reißverschlüsse einsetzen. All diese Menschen sind auf eine sozial und ökologisch faire und vor allem transparente Lieferkette angewiesen. Mit dem neuen Lieferkettengesetz ist dafür ein erster Grundstein gelegt. In den Augen von Sandra Dusch Silva hat das Gesetz allerdings noch erhebliche Schwachstellen. „Es ist toll, dass Unternehmen jetzt für Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in gewissem Maße haftbar gemacht werden können, dass das jetzt kein gesetzesfreier wilder Westen mehr ist. Allerdings hat die Wirtschaft dafür gesorgt, dass es Abschwächungen gibt, zum Beispiel Ausnahmeregelungen bei Sorgfaltspflichten. Deshalb greift das Gesetz am Ende nicht weit genug.“

Die Entscheidungen zum Lieferkettengesetz haben gezeigt, dass der Einsatz vieler Initiativen und Einzelpersonen gewirkt hat, aber auch, dass der Druck auf die Wirtschaft größer werden muss. Kritische Nachfragen an der Kasse oder – noch besser – in einem Brief ans Unternehmen machen klar, dass Produktionsbedingungen für uns als Kunden und Kundinnen ein wichtiges Thema sind. „Von Betriebsräten aus größeren Modeunternehmen bekommen wir die Rückmeldung, dass solche Fragen nochmal auf einer ganz anderen Ebene auf das Unternehmen wirken“, sagt Sandra Dusch Silva.

Außerdem gibt es immer wieder Aktionen, um auf Probleme in der Kleidungsindustrie aufmerksam zu machen, zum Beispiel von der Kampagne für saubere Kleidung. Der oder dem Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises zu schreiben, ist zum Beispiel ein leichter Weg, Anliegen direkt in die tagesaktuelle Politik einzubringen. Auf jeden Fall gilt: hartnäckig bleiben. Die Modeindustrie ist riesig und die aktuellen Profiteure haben kaum Gründe, ihr Verhalten zu ändern. Deshalb müssen wir unsere Chance nutzen, ihnen diese Gründe zu liefern. Und Sandra Dusch Silva ermutigt, auch das eigene Umfeld für das Thema zu sensibilisieren – durch Gespräche oder auch Aktionen wie eine Kleidertauschparty, bei der alle ausrangierte Kleidung mitbringen, tauschen und über Probleme der Modeindustrie nachdenken – und darüber, wie sie nachhaltiger werden kann.

Marie Gundlach studiert Wissenschaftsjournalismus in Dortmund und liebt Second-Hand-Onlineshopping.