Johnny Cash auf dem Walk of Fame. Symbolbild: Getty Images R Scapinello / iStock Editorial / Getty Images Plus

Johnny Cash: Rebell, Sänger, Christ

Vor 20 Jahren starb Johnny Cash, der mit seinem Bariton, seiner rebellischen Präsenz und seinem tiefgründigen Songwriting Musikgeschichte schrieb. Matthias Huff erinnert an den Künstler, dessen Höhen und Tiefen im Leben immer auch von Gottvertrauen begleitet waren.

Es ist Abend geworden in einer Baumwollpflückerhütte in dem kleinen Flecken Dyess in Arkansas. Johnny Cash presst sein Ohr an das Radio, sein Bruder Jack liest die Bibel. Jack ist der ältere, der gute Bruder, der Prediger werden will. Mit 14 Jahren stirbt er 1944 durch einen Unfall.

Der zwei Jahre jüngere, eher renitente Johnny verliert sein Vorbild. Er wird es immer auch als Nachfolge seines Bruders verstehen, wenn er von Jesus singt. Und seine Stimme als Gabe Gottes betrachten.

Immer Grenzgänger

Johnny Cash flieht wie viele arme Südstaatenjungs aus dem Dorf gen Großstadt. Jobs scheitern, er geht zur Armee, dient drei Jahre als Funker in Deutschland. Nach seiner Rückkehr ist er 1954 zur richtigen Zeit am richtigen Platz. Von Memphis aus startet die Siegeswelle des Rock‘n‘Roll, der Produzent Sam Philipps sucht den nächsten Elvis. Gutaussehend und mit markanter Stimme wird Johnny Cash der nächste Teeniestar. Dabei spielt er keinen reinen Rock‘n‘Roll. Sein Boom-Chicka-Boom-Sound läuft unter Rockabilly, seine Musik wird ein Grenzgang zwischen Country, Rock und Folk bleiben. Und seine Songs sind kein harmloses Teeniezeug: Der eine große Hit, die Mörderballade „Folsom Prison Blues“ ist eine Exploration des Bösen voller Reue, Verzweiflung, Wut. Und der andere, „I walk the line“ von 1956, ist ein Song über eheliche Treue. Euphorisch überhastet hat er sich vor der Abreise zur Armee verlobt, entgegen aller Prognosen hält er das Versprechen, heiratet Vivian unmittelbar nach seiner Rückkehr und bekommt mit ihr vier Töchter. Da beschwört einer die gerade Bahn, der die schiefe Bahn sehr gut kennt – und als rasant durchstartender Rockstar die Ehe an die Wand fahren wird.

Flirt mit dem Bösewicht-Image

Im Tourleben sind Aufputschmittel nicht ungewöhnlich, aber Johnny Cash wird schnell und heftig abhängig und unkontrollierbar. Sein Markenzeichen auf Tour ist das Hotelzimmerzertrümmern und immer öfter müssen wegen seines Zustands Konzerte kurzfristig abgesagt werden. 1967 der Tiefpunkt: Er wird an der mexikanischen Grenze mit Drogen verhaftet. Das Foto des Stars mit großer Sonnenbrille, in Handschellen abgeführt, geht um die Welt. Wie hartnäckig er auf das dunkle Verbrecherimage reduziert wird, erzählt mehr über die Medien als über Johnny Cash – sein Leben im Gefängnis beschränkt sich auf sieben Nächte, meist in Ausnüchterungszellen.

Ja, er flirtet mit seinem Image des Badass, des knallharten Typen, aber er bleibt Christ. Ausgemergelt, von den Drogen zerrüttet singt Johnny Cash in den Konzerten weiter Gospel und veröffentlicht Gospelalben. In Interviews wirft er sich dafür später selbst Scheinheiligkeit vor. Ende der 60er ist er am Ende, zieht sich in die riesige Nickajack-Höhle am Tennessee River zum Sterben zurück. Ergreifend beschreibt er später immer wieder, wie Gott zwar nicht mit ihm redete, aber ihn mit seiner Präsenz überwältigte. Im Gebet wird ihm klar: Er hat sich weit von Gott entfernt – Gott hat ihn nicht verlassen. Und er wird sterben, wenn Gott es für richtig hält.

Nach einem kalten Entzug wird er clean und gibt 1968 sein berühmtestes Konzert, „Johnny Cash at Folsom Prison“. Für Gefangene zu spielen, vereint perfekt sein dunkles Image und die Nächstenliebe des Christen, lebenslang kämpft er für die Benachteiligten und Ausgestoßenen. Locker kombiniert er Mörderballaden und Gospel. Und streut komische Songs ein. Der „Man in Black“ ist auch einer der wenigen lustigen Rockstars, als Huhn verkleidet veralbert er sich später als „Chicken in Black.“

Er heiratet nach der Scheidung von Vivian die Sängerin June Carter, die er schon 1956 backstage kennenlernte, und bekommt 1970 mit ihr den ersehnten Sohn, John Carter. Er stürzt sich in das christliche Leben, 1977 wird er zum Pfarrer geweiht. Billy Graham wird ein enger Freund, Johnny Cash und June Carter spielen stetig auf seinen Massenevangelisationen, den „Crusades“. In Israel produziert er „Gospel Road“, einen Kinofilm über Jesus. Das Produktionsteam und reisende Hippies werden vor Ort als Darsteller verpflichtet, June Carter spielt die Maria Magdalena, Johnny Cash den Erzähler.

Jesus, der Country Boy

Unabhängig, auf eigene Kosten zeichnet er im Film sein Jesus-Bild: Jesus ist Erlöser und ganz Mensch. Und als Mensch ist er ein „Country Boy“ wie Johnny Cash, fordert beim Letzten Abendmahl alle auf, ordentlich zuzulangen, bevor es ernst wird. Mit „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“ beginnt Jesus im Film die Bergpredigt. Das ist für mich der auffälligste Zug in Johnny Cashs Glauben: Er richtet nicht. Radikal konzentriert er sich auf den Balken in seinem Auge. Bibeltreu und evangelikal erliegt er nicht der Versuchung, anderen Hölle, Teufel und Jüngstes Gericht um die Ohren zu schlagen. Die Grenze zwischen Gut und Böse verläuft strikt in ihm. Erwünschter Nebeneffekt: Er verschreckt sein vielfältiges Publikum von Rednecks bis Hippies mit seinem Glauben kaum.

Meinen schwankenden Glauben erdet und belebt Johnny Cash. Sein nichtrichtender Geist ist mitreißend, sein unglaublich tiefes Gottvertrauen entschieden tröstlich für jemanden, dessen Vertrauen in Gott viel brüchiger ist. Und ich finde mich wieder in jemandem, der feststellen muss, dass er es nie schaffen wird, vollkommen gut zu sein – aber immerhin auch nie ganz böse war. Der keine schroffe Umkehr kennt, sondern eine Glaubensreise voller Irrfahrten und Schiffbrüche. Und Johnny Cash hat eine Menge damit zu tun, dass ich endlich den Weg in eine Gemeinde fand. Mit seiner besten Musik feiert er gerade in den 70er-Jahren neben Jesus das christliche Leben in Gemeinschaft – weil aus seiner Sicht niemand allein und theoretisch Christ sein kann. Die Songs voller Freude und Andacht und mit viel lässigem Humor sind seit 2012 in der Compilation „The Soul of Truth“ leicht zugänglich. Besonders viel Spaß hat es Johnny Cash offensichtlich gemacht, in „The Greatest Cowboy of Them All“ neue Bilder für Jesus zu finden. Aus dem Guten Hirten wird Jesus, der größte aller Cowboys, der freilaufende Rinder, die „Mavericks“, in die Herde zurückbringt.

Spektakuläres Comeback

Das Leben in der Herde gelingt Johnny Cash nicht dauerhaft. Ende der 70er verliert Johnny Cash wieder den Kontakt zur Gemeinde, ein schlechtes Vorzeichen. Er wird wieder heftig drogensüchtig, die Familie bewegt ihn zu einem Drogenentzug in einer Klinik, ganz wird er die Sucht bis zum Lebensende nicht besiegen. Er ist in den 80ern hauptsächlich Legende, die Konzerte sind noch gut besucht, aber seine Platten verkaufen sich nicht mehr. Die Plattenfirma Columbia trennt sich von ihm. Auf verlorenem Posten macht er für seine neue Firma „Mercury Records“ sehr entspannte Platten – die sich noch weniger verkaufen.

Es folgt das spektakulärste Comeback der Rockgeschichte. Mit 61 Jahren nimmt ihn der junge trendige Hip-Hop- und Metal-Produzent Rick Rubin unter Vertrag. Für sein unabhängiges Label „American Recordings“ verwandelt Rick Rubin den Country-Patriarchen zurück in die dunkel-gefährliche Gestalt des Anfangs. Johnny Cash wird wieder hip. Im Video zur Mörderballade „Delia‘s Gone“ mit Kate Moss als Leiche ist schwer zu entscheiden, was noch zerfurchter ist, sein Gesicht oder seine Stimme. 2002 wird „Hurt“, der Song der damals angesagten Band Nine Inch Nails über einen jungen Drogensüchtigen, zum Song des alten Cash, seit den 90ern gezeichnet von vielen teils lebensbedrohlichen Krankheiten. Das Christliche ist etwas zurückgetreten, aber mit dem Titelsong des letzten zu Lebzeiten veröffentlichten Albums setzt Johnny Cash wieder ein starkes Zeichen. Sieben Jahre hat er an „The Man Comes Around“ gearbeitet. Ein beunruhigendes Meisterwerk über das Jüngste Gericht, mit offenem Ausgang fokussiert auf einen Angeklagten: Johnny Cash.

Mit 71 Jahren stirbt er am 12. September 2003, ein halbes Jahr nach seiner Frau. Ganz am Lebensende hat er wohl das ihn prägende Vertrauen in die Gnade Gottes trotz allem wiedergefunden. Alles, was ihn sterbend erfüllte, schreibt sein Sohn, war die Freude, Junes Gesicht wiederzusehen. So endet eine vier Jahrzehnte dauernde große Liebesgeschichte zwischen zwei gleich starken und gleich zerrissenen Künstlern, deren gemeinsame Basis alle Kämpfe überstand: Humor, Musik und Jesus.

Der Südstaatenjunge hat seinen Job erfüllt, er hat von Gott und für Gott gesungen und sein Grabstein zeugt von der Hoffnung, dass es gefiel: „Lass dir wohlgefallen die Rede meines Mundes und das Gespräch meines Herzens vor dir, Herr, mein Fels und mein Erlöser“ (Psalm 19,15).

Matthias Huff ist Journalist und Autor.

 

Buchempfehlung zum Thema: Matthias Huff: „Johnny Cash – Meine Arme sind zu kurz, um mit Gott zu boxen“ (adeo). In dieser Biografie über Johnny Cash erzählt der langjährige Fan und Kenner Matthias Huff die von Drogen und Gottvertrauen durchzogene Lebensgeschichte der rebellischen Musikikone.