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Weihnachten in der Nachbarschaft in Delmenhorst. Foto: Privat

Weihnachten auf die Straße bringen: Advent in der Nachbarschaft feiern

Gerade die Advents- und Weihnachtszeit bietet sich dafür an, gemeinsam mit der Nachbarschaft zu feiern, neue Leute kennenzulernen und das Fest lebendig werden zu lassen. So kann es gelingen.

Adventsbrunch

Nach ein paar Jahren in unserem neuen Zuhause in Delmenhorst hatte ich die Idee, zum Advent einen Frauen-Brunch zu veranstalten. Ich lud dazu Frauen ein, mit denen ich im Alltag immer wieder Berührungspunkte hatte (Nachbarinnen, Mütter von Mitschülern meiner Kinder, Babysitterin, Frauen aus der Gemeinde …). Tage vor dem Brunch begann ich mit der Deko, backte Kekse und Kuchen und organisierte, dass der Rest der Familie zu der Zeit woanders wäre.

Alle Gäste schienen sich über das Treffen zu freuen: Wir genossen einen ausgiebigen Brunch bei netten Gesprächen, sangen zusammen ein Lied, ich las eine kurze Geschichte vor und so verging die Zeit wie im Flug.

Corona durchkreuzte zwei Jahre lang meine Pläne, wieder einen solchen Brunch zu veranstalten, aber ich hoffe sehr, dass er dieses Jahr wieder stattfinden kann – die Einladungen dafür sind schon raus.

Baumstraßen-Weihnacht

In unserer Straße gibt es sehr viele Menschen, die in keine Kirche gehen. Im ersten Corona-Jahr hatten wir vor Weihnachten den Eindruck, dass es cool wäre, direkt etwas für unsere Nachbarn anzubieten. Bei Gesprächen sagten sie uns immer wieder, dass in diesem Jahr kein richtiges Weihnachten sein würde, weil sie durch Corona nicht einmal an Heiligabend zur Kirche gehen oder ihre Familien besuchen könnten. Da hatte ich die Idee, am 24.12. eine Corona-konforme Straßenweihnacht zu organisieren. Alle sollten dabei sein, vor allem die Älteren, die nicht mehr aus dem Haus gehen könnten. Nachdem wir das Okay vom Ordnungsamt bekommen hatten, waren Konzept und Durchführung eigentlich ganz einfach:

Am 6.12. verteilten wir als ganze Familie in unserer Straße in jeden Briefkasten eine Einladung mit zwei Weihnachtsliedern auf der Rückseite und einem kleinen Schokonikolaus daran. Am selben Abend bekamen wir schon Nachrichten von unseren Nachbarn, wie schön diese Idee sei und dass sie sich freuten.

Am 24.12. bauten wir dann am Nachmittag zwei Lautsprecherboxen, ein Mikro und viel schönes, buntes Licht auf, spielten schon ab 16 Uhr Weihnachts-CDs ab und warteten gespannt, ob sich die Nachbarschaft aus den Häusern bewegen würde.

Es war unglaublich, wie viele Gäste kamen: Einige ältere Menschen positionierten sich an ihren Fenstern, die Arme abgestützt auf der Fensterbank, einige schauten von ihren Vorgärten aus zu und viele Familien mit Kindern standen direkt vor unserem Haus, manche mit Kerzen in den Händen. Das war ein wirklich wunderschöner und rührender Anblick.

Nach einer kurzen, herzlichen Begrüßung sangen wir zusammen (mit Playback) ein Lied, ich las die Weihnachtsgeschichte aus der Kinderbibel vor, mein Mann Frank gab einen kurzen Impuls weiter und betete, wir sangen noch ein Lied und endeten nach ca. 20 Minuten.

Die Freude und Rührung der Nachbarschaft war groß und viele bedankten sich sehr herzlich bei uns für diese schöne Weihnachtseinstimmung. So war uns sofort klar, dass wir auch 2021 wieder eine Baumstraßen-Weihnacht durchführen würden.

Bis heute gibt es Menschen in unserer Straße die anhalten, wenn sie meinen Mann oder mich vor unserem Haus sehen und sagen, wie schön und berührend es an Heiligabend für sie war. Richtig Weihnachten, sagten viele und ein 70-jähriger Mann erzählte mit Tränen in den Augen, dass er das erste Mal in seinem Leben Weihnachten gefeiert hätte, weil seine Eltern das früher verboten hätten. Einsame und Alleinstehende haben sich gemeldet und waren so dankbar und berührt, an Weihnachten in der Straße bleiben zu können und trotzdem mit anderen Lieder zu singen.

Da wir auch für die Feier 2021 viel positives Feedback bekommen haben, soll die Baumstraßen-Weihnacht auch dieses Jahr wieder in unserer Straße stattfinden.

Kathrin Lederer ist Sozialpädagogin und lebt mit Familie in Delmenhorst (herzeltern.de).

Symbolbild: Getty Images / E+ / LordHenriVoton

Kommentar: Paradoxe Querdenker – Die Demokratie ist nicht in Gefahr

Jetzt das Ende der Demokratie zu verkünden, ist absurd. Trotzdem dürfen wir gegen Entscheidungen aufbegehren, sagt Uwe Heimowski, politischer Beauftragter der Evangelischen Allianz im Bundestag.

Mein Berliner Büro als politischer Beauftragter der Evangelischen Allianz in Deutschland hat eine exponierte Lage. Unser direkter Nachbar ist die US-Botschaft, wir sind knapp drei Minuten vom Brandenburger Tor und fünf Minuten vom Reichstagsgebäude entfernt. Wir arbeiten direkt am Puls der Republik, könnte man sagen.

Wenn in der Bundeshauptstadt demonstriert wird, sitzen wir buchstäblich in der ersten Reihe. Und demonstriert wird fast immer. Seien es stille Mahnwachen, bei denen Lebenslichter an die Opfer der Staatsgewalt in Belarus erinnern. Oder seien es große Demonstrationszüge wie der von Fridays for Future im Herbst 2019, bei dem Zehntausende vor allem junge Menschen mehrere Stunden friedlich die Straße unter unserem Fenster entlangliefen.

Querdenker vor der Haustüre

Auch die Querdenker demonstrierten rund um das Regierungsviertel. Ich musste nur zur Tür hinaustreten, um mir ein eigenes Bild zu machen. Das tat ich bei einigen Gelegenheiten (als einer von wenigen, die einen Mundschutz trugen, was mir eine Reihe spitzer Bemerkungen eintrug). Über die Querdenker-Demos wurde viel berichtet. Die Bilder von Aktivisten, die mit Reichskriegsflaggen in den Händen die Treppenstufen zum Reichstagsgebäude hinaufstürmten, gingen um die Welt. Ein unvergleichlicher Vorgang in unserer jüngeren Geschichte.

Manche wiegeln ab: Es sei nur eine Handvoll Leute gewesen, und zu wirklicher Gewalt ist es nicht gekommen. Ich war vor Ort an diesem Wochenende. Mein Eindruck: Es gab Tausende friedliche Demonstranten. Einige schräge Vögel sicher, ein paar Sektierer, die meisten waren ziemlich ungefährlich. Aber: Die Reichstagsstürmer waren nur der Gipfel des Eisbergs. Viele fragwürdige Gestalten tummelten sich gemeinsam mit friedlichen Kritikern der Corona-Maßnahmen auf den Straßen. Ich sah Ehepaare in QAnon-Shirts und kahlrasierte Männer mit spärlich verborgenen Runentattoos. Ich hörte einen Mann in sein Megafon brüllen, dass es den Abgeordneten „jetzt endlich an den Kragen“ gehe. Plakate sprachen der Bundesrepublik ihr Existenzrecht ab. Mehrere Redner behaupteten, die Meinungsfreiheit sei in Deutschland faktisch abgeschafft. Andere sprachen von „Corona-Diktatur“.

Die Demonstration ist Beweis für die Demokratie

Ironischerweise geschah das alles auf einer durch das Demonstrationsrecht geschützten Veranstaltung. Das Verwaltungsgericht hatte noch am Vortag entschieden, dass der Berliner Senat die Demo nicht verbieten dürfe. Den offensichtlichen Widerspruch nahmen die Querdenker nicht wahr: In welcher Diktatur wäre es möglich gewesen, dass ein Gericht gegen die Regierung entscheidet? Damit singen gerade die Verächter der Demokratie, ohne es zu merken, unserem Rechtstaat ein (paradoxes) Loblied.

Tief eingeprägt hat sich mir ein Interview aus dem Jahr 2014. Eine griechische Boulevardzeitung hatte eine Karikatur veröffentlicht, in welcher die Kanzlerin eine Armbinde mit einem Hakenkreuz trug. Darauf angesprochen antwortete Merkel sinngemäß: „Wissen Sie, ich komme aus der ehemaligen DDR, Sie können sich gar nicht vorstellen, was es mir bedeutet, dass wir heute Meinungsfreiheit haben. Da gehören solche Karikaturen wohl mit dazu.“

Paradoxe Populisten

Populisten (von lateinisch populus, das Volk) betonen oft: Demokratie ist die Herrschaft des Volkes. Das ist in der Tat ein wesentlicher Aspekt! Nur: Sie, die Populisten, geben vor, im Namen dieses Volkes zu sprechen. Was für eine Hybris, für die eigene Position eine angebliche (schweigende) Mehrheit zu reklamieren! Und: Demokratie ist viel mehr als nur „Volksherrschaft“.

„Wir sind das Volk“ war 1989 der richtige Ruf auf den Straßen in Leipzig oder Plauen. Er erinnerte die Führung eines Unrechtsstaat an die (Freiheits-)Rechte der Bürger. Dass ich eine solche friedliche Revolution (wenn auch aus Westperspektive) miterleben durfte, wird mich mein Leben lang zum Staunen bringen. Umso mehr erschüttert mich, wenn Menschen heute beklagen, dass die Zustände schlimmer seien „als in der DDR oder in Kuba“.

Zum Glück ein Rechtsstaat

Das Wesensmerkmal einer modernen Demokratie ist eine starke Verfassung, eine Demokratie ist nicht nur ein Mehrheits-, sondern vor allem ein Rechtsstaat. Eine Volksherrschaft ohne die Basis des Rechts wäre Anarchie oder „Demokratur“ – die dann zu einer Diktatur führen kann. Das haben wir Deutschen in unserer Geschichte leidvoll erfahren müssen, als die Weimarer Verfassung von Adolf Hitler mit „demokratischen“ Mitteln ausgehebelt wurde. In jüngster Vergangenheit haben wir das beim „arabischen Frühling“ gesehen, der so hoffnungsvoll begann, und dann etwa in Ägypten die Muslimbruderschaft an die Macht gespült hat.

Rechtstaatlichkeit ist zentral für Demokratien. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland spiegelt sich die Erfahrung der Naziherrschaft. Gleich zu Beginn schließt es aus, dass es in Zukunft wieder eine überlegene „Rasse“ geben dürfe, Menschenrechte gelten allen. Danach wird die Verantwortung für den Frieden in der Welt betont: „(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“ (Grundgesetz, Artikel 1). Ähnlich sind andere Europäische Verfassungen aufgebaut, etwa in Österreich und der Schweiz: Die Freiheitsrechte des Einzelnen werden gesichert, das schließt die Verantwortung für das Ganze der eigenen Gesellschaft und der übrigen Welt mit ein. Die Rechte des Einzelnen erreichen da ihre Grenze, wo sie die Rechte eines anderen einschränken.

Demokratie muss wehrhaft sein

Auf dieser Rechtsgrundlage fußt die Demokratie. Sie bindet den einzelnen Bürger ebenso wie die Regierungen. Wo eine Regierung gegen die eigene Verfassung verstößt, hat der Bürger das Recht, dagegen aufzubegehren. Um es mit einem alten Graffiti-Spruch zu sagen: „Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.“ Wenn der Staat Menschenrechte verletzt, dann gilt es dem Gewissen zu folgen, und sich dem Staat zu widersetzen.

Aber ist das die heutige Situation? Die Querdenker dürfen ihre Inhalte verbreiten, sie dürfen für Veranstaltungen werben und Demonstrationen anmelden. Das ist ihr demokratisches Recht. Wenn auf der Demo aber Menschen gefährdet sind, weil Auflagen zum Gesundheitsschutz nicht eingehalten werden oder wenn zu Gewalt aufgerufen wird, dann muss die Versammlung aufgehoben werden. Das ist nicht etwa ein Angriff auf die Demokratie selbst, sondern ein Ausdruck davon, dass die Demokratie auch wehrhaft sein muss und sein kann. Es geht in diesen Zeiten um nicht weniger als um die Demokratie selbst. Wir müssen sie verteidigen gegen ihre Verächter.

Es braucht Vertrauen in die Demokratie

Dafür müssen wir der Demokratie vertrauen. Vertrauen ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Vertrauen setzt Mut frei. Gerade in einer Krise. Als Vertreter der Evangelischen Allianz behaupte ich außerdem, dass gerade Christen angehalten sind, als verantwortliche Bürger alles zu tun, um das Vertrauen in unsere Verfassungs-Demokratie zu stärken. Gerade jetzt gilt es, unsere Institutionen zu stärken, die unabhängige Justiz und die Leitmedien zu unterstützen, statt sie abzuwerten.

Dazu gehört natürlich, dass wir uns kritisch zu Wort melden. Demokraten sind eben gerade keine Schlafschafe. Als politischer Beauftragter der Evangelischen Allianz habe ich in der Pandemie früh darauf hingewiesen, dass eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit (und damit der Religionsausübungsfreiheit) immer nur vorübergehend sein darf. Ich habe an die einsamen alten Menschen in Pflegeheimen erinnert, auf die Missstände in Schulen und Universitäten hingewiesen, die Korruptionsaffäre um Schutzmasken öffentlich angeprangert – gerade weil ich nicht bereit bin zu resignieren, sondern dieser Demokratie so sehr vertraue, dass ich mich an ihr beteilige.

Nicht beim allgemeinen Politiker-Bashing mitspielen

Genauso gilt es, denen entgegenzutreten, die mit einfachen Parolen versuchen, die Regierenden in ein falsches Licht zu stellen, den Staat und seine Organe zu schwächen und das Recht umzudeuten. Es gilt Fake-News zu entlarven und nicht beim allgemeinen Politiker-Bashing mitzuspielen. Wenn wir kritisieren, dann nicht pauschal, sondern konkret, konstruktiv und ohne persönliche Angriffe.

Ein Beispiel: Eine Politikerin hat ihren Lebenslauf ungenau veröffentlicht und den Bezug von Weihnachtsgeld zu spät dem Bundestag gemeldet. Das sind Fehler. Es ist richtig, sie als solche zu benennen. Man kann auch über einen Rücktritt diskutieren (den ich persönlich nicht für angemessen hielte). Populistisch ist, nun Halbwahrheiten in die Welt zu setzen und die Politikerin persönlich anzugreifen. Das hat mit einem politischen Diskurs nicht das Geringste zu tun. Es ist menschenverachtend und demokratiefeindlich. Als Christ möchte ich mich daran nicht beteiligen.

Etwas anders ist die Situation bei Parlamentariern, die über ihre Firmen mehrere Hunderttausend Euro an Provisionen für Corona-Schutzmasken eingestrichen haben. Angesichts der Schwere der Vorwürfe waren Rücktritte notwendig. Strafrechtliches Fehlverhalten und auch die Vorteilsnahme von Politikern dürfen nicht folgenlos bleiben. Doch auch in diesem Fall schießen persönliche Beleidigungen über das Ziel hinaus.

Demokratie heißt mitgestalten

Demokratie lebt vor allem davon, dass wir sie (mit-)gestalten. Dafür gibt es unzählige Möglichkeiten (um die uns übrigens viele Menschen rund um den Erdball beneiden). Wir können an Debatten teilnehmen, in den neuen Medien oder mit dem „altmodischen“ Leserbrief. Wir können im sogenannten „vorpolitischen Raum“ als Elternsprecher und in Vereinen aktiv werden. Wir können in Parteien eintreten und allein schon durch unsere Mitgliedschaft ein Zeichen setzen. Und wem es möglich ist, der kann dort Inhalte prägen und dafür arbeiten, dass uns Meinungsfreiheit, Recht und Gerechtigkeit erhalten bleiben.

In unserer Gesellschaft ist das möglich. In Freiheit. Wir alle sind am Puls der Demokratie. Ein Hoch auf uns. Nutzen wir die Chancen.

Uwe Heimowski ist Beauftragter der Deutschen Evangelischen Allianz am Sitz des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung in Berlin.