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Caspar Hallmann, Foto: Privat

Insekten-Forscher überzeugt: Es braucht mehr als Insektenhotels

Mit der „Krefelder Studie“ haben Caspar Hallmann und sein Team 2017 gezeigt, dass die Zahl der Insekten seit 1989 in deutschen Naturschutzgebieten um mehr als 75 Prozent zurückgegangen ist. Naomi Bosch hat nachgefragt, wie die aktuelle Lage ist.

Hat sich der Rückgang des Insektenbestands in Deutschland und weltweit seit Ihrer Studie fortgesetzt?
Natürlich ist sich die Welt des Problems bewusster. Und vermutlich wurden bereits einige Schritte unternommen, die natürlich einige Zeit brauchen werden, bis sie Wirkung zeigen. Aber ich kenne keine Meldungen oder Informationen, die auf eine starke Erholung hindeuten. In der neuesten Studie, an der ich mitgewirkt habe, gibt es in den Niederlanden einige Besserungen, aber das betrifft nur einen kleinen Teil der Insekten in Wassersystemen. In den Gewässern haben wir einen Rückgang der Pestizid- und Nährstoffmengen festgestellt. In den Gräben sind die Pestizidkonzentrationen beträchtlich zurückgegangen. Und wir sehen nun eine leichte Erholung der Vielfalt. Aber nichts wirklich Großes, um sagen zu können: „Das war‘s“. Es muss also wahrscheinlich noch viel mehr getan werden.

Welche Maßnahmen sind nun am dringendsten erforderlich?
Wir müssen den Zustand der Insekten weiter erforschen. Wir haben noch immer große Wissenslücken. Wir müssen die genauen Gründe untersuchen und dann müssen wir besser verstehen, wie die Insekten von all diesen Ursachen betroffen sind, und versuchen, sie abzumildern. Und im Hinblick auf die Landwirtschaft würde ich sagen: Fangen wir damit an, keine Insektizide zu verwenden, wenn noch kein Schädling aufgetreten ist – also erst, wenn es wirklich Bedarf gibt. Dann sollte man natürlich auch sichere Oasen für die Artenvielfalt schaffen. Wahrscheinlich müssen wir der Natur mehr Raum zurückgeben.

Wir brauchen rigorosere Maßnahmen

Viele Menschen, die sich des Insektensterbens bewusst geworden sind, pflanzen Blühmischungen auf ihrem Balkon. Sollte das gefördert werden?
Ja, ich denke, das sollte gefördert werden, vor allem um die Öffentlichkeit für Insekten und ihre Erhaltung zu sensibilisieren. Man sollte allerdings bedenken: Nur die bestäubenden Insekten – Bienen, Hummeln, einige Fliegen und Schmetterlinge – brauchen solche Pflanzen. Was ist mit all den Insekten, die tote Blätter fressen? Was ist mit denen, die Wälder brauchen? Was ist mit denen, die auf dem Boden leben?

Die wenigsten der 35.000 Insektenarten leben in den Städten – abgesehen von Stechmücken, aber das liegt daran, dass wir Menschen ihre Nahrung sind (lacht). Mit Asphalt können sie nicht viel anfangen. Dasselbe gilt für Insektenhotels: Ja, sie bieten einen Lebensraum für etwa zehn Arten und drei weitere Spinnen oder so. Aber was ist mit den anderen 34.990 Arten, die davon nicht profitieren? Ich denke also, wir brauchen rigorosere Maßnahmen.

Mais ist nur für wenige Arten gut

Der von Ihnen gemessene Insektenrückgang hat tatsächlich in Naturschutzgebieten stattgefunden. Kann man davon ausgehen, dass der Rückgang woanders noch schlimmer ist?
Ja, wahrscheinlich ist er noch schlimmer, und wahrscheinlich hat er schon weit vor den von uns untersuchten letzten 30 Jahren stattgefunden. In endlosen Maisfeldern beispielsweise werden abgesehen von den Insektenarten, die Mais mögen, nicht viele andere Arten leben. Vielleicht noch ein paar Insekten, die die Insekten fressen, die den Mais mögen, aber sonst nichts. Denn Maisfelder sind nicht so komplex wie ein natürlicher Lebensraum, der viele verschiedene Nischen für jede Art bietet. Und das ist ein Problem. Denn wenn man diese Vielfalt an Insekten nicht hat, dann werden einige der Arten, die zufällig den Mais mögen, überhandnehmen, weil es keine natürlichen Feinde gibt.

Haben Sie Hoffnung für die Insekten?
Ja, ich bin optimistisch, dass sich die Insekten erholen können, wenn wir ihnen helfen. Ich bin mir nicht so sicher, ob wir den politischen Willen dazu haben. Ich bin der Meinung, dass wir es schaffen können, ja. Aber wir müssen jetzt Maßnahmen ergreifen und sollten nicht warten. Alles, von dem wir wissen, dass es sich positiv auf die Insekten auswirkt, sollte getan werden, und alles, von dem wir wissen, dass es ihnen schadet, sollte vermieden werden.

Interview: Naomi Bosch

Symbolbild: Getty Images / iStock / Getty Images Plus / Janny2

Forschende warnen: Wir müssen jetzt die Insekten retten!

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„Meine Freunde“ habe ich sie als Kind liebevoll genannt. Wenn ich ruhig blieb, setzten sie sich auf meine Handfläche und wir genossen jeweils die Gegenwart des anderen. Zumindest dachte ich das gern in meiner kindlichen Fantasie, wenn ich Schwebfliegen beobachtete. Bis zu 300 Flügelschläge schaffen sie pro Sekunde und können damit auch längere Zeit auf einer Stelle in der Luft schweben – was ihnen ihren Namen verschaffte. Wahre Flugkünstler sind sie auch auf Langstrecken: Zahlreiche Schwebfliegenarten ziehen jeden Herbst in die Mittelmeerregion – und überqueren dabei sogar die Alpen! Wegen ihrer schwarz-gelben Streifen werden sie oft mit Wespen verwechselt. In Wirklichkeit sind sie völlig harmlos: Sie haben keinen Stachel – nur eine gute Strategie, um sich vor Fressfeinden zu schützen.

Insektenbestand um 80 Prozent zurückgegangen

Vielen ist schon aufgefallen, dass nach einer Autofahrt heute viel weniger Insekten an der Frontscheibe kleben als früher. Dass die Wälder stiller und die Wiesen eintöniger geworden sind. Insekten begegnen uns heute vor allem als störende Mücken oder Wespen im Sommer. Spätestens seit 2017 ist klar, dass das nicht nur vage Vermutungen sind. Damals erschien die „Krefelder Studie“, eine Langzeituntersuchung, die seither weite Kreise zog. Über 27 Jahre lang hat der Entomologische Verein Krefeld mit Hilfe von Insektenfallen Fluginsekten in verschiedenen Naturschutzgebieten im Rheinland eingefangen. Die Daten wurden von wissenschaftlichen Teams ausgewertet. Caspar Hallmann und sein Team machten dabei eine alarmierende Entdeckung: Der Bestand von fliegenden Insekten war seit 1989 um rund 80 Prozent zurückgegangen. Und aus allen Enden der Welt hören wir Nachrichten, die das Insektensterben bestätigen.

Bei den Schwebfliegen sieht es besonders dramatisch aus: Rund ein Drittel der 463 in Deutschland vorkommenden Arten sind bestandsgefährdet. Und eine Studie von der Schwäbischen Alb ergab 2020, dass die wandernden Schwebfliegen in den vergangenen 50 Jahren sogar um bis zu 97 Prozent zurückgegangen sind.

Ohne Insekten kein Ökosystem

Jetzt, fünf Jahre nach der Studie, bin ich mit Caspar Hallmann von der Radboud Universität in Nijmegen zu einem Telefonat verabredet, um etwas über seine aktuellen Untersuchungen zu erfahren. Seine Begeisterung über die Insektenwelt ist ihm in fast jedem Satz anzuhören: „Insekten sind, abgesehen von der Tiefsee, an so ziemlich jedem Teil des Ökosystems beteiligt“, schwärmt er. „Unsere Ökosysteme können nicht ohne Insekten funktionieren.“ Denn Insekten seien Teil vieler natürlicher Prozesse: Sie bestäuben mehr als ein Drittel unserer Nahrungspflanzen und drei Viertel aller Wildpflanzen. Damit ermöglichen sie überhaupt erst die Vermehrung eines großen Teils der Pflanzenwelt. Und anschließend räumen sie auf: Sie verwandeln abgefallene Blätter wieder zu Nährstoffen und zersetzen Kadaver von toten Tieren.

Und sie fressen Schädlinge. Die Larven der Schwebfliege beispielsweise schlagen sich gern die Bäuche an Blattläusen voll. Mehrere hundert Läuse kann eine einzige Schwebfliegenlarve in ihrem Leben fressen. Deshalb sind sie bei Landwirtinnen und Gärtnern gern gesehene Besucher – und ich lernte Jahre nach meiner kindlichen Begegnung mit den Schwebfliegen, dass sie tatsächlich unsere „Freunde“ sind. Umgekehrt sind Insekten selbst auch ein wichtiger Teil der Nahrungskette: Viele andere Arten ernähren sich von ihnen. Daher erstaunt es nicht, dass infolge des Insektensterbens auch insektenfressende Vögel im Rückgang begriffen sind.

Alles in der Natur ist miteinander verbunden

„Ich verstehe, dass Insekten – abgesehen von ein paar Schmetterlingen – nicht sehr charismatisch sind“, bedauert Caspar Hallmann, „aber ohne Insekten geht gar nichts, so einfach ist das.“

„Die kleinen Dinger, die die Welt regieren“, hat der Biologe Edward O. Wilson die Insekten deshalb einmal treffend bezeichnet. Über eine Million Arten wurden bislang beschrieben, hierzulande schätzt man die Zahl auf rund 35.000 Insektenarten. Im Vergleich dazu: Vögel kommen bei uns in 500 Arten vor. „Da wird einem klar, dass man bei Artenvielfalt eigentlich über Insekten spricht – zumindest was die mit bloßem Auge sichtbare Vielfalt anbetrifft“, sagt Caspar Hallmann.

Artenvielfalt ist deshalb so wichtig, weil in der Natur alles miteinander verbunden ist: Jede Art hat ihre Funktion, jede Art ist abhängig von anderen, jede Art steht durch die Nahrungskette in Verbundenheit mit anderen Arten. Je mehr verschiedene Arten es gibt, desto widerstandsfähiger und produktiver sind Ökosysteme.

Ackerflächen bieten keine Nahrung für Insekten

Doch was ist es eigentlich, dass unseren kleinen fliegenden Freunden so zu schaffen macht?

Noch ist das Gesamtbild nicht ganz eindeutig, aber Forschende tragen nach und nach die Puzzleteile zusammen und enthüllen, was zu diesem dramatischen Insektensterben führen konnte. Die wichtigsten Faktoren sind sicherlich die Zerstörung und Zerstückelung von Lebensräumen und die intensive Landwirtschaft. Wo vor 100 Jahren noch vielfältige dörfliche Strukturen mit kleinen Äckern, Hecken, Streuobstwiesen und bunten Wiesen vorherrschten, erstrecken sich heute die Ackerflächen bis zum Horizont – soweit das Auge reicht nichts als Mais, Weizen oder Zuckerrüben. Nahrungsangebot oder Lebensraum für Insekten? Fehlanzeige. Zudem vertilgen in diesen grünen Wüsten nicht mehr Nützlinge wie etwa die Schwebfliegen die Läuse, sondern man setzt auf Pestizide – chemische Stoffe, die Organismen abtöten, um Schäden etwa durch Fraß, Pilzbefall oder Beiwuchs zu verhindern.

Insekten sind oft eng spezialisiert

Die Folge: Die Artenvielfalt von Ackerunkräutern hat seit 1950 um 70 Prozent abgenommen. Viele Unkrautarten, die früher sehr häufig waren, sind heute praktisch ausgestorben. Die fehlende Pflanzenvielfalt hat natürlich Auswirkungen auf die Insekten. Manche Insekten sind so eng spezialisiert, dass sie nur von einer einzigen oder einigen wenigen Pflanzenarten leben können. Sterben sie aus, sterben die Insekten mit.

Der Tatzenkäfer beispielsweise ernährt sich ausschließlich vom Klettenlabkraut. Sein Leibgericht verteidigt er mit rabiaten Methoden: Macht ihm jemand sein Kraut streitig, würgt er ein rötliches Gift hervor. Gegen die Vernichtung seiner Fresspflanze durch den Menschen hilft ihm das leider nicht.

Unkraut hilft den Tieren

Bärbel Gerowitt, Professorin für Phytomedizin an der Universität Rostock, fasst es in ihrer trockenen, humorvollen Art so zusammen: „Die Insekten verhungern eher, als dass sie tot gespritzt werden.“ Die Agrarwissenschaftlerin forscht am Institut für Landnutzung an der Universität Rostock und war dort während des Studiums auch meine Professorin und Mentorin. Ich frage sie danach, wie die Landwirtschaft helfen kann, die Insektenwelt wiederherzustellen. „Ich glaube, dass man für die Insektenvielfalt tatsächlich am besten etwas tun kann, indem man eine große Fruchtarten-Diversität hat“, erklärt sie, „dass man Fruchtarten dabei hat, die Insekten nützen.“

Das können etwa Eiweißpflanzen wie Erbsen oder Lupinen sein, deren Blüte wild lebenden Insekten Nahrung bietet. Und auf Feldern mit Früchten, die den Insekten nicht direkt zugutekommen, wie zum Beispiel dem Weizen, sollte auf dem Feld dennoch Pflanzenvielfalt zugelassen werden. „Ich glaube, wir werden in der Landwirtschaft dahinkommen, auch ein wenig Verlust durch Unkräuter in Kauf zu nehmen, weil uns die Insekten so wichtig sind.“ Blühstreifen an den Ackerrändern helfen ebenso wie eine Unterteilung großer Agrarflächen in kleinere Felder, zwischen denen Hecken oder Blühflächen angelegt würden. Denn neben der Menge an Nahrungsangebot spielen auch durchgehende Pflanzenkorridore eine Rolle: Viele Insekten können einfach keine großen Entfernungen überbrücken.

Licht schadet nachtaktiven Insekten

Auf knapp der Hälfte der gesamten Fläche in Deutschland wird Landwirtschaft betrieben, Ackerbau nimmt davon etwa 70 Prozent der Fläche ein. Das ist ein großer Teil unseres Landes, in dem Insekten kaum Lebensraum finden. Und auf dem Rest sieht es meist nicht besser aus. Neben den leergeräumten Landschaften stiehlt auch die Versiegelung von Flächen den Insekten Platz und Nahrung. Laut Statistischem Bundesamt werden deutschlandweit jeden Tag im Schnitt 52 Hektar Boden in Siedlungs- und Verkehrsflächen umgewandelt: Asphaltwüsten, die alles andere als Insektenparadiese sind.

Und sie bringen die sogenannte Lichtverschmutzung mit sich: Künstliches Licht durch die Beleuchtung von Straßen, Gebäuden, aber auch privaten Gärten hat fatale Folgen für nachtaktive Insekten. Und dazu gehört immerhin die Hälfte aller Insektenarten. Eine Studie des Leibniz-Instituts fand heraus, dass die künstlich erhellte Nacht die natürliche Orientierung, Nahrungssuche und Fortpflanzung vieler Insekten stört. Dabei muss ich an die riesige, grelle Leuchtreklame denken, die jede Nacht in meine Wohnung und den nahegelegenen Park hineinleuchtet. Ob ein freundlicher Beschwerdebrief das nächtliche Abschalten bewirken kann? In der Politik scheint man die Notwendigkeit zum Handeln erkannt zu haben. Am 1. März 2022 wurde das Bundesnaturschutzgesetz in Deutschland verschärft. Erstmals wird der Begriff „Lichtverschmutzung“ als Tatbestandsmerkmal genannt. In Naturschutzgebieten gilt künftig ein grundsätzliches Verbot für neue Straßenbeleuchtungen und für leuchtende Werbeanlagen.

Politik hat große Pläne

Problematisch für manche Insekten sind auch invasive Arten. In Teilen Südamerikas beispielsweise hat die nach dort eingeführte Europäische Hummel die dortige große Hummelart Bombus dahlbomii vollständig verdrängt – und im Schlepptau auch noch einen für Bienen gefährlichen Krankheitserreger mitgebracht. Wenn invasive Pflanzenarten heimische Pflanzenarten verdrängen, finden Insekten, die auf diese heimischen Pflanzen spezialisiert sind, keine Nahrung mehr. Auch der Klimawandel mit sich ändernden Niederschlagsmustern, Erhitzung und Dürren wirkt sich auf manche Insektenarten aus. In den Tropen beispielsweise wird es für viele Insektenarten wohl mittlerweile einfach zu heiß. Im Endeffekt ist es vermutlich die Kombination all dieser Faktoren, die zum aktuellen Kollaps führt.

Im Koalitionsvertrag der deutschen Ampel-Regierung wird Artenvielfalt als Menschheitsaufgabe und ethische Verpflichtung bezeichnet. Umweltministerin Steffi Lemke spricht von einem „Zeitalter der Renaturierung“, das eingeläutet wird. Bis 2030 soll der Ökolandbau 20 Prozent der gesamten Landwirtschaft ausmachen und der Pestizideinsatz um 50 Prozent gesenkt werden. Ein neues Konzept für die EU-Agrarpolitik soll erarbeitet werden, damit Subventionen nicht mehr allein nach Fläche vergeben werden, sondern etwa an Maßnahmen für die Artenvielfalt, wie beispielsweise Blühstreifen, gekoppelt werden.

Als ich Bärbel Gerowitt frage, ob wir auf einem guten Weg sind, bekomme ich die ernüchternde Einschätzung: „Wir haben uns die Schuhe angezogen – losgegangen sind wir noch nicht.“ Denn eine Absichtserklärung zu verfassen, sei eine Sache, sie dann aber umzusetzen, eine ganz andere. Wir können also gespannt sein, wie viele Impulse aus der Politik in den nächsten Jahren wirklich kommen.

Helfen kann jeder

Ideen gibt es viele. In Frankreich ist seit Anfang 2020 der Verkauf von Pestiziden nur noch an registrierte Landwirte erlaubt. Das heißt: Für Landschaftsbau und private Gärten sind sie nicht mehr erhältlich. Auch begrünte Dächer helfen Insekten. Hier könnte die Politik Vorgaben machen und bei eigenen Gebäuden vorangehen. Grünflächen in Städten sollten geschützt oder möglichst erweitert, Parks mit heimischen blühenden Strauch- und Baumarten bepflanzt werden. Der britische Naturschützer und Biologieprofessor Dave Goulsen schreibt in seinem neuesten Buch „Stumme Erde – Warum wir die Insekten retten müssen“ (Hanser): „Jüngste Untersuchungen zeigen, dass man die Insektenvielfalt in Städten am effektivsten mit Schrebergärten und Kleingärten erhöht.“

Das heißt auch: Wir alle können uns die Schuhe anziehen und losmarschieren. Wer einen Garten hat, kann Lebensräume für eine möglichst große Vielfalt an Insekten schaffen: einheimische Blumen und Hecken pflanzen, Laub und Totholz als Winterquartier und Brutstätte liegenlassen, wilde Ecken mit Löwenzahn und Brennnesseln erlauben, seltener mähen, Insektenhotels aufstellen und Kies-Sand-Hügel an sonnigen Orten als Insektenburgen errichten. Auch Trockenmauern – aus losen Steinen gebaute Einfassungen – oder Steinhaufen bieten bestimmten Insektenarten den sicheren Rückzugsort, den sie brauchen.

Mehr Lob für Bauern

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Ein Stadtmensch kann neben dem Aufstellen blühender Blumenkästen vor allem etwas über sein Einkaufs- und Ernährungsverhalten bewirken. Ich hake noch einmal bei Bärbel Gerowitt nach: Wie kann ich als Verbraucherin zu einer insektenfreundlichen Landwirtschaft beitragen? „Ich würde als Erstes immer sagen: So wenig wie möglich Convenience Food essen. Von Lebensmitteln, die naturbelassen sind, kommt noch ein bisschen mehr bei den Landwirten an, als wenn sie stark verarbeitet sind.“ Heißt: Bei einer Tüte Chips oder Tiefkühlpommes ist der Anteil, den der Bauer oder die Bäuerin bekommt, viel geringer als bei einer Tüte Kartoffeln. Auch Bio-Lebensmittel helfen Insekten: „Es gibt genug Studien, die sagen, dass die biologische Vielfalt auf Öko-Äckern größer ist“, bekräftigt Bärbel Gerowitt.

Und einen letzten wichtigen Rat gibt mir die Wissenschaftlerin, die selbst auf einem landwirtschaftlichen Betrieb aufgewachsen ist, mit auf den Weg: Wer auf dem Land wohnt, sollte Landwirten Wertschätzung entgegenbringen. Denn aktuell bekämen sie von allen Seiten Kritik und Vorwürfe zu hören. „Doch je mehr negatives Feedback sie kriegen, desto mehr orientieren sie sich an dem Selbstverständnis ‚Ich bin ein guter Unternehmer‘“, gibt Bärbel Gerowitt zu bedenken. Je weniger sie für die Versorgung und Pflege der Landschaft wertgeschätzt werden, desto mehr spielten Gedanken eine Rolle wie: „Die Leute mögen mich nicht mehr, aber ich verdiene wenigstens ordentlich Geld.“ Interesse an ihnen zu zeigen, auch ihre Situation verstehen zu wollen und ihre Sorgen zu hören, sei wichtig: „Da ist viel Musik drin, glaube ich. Man darf Landwirte schon kritisieren, aber sie sollten auch positives Feedback hören und das Gefühl haben, dass sie mit ihrer Wirtschaftsweise Teil der dörflichen Struktur sind.“

Stimme für den Goldkäfer

Der US-amerikanische Biologe Paul Ehrlich hat das Artensterben einmal damit verglichen, dass Nieten aus den Tragflächen eines Flugzeugs entfernt werden. Eine Weile wird das Flugzeug noch fliegen, aber irgendwann droht der Absturz. Ohne Insekten kann unser System Erde nicht existieren. Aber wir können die Wende noch schaffen – quer durch unsere Dörfer, unsere Städte, unsere Gärten hindurch. Dafür brauchen sie unsere Stimme und unser Handeln. Denn der Große Goldkäfer und die Scharlachlibelle, Ameisenjungfern und Kreiselwespen, Höckerschrecken, Grünwidderchen und all die anderen Arten, die vom Aussterben bedroht sind, können nicht für sich selbst sprechen. Sie sind darauf angewiesen, dass wir für vielfältige Landschaften, starke Dorfgemeinschaften, regionalen und ökologischen Landbau und insektenfreundliche Kommunen aufstehen. Dann bleibt das Summen und Brummen erhalten.

Naomi Bosch lebt in Kroatien, macht ihren Master in Ökologischer Landwirtschaft, schreibt an einem Buch über Glauben und Nachhaltigkeit und bloggt auf plentiful-lands.com