Geniale Ferien-Idee: Urlaub machen und Gutes tun – so geht’s
Stefan Kleinknecht will im Urlaub mehr erleben als Sandstrand. Darum wagt er ein Experiment – und rettet so den Wald.
Am Anfang standen drei Wünsche: Ich brauche Urlaub, will viel draußen sein und am besten dabei noch etwas für die Natur tun. Doch gibt es so etwas? Ja, tatsächlich! Nach etwas Recherche lande ich beim Bergwaldprojekt e. V.: „Wir suchen Freiwillige, die eine Woche lang zusammen Bäume pflanzen und Waldpflege betreiben.“ Klingt gut als Abwechslung zum Bürojob, denke ich und melde mich an.
Einige Wochen später stehe ich mit 13 anderen am Berghang. Um uns herum: Baumstumpf neben Baumstumpf – kahle Hänge, wo einst Wald stand. Wir sind im nordrhein-westfälischen Werdohl, im eigentlich großflächig bewaldeten Lennetal. Doch Dürre, Stürme und Borkenkäfer haben den Wäldern riesige Schäden zugefügt und große, kahle Lücken in den Wald gerissen.
Hunderte kleine Setzlinge
Mit uns auf dem Hang steht Hendrik von Riewel, studierter Förster und Waldpädagoge. Er ist der Projektleiter dieses Freiwilligeneinsatzes. In seinen Händen hält einen kleinen Bergahorn: ein dünnes Stämmchen mit einer winzigen Knospe oben und einem Wurzelballen unten. Hendrik zeigt uns, wie man mit der Wiedehopf-Haue umgeht. Sie hat am Ende ein Beil auf der einen und eine Hacke auf der anderen Seite. Damit gilt es, in den richtigen Abständen Löcher in den Boden zu machen und anschließend die Bäumchen so einzupflanzen, dass sie fest genug in der Erde sind, aber auch gut anwachsen können. „Los geht’s“, ruft Hendrik und deutet lächelnd in Richtung vieler hundert weiterer kleiner Bäume, die neben uns stehen und darauf warten, eingesetzt zu werden.
Waldsterben gab Initialzündung
Das Bergwaldprojekt wurde bereits 1987 gegründet. Damals beschäftigte das Thema Waldsterben die Umweltschützer und die Gesellschaft. Wolfgang Lohbeck von Greenpeace Deutschland beschloss zusammen mit dem Schweizer Förster Renato Ruf, ein Positivprojekt zu gründen und erstmalig als Organisation handwerklich aktiv im Naturschutz zu werden. Im Schweizer Kanton Graubünden stießen sie auf einen Wald, der durch einen Hangrutsch stark beschädigt war, und begannen, ihn mit 25 Freiwilligen zu sanieren.
Heute ist daraus ein europaweites Netzwerk entstanden. Anfang der Neunziger Jahre wurde der deutsche Ableger gegründet, der unabhängig ist von Greenpeace. Über die Jahre sind Nachfrage und Angebot des Vereins stark angestiegen. Wären die Kapazitäten vorhanden, könnten vermutlich 500 Projekte angeboten werden, schätzt Hendrik. 2022 finden immerhin rund 170 Projektwochen an über 80 verschiedenen Standorten in ganz Deutschland statt. Es gibt Einsatzwochen für Erwachsene, für Familien, integrative Projektwochen, Unternehmenseinsätze und Waldschulwochen. Bis zum Ende des Jahres werden dabei rund 4000 Projekt-Teilnehmende erwartet.
Schauspielerin trifft Biologin
14 davon sind inzwischen im sauerländischen Stadtwald von Werdohl richtig in Fahrt gekommen. Die Sicherheit im Umgang mit dem Werkzeug ist mittlerweile gewachsen. Baum für Baum wird eingepflanzt. Extra-Motivation gibt das sonnige T-Shirt-Wetter. Zudem lernen wir Teilnehmende uns bei der Arbeit immer besser kennen. Aus allen Himmelsrichtungen des Landes sind wir ins Sauerland gekommen: aus Karlsruhe und Würzburg über Essen, Hamburg, Berlin, Göttingen und anderswo. Ebenso vielfältig sind Alter und Lebensalltag. Zwischen 19 und Ende 50 Jahren ist fast alles dabei. Eine Schauspielerin und eine Biologin haben sich ebenso angemeldet wie ein Angestellter für Arbeitssicherheit und einige Studierende.
Am Ende unseres ersten Arbeitstages fahren wir zurück zum Freizeitheim mit Mehrbettzimmern, in dem wir untergebracht sind und das den Charme eines Klassenausflugs aufkommen lässt. Nach sechs Stunden körperlicher Arbeit am Hang spüren wir unsere Knochen. Ein wenig Sonnenbrand zeigt sich ebenfalls an der einen oder anderen Stelle. Die Stimmung ist super. Mit über 800 Bäumen haben wir deutlich mehr als erwartet geschafft. Aber jetzt wird erstmal geduscht und Arbeitskleidung gegen Freizeitklamotten getauscht.
Vegetarisches Essen zum Abend
Im Haus duftet es schon großartig. Köchin Tobby hantiert bereits bestens gelaunt in der Küche. „Erst miassts ia den ganzn Salatschüssl laar hom, bevoar‘s des Habtmenü bekimmd“, sagt sie schelmisch grinsend im breitesten Bayrisch – und der Salat ist ebenso schnell verputzt wie die Spätzle mit Pilz-Kräuter-Soße. Schon seit vielen Jahren fährt Tobby für die Projektgruppen durch ganz Deutschland, um sie vegetarisch und vegan zu bekochen. Anschließend bleibt der Großteil von uns noch im Gruppenraum sitzen. Einige diskutieren mit Hendrik über Natur und Gemeinschaft, über das Jagen von Wild und wie viel der Mensch in die Natur eingreifen sollte. An einem anderen Tisch entspannt eine andere Gruppe beim Kartenspiel. Doch spät wird es nicht. Um 22 Uhr geht das Licht auch beim Letzten aus. Immerhin geht‘s am nächsten Tag schon um 6 Uhr weiter.
Ich brauche etwas, bis ich einschlafen kann. Die vielen Eindrücke des ersten Tages wandern noch durch meinen Kopf. Gleichzeitig fühle ich mich erfüllt vom Tag. Die Arbeit und die Zeit an der frischen Luft haben total gutgetan. So sinke ich irgendwann in den Schlaf.
Spannbreite bis zur Moor-Renaturierung
Mit einem lauten „Guuuten Mooorgen“ holt Hendrik uns am nächsten Morgen aus dem Schlaf. Eine halbe Stunde später sitzen wir alle beim Frühstück. Die Rucksäcke werden noch gepackt, Arbeitsklamotten und Bergschuhe angezogen, der große Thermotopf mit dem Mittagsessen wird verstaut – und schon starten wir in die neue Runde Baumpflanzung.
Nicht immer geht es bei den Bergwaldprojekten darum, Bäume zu setzen. Genauso kann es um Wald- oder Biotoppflege gehen und ein wachsender Bereich ist zudem die Moor- und Bach-Renaturierung. Inzwischen ist auch ein Moor-Experte beim Bergwaldprojekt e. V. angestellt.
Körperliche Herausforderung steigt um zwei Level
Auch für uns gibt es schon am zweiten Tag eine Abwechslung. Da wir schneller als erwartet vorankommen und bald schon alle rund 1600 Bäume in der Erde sind, fahren wir zehn Minuten weiter zu einem anderen Standort. Neue Aufgabe: Pflege des Jungwaldes. Die körperliche Herausforderung steigt bei dieser Arbeit um mindestens zwei Level. Erst einmal müssen wir gut 15 Minuten einen steilen Hang querfeldein hinaufkraxeln, um in das Gebiet zu kommen. Oben angekommen erklärt Hendrik, dass der heftige Orkansturm „Kyrill“ 2007 hier fast den kompletten Hang verwüstet hat und fast kein Baum mehr stand. Im Jahr darauf hat ihn das Bergwaldprojekt mit jungen Bäumen aufgeforstet.
Damit diese kleinen Bäume nicht durch den Verbiss von Reh- und Rotwild beschädigt werden konnten, wurde damals jeweils ein Verbiss-Schutz aus Plastik um die Bäume angebracht. Wo das Plastik schon kaputt ist und somit keinen Schutz mehr bietet, entfernen wir es. Etliche Bäume sind inzwischen auch schon groß genug und brauchen den Schutz nicht mehr. Wenn die Ummantelung noch gut erhalten ist, aber der Stützpfahl morsch ist, tauschen wir ihn gegen einen neuen aus. Schließlich schleppen wir rund ein Viertel der Kunststoffhüllen den steilen Hang hinunter, damit sie nicht im Wald verbleiben.
Mit der Machete gegen Brombeeren
Am nächsten Tag ist Mittwoch und damit schon Halbzeit. Den Tag verbringen wir komplett mit der Überprüfung des Verbiss-Schutzes. Wir steigen an anderer Stelle oben am Hang ein und arbeiten uns nach und nach bis nach unten zur gestrigen Stelle vor. Zusätzlich herausfordernd sind heute stachelige Brombeerranken, die an manchen Stellen die Oberhand gewonnen haben. Um die Bäume zu erreichen, müssen wir manchmal die Machete ansetzen – allerdings nur vorsichtig. „So nervig die Brombeeren für uns sind, so gut sind sie für die jungen Bäume“, erklärt Hendrik. „Wo alles richtig mit Brombeeren zugewachsen ist, hält es das Wild ab, die Bäume abzufressen.“
Solche Erklärungen streut er immer wieder in die Arbeit ein. Einerseits wird so besser verständlich, welche Arbeiten aus welchen Gründen gemacht werden, aber vor allem lerne ich auf diese Weise viel über den Wald und wie alles in der Natur zusammenhängt. Das wird auch bei den Arbeiten an den letzten beiden Tagen relevant.
Paradoxes Fällen
Wir widmen uns einem Waldstück, das vor 15 Jahren wieder aufgeforstet wurde. Für einen Wald ist das immer noch sehr jung. Würde man den Wald sich jetzt selbst überlassen, würden sich am Ende nur ein bis zwei Baumarten durchsetzen, in diesem Fall die Birke oder die Fichte. Doch vor allem aufgrund des Klimawandels ist es wichtig, gute Mischwälder anzulegen und keine Monokulturen. So greifen wir in den Jungwald ein und fällen einige der Birken und Fichten. Im ersten Moment kommt uns das grotesk vor. Erst pflanzen wir Bäume an, dann fällen wir andere wieder?
Hendrik versteht das Gefühl gut. „Im ersten Moment fühlt es sich falsch an. Doch wir ermöglichen so dem Ahorn, der Kirsche oder der Weide, dass sie auch eine Chance haben, groß zu werden. Und wichtig ist vor allem ein naturnaher Eingriff.“ Das bedeutet: Wir schauen genau hin und fällen nur an einzelnen Stellen, damit die chancenlosen Bäume Licht bekommen und nicht zurückgedrängt werden. Alle anderen Birken und Fichten dürfen getrost stehenbleiben. „An anderen Stellen im Wald ist es wiederum genauso wichtig, ihn selbst bestimmen zu lassen, was wächst. Da greifen wir überhaupt nicht ein“, betont Hendrik ebenfalls.
Schnee zum Abschied
Während wir uns durch den Hang arbeiten, lernen wir, die Bäume so zu fällen, dass sie richtig fallen und keine anderen Bäume verletzen. Das Wetter ist mittlerweile umgeschlagen. Inzwischen ist es kalt und nass. Freitag fällt sogar ordentlich Schnee. Zum Glück sind alle warm eingepackt. Nur die Essenspausen fallen deutlich kürzer aus: Solange wir in Bewegung sind, ist uns gut warm. Beim Stehen aber spürt man die Kälte.
Freitagabend werden noch alle Geräte geputzt und der Bergwald-Anhänger beladen. Obwohl wir alle merken, dass eine Woche körperliche Arbeit ganz schön Kräfte gezehrt hat, könnte die Stimmung kaum besser sein. Der Kälte wird mit Humor, Verbundenheit und der Überzeugung getrotzt, dass wir echt was gerissen haben in dieser Woche.
Am Samstagmorgen fällt der Abschied so schwer, wie Arme und Beine sich anfühlen. Ich hatte meine Frau schon vorgewarnt, dass ich bestimmt müde sein würde. Doch nach einem Tag Schlaf fühle ich mich super – und überraschend gut erholt. Mehr als nach einer Woche Strand, gammeln und Nixtun, würde ich sagen. Die eine Woche Urlaub für die Natur zu investieren, den Mix aus viel frischer Luft, toller Gemeinschaft und körperlicher Arbeit bis zum Kraftlimit zu erleben, hat sich mehr als gelohnt.
Stefan Kleinknecht ist Vater zweier Jungs und Redakteur bei der Stiftung Marburger Medien. Weitere Infos und Überblick über die Projektwochen: bergwaldprojekt.de