Freiwillige helfen bei der Begrünung des Luthergartens. Foto: tatkraeftig.org

Ehrenamt für einen Tag: Dieses Hamburger Konzept feiert gerade Erfolge

Miriam Schwartz veranstaltet mit dem Verein „tatkräftig“ eintägige Hilfseinsätze in Hamburg. Ihre Arbeit macht Ehrenamt auch für Vollzeitjobber möglich, wie sie im Interview erzählt.

Melanie Carstens: Euer Motto bei „tatkräftig“ ist: „Ein Team, ein Tag, ein Ziel.“ Was bedeutet das konkret?
Miriam Schwartz: Das ist quasi Engagement in das kleinstmögliche Format gepresst. Wir möchten für Leute, die im normalen Leben sehr eingespannt sind, einen Einstieg ins Ehrenamt schaffen. Der Einsatz ist auf einen Tag beschränkt und man engagiert sich als Gruppe. So können wir Hemmschwellen bei den Freiwilligen abbauen: Wenn ich weiß, ich kann Freunde mitbringen oder ich treffe vor Ort auf Gleichgesinnte, die sich mit engagieren, ist es viel einfacher, den ersten Schritt zu wagen. Als „tatkräftig“-Team bereiten wir im Vorfeld alles sehr gut vor: Wir haben verschiedenste Einsatzpartner, mit denen wir vorher absprechen, was an dem Tag geschafft werden soll. Die Freiwilligen bekommen dann ein Projektdatenblatt mit den Aufgaben und wissen vorher genau: Das ist heute unser Ziel.

Du hast den Verein 2012 gegründet. Wie fing das alles an?
Der Impuls kam ursprünglich vom Hamburg-Projekt, einer Freikirche, die gerade relativ neu gegründet worden war. Den Pastoren war wichtig, dass Menschen praktisch anpacken und einen Beitrag leisten, damit es den Menschen in der Stadt besser geht. Zu dieser Zeit war ich selbst noch gar nicht in Hamburg. Als ich später dazukam, habe ich dann ein Konzept geschrieben, wie wir diese Idee umsetzen können. Einer aus der Gemeinde hat dieses Konzept dann einem Unternehmen vorgelegt und gesagt: „Ihr könnt Steuern sparen, wenn ihr uns regelmäßig Geld spendet.“ Das Unternehmen hat tatsächlich zugesagt und daraus wurde die erste Minijob-Stelle, nämlich meine. Nach einem Gottesdienst habe ich eine Ansage gemacht: „Wir wollen hier etwas Neues aufbauen, wir wollen eine Plattform für Freiwillige schaffen, die sich in der Stadt engagieren.“ Offenbar hatten viele darauf gewartet, denn nach dem Gottesdienst kamen 15 Leute auf mich zu und hatten Lust mitzumachen. Das war unser Gründungsteam und wir haben dann 2012 den Verein „tatkräftig“ gegründet.

Ehrenamt betrifft jeden

War dein Glaube für dich eine Motivation, dich in der Stadt zu engagieren?
Ja, für mich steht die Nächstenliebe im Glauben über fast allem. Ich hatte mich, bevor ich „tatkräftig“ gegründet habe, auch schon selbst viel engagiert, denn ich möchte dazu beitragen, dass es anderen Menschen besser geht. Wir haben aber schnell gemerkt, dass das Konzept auch nicht gläubige Menschen anspricht. Viele haben das Bedürfnis, anderen zu helfen.

Nach diesem Gottesdienst hattet ihr schon mal 15 Freiwillige. Wie habt ihr die Leute gefunden, denen ihr etwas Gutes tun wollt?
Wir haben uns in den Niederlanden das Projekt „Stichting Present“ angeschaut, das bereits etwas Ähnliches umsetzt. Das Konzept beruht darauf, dass man in den Austausch mit verschiedensten gemeinnützigen Einrichtungen geht und guckt, wo dort der Bedarf ist, um dann mit anzupacken. Also weniger, dass man einzelne Menschen ausfindig macht, denen man hilft, sondern sich eher auf Organisationsebene vernetzt.

Wie habt ihr dann losgelegt?
Wir sind voller Ideen und Begeisterung nach Hamburg zurückgekommen und haben uns umgeschaut: Welche gemeinnützigen Einrichtungen gibt es überhaupt in Hamburg? Was sind Zielgruppen, die man unterstützen könnte? Ich habe mich mit interessierten gemeinnützigen Organisationen getroffen, um ihnen von unserer Idee zu erzählen. Die meisten Organisationen dachten aber noch in den klassischen Ehrenamts-Strukturen und mussten erstmal davon überzeugt werden, dass man auch an einem Tag viel schaffen kann und dass es sich lohnt, sich auf so eine Gruppe einzulassen. Seit den ersten erfolgreichen Testprojekten fragen uns viele Organisationen an, ob sie nicht auch Hilfe bekommen können.

Unternehmen fragen fürs Team-Building an

Und wie findet ihr weitere Freiwillige, die bei den Einsätzen mitmachen?
Anfangs kamen sehr viele aus dem Hamburg-Projekt, viele Kleingruppen haben sich mit uns engagiert. Dann hat sich das so seinen Weg gebahnt: Diese Leute haben auf der Arbeit davon erzählt, daraufhin haben wiederum die ersten Firmen bei uns angefragt, die mit ihren Mitarbeitenden einen Einsatz zum Teambuilding machen wollten. Weil die Einsätze sehr viel Begeisterung bei den Freiwilligen ausgelöst haben, haben sie das wiederum in ihrem Freundeskreis weitererzählt und so hat es sich sehr schnell herumgesprochen.

Okay, jetzt gibt es also Organisationen, die einen Bedarf haben – und Teams von Freiwilligen, die sich für einen Tag einsetzen wollen: Wie kommen die zusammen?
Es gibt zwei Wege: Entweder meldet sich eine Einrichtung oder eine Organisation bei uns. Zum Beispiel arbeiten wir regelmäßig mit dem Ronald McDonald-Haus in Hamburg-Altona zusammen. Dort können Eltern schwerkranker Kinder wohnen, während ihre Kinder im Altonaer Kinderkrankenhaus behandelt werden. Das ist natürlich eine sehr belastende Situation für sie. Dieses Haus hatte sich gewünscht, dass wir dort einmal im Monat für die Eltern kochen, um sie mal ein bisschen zu verwöhnen. Bei vielen Sommerfesten werden Freiwillige gesucht, die helfen, Essen vorzubereiten oder die Hüpfburg und andere Spielstationen zu betreuen, damit die Mitarbeitenden frei sind, sich mit den Gästen zu unterhalten.

Und was ist der zweite Weg?
Der andere Weg ist, dass ein Team aus einem Unternehmen, eine Schulklasse oder eine private Gruppe sich bei uns meldet. Daraufhin nehmen wir mit einigen dazu passenden Einrichtungen Kontakt auf, stellen der Freiwilligen-Gruppe zwei bis drei Einsatzideen vor und die dürfen sich dann ihr Lieblingsprojekt auswählen. Dadurch ist auch gewährleistet, dass die Gruppe richtig Lust auf den Einsatz hat.

Und die anderen beiden Organisationen müssen damit leben, dass es dieses Mal nicht gepasst hat?
Die bleiben dann bei uns auf der Liste, bis die nächste passende Gruppe anfragt. Wir vergessen da niemanden.

„tätkräftig“ fördert Verständnis füreinander

Was motiviert Leute, sich bei euch als Freiwillige zu melden?
Diejenigen, die privat auf uns zukommen, wollen einfach mal helfen und etwas Gutes tun, wissen aber meist nicht, wo sie anfangen sollen. Durch uns können sie den ersten Schritt ins Ehrenamt schaffen. Häufig kommen sie wieder, machen mehrmals mit und bleiben manchmal sogar langfristig irgendwo.

Welches Feedback habt ihr nach Einsätzen schon bekommen?
Ganz oft entsteht die Erkenntnis: „Mann, mir geht’s eigentlich echt gut und ich müsste viel öfter helfen.“ Oder Leute sagen: „Ich hatte noch nie mit Menschen mit Behinderung zu tun, aber es war viel einfacher, als ich dachte.“ Oft organisieren wir auch Projekte mit dem christlichen Kinder- und Jugendwerk „Die Arche“. Dort erleben unsere Freiwilligen, unter welch schwierigen Lebensverhältnissen die Kinder leben, und wie beeindruckend es ist, was die Mitarbeiter leisten. Deshalb sage ich auch immer: Bei „tatkräftig“ geht es nicht darum, das Ehrenamt zu fördern, sondern wir stärken den Zusammenhalt zwischen den Menschen, indem wir Verständnis füreinander schaffen. Weil wir die Leute dahin bringen, wo sie sonst nicht hinkommen würden.

Herausforderung Spenden

Wer bezahlt euch für eure Arbeit? Die Einrichtungen vermutlich nicht, oder?
Nein, die Einrichtungen können sich das nicht leisten. Und wenn die Freiwilligen irgendwo hingehen und helfen, wollen sie natürlich nicht auch noch bezahlen. Das ist eine große Herausforderung für uns als organisierender Verein. Deshalb sind wir zum allergrößten Teil durch Spenden finanziert, damit wir diese ehrenamtliche Hilfe kostenlos anbieten können.

Was begeistert dich selbst am meisten bei eurem Projekt?
Wir versuchen immer, ehrenamtliche Projektbegleiter, die von uns ausgebildet wurden, zum Einsatz mitzuschicken, um vor Ort dafür zu sorgen, dass alles gut läuft. In dieser Rolle bin ich selbst auch ehrenamtlich bei Projekten dabei und erlebe diesen Spirit live vor Ort. Egal, wie die Umstände sind, die Stimmung im Team entwickelt sich immer sehr schnell sehr positiv. Da kann dann auch mal ein Regenguss kommen oder Material fehlen. Man schafft es irgendwie trotzdem als Team immer, das gut zu Ende zu bringen und fühlt sich hinterher bestätigt und bestärkt. Das liebe ich total.

„Wir verändern mit jedem Einsatz die Menschen, die sich einsetzen“

Und wie erleben die Hilfeempfänger das?
Die Bewohner einer Behinderteneinrichtung wünschten sich, beim „Hamburg-räumt-auf“-Tag mit Müll zu sammeln, brauchten aber Assistenz dabei. Das haben wir schon öfter organisiert. Durch die gemeinsame Arbeit auf Augenhöhe merkt man einfach, dass keiner über dem anderen steht. Ich bin nicht der Helfende und das ist der Hilfeempfänger, sondern man hat einfach gemeinsam eine gute Zeit. Das treibt uns auch als Team an: Dass wir nicht einfach nur irgendwo Hilfe hinschicken, sondern wir verändern auch mit jedem Einsatz die Menschen, die sich einsetzen. Wir machen nicht nur Hamburg ein bisschen besser, sondern auch die Freiwilligen bekommen eine neue Einstellung zum Ehrenamt oder zu anderen Gruppen, die sie sonst nicht kennenlernen würden.

Während der Corona-Zeit habt ihr noch einen neuen Arbeitszweig gegründet: „tatkräftig fürs Klima“, mit dem ihr Projekte im Bereich Natur- und Umweltschutz unterstützt. Wie kam es dazu?
Ich selbst habe eine sehr soziale Ader, daher ging es mir bisher immer um Menschen. Den Blick für Natur und Tiere hatte ich ganz lange nicht. Aber vor drei Jahren hat es auf einmal „klick“ gemacht. Ich begriff, wie schlimm es um die Welt steht, und dass sich wirklich etwas tun muss. Daraufhin habe ich angefangen, bei mir persönlich sehr viel zu verändern: Müllvermeidung, Gebrauchtes kaufen, weniger Fleisch – die ganze Palette. Das ging auch vielen in unserem Team so und wir dachten: Es wäre doch cool, wenn wir nicht nur persönlich an Stellschrauben drehen, sondern auch auf Organisationsebene einen Beitrag leisten könnten. So waren wir uns schnell einig, dass wir auch mit „tatkräftig“ dafür sorgen möchten, dass es der Welt besser geht.

Miriam Schwartz ist die Vorsitzende des Vereins „tatkräftig e. V.“, der 2012 gegründet wurde und eintägige Hilfseinsätze mit Freiwilligengruppen organisiert, um sich gemeinsam für die Mitmenschen und die Natur in ihrer Heimatstadt Hamburg einzusetzen. Dabei arbeiten sie mit gemeinnützigen Organisationen aus dem sozialen, kulturellen und ökologischen Bereich zusammen. Das „tatkräftig“-Team besteht momentan aus neun festen Mitarbeitenden mit vier Teilzeitstellen und fünf Minijobs, die durch Spenden und Fördermitglieder finanziert werden. Weitere Infos: tatkraeftig.org

InterviewMelanie Carstens

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  1. […] steht Hendrik von Riewel, studierter Förster und Waldpädagoge. Er ist der Projektleiter dieses Freiwilligeneinsatzes. In seinen Händen hält einen kleinen Bergahorn: ein dünnes Stämmchen mit einer winzigen Knospe […]

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