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Polarforscher Arved Fuchs: Die Arktis ist ein Frühwahrnsystem der Natur

Er war Extremsportler, jetzt leitet er Expeditionen in die Polarregionen, erforscht die Meere und klärt über den Klimanwandel auf. Im Interview erklärt Arved Fuchs, warum ihm die Natur so wichtig ist und was ihn am meisten erschüttert hat.

Wir treffen uns passenderweise auf dem Extremwetterkongress in Hamburg, kurz nach den heftigen Überschwemmungen in Österreich und Osteuropa. Da ist Arved Fuchs erst wenige Tage von seiner Forschungsreise in die Barentsee zurück. Drei Monate lang ist der 71-Jährige mit einer internationalen Crew und seinem über 90 Jahre alten Segelschiff Dagmar Aaen von Flensburg zur Bäreninsel gesegelt, hat Forschungsdaten gesammelt und über die drastischen Veränderungen der Ozeane die Öffentlichkeit informiert.

Expeditionen auf See

Ein paar Tage ist Ihre Reise erst her. Finden Sie es schön, mal wieder an Land zu sein, oder wären Sie am liebsten sofort wieder auf dem Ozean?

Arved Fuchs: Nein, wir sind jetzt 90 Tage unterwegs gewesen, mit zehn Personen auf einem relativ kleinen Schiff ohne Privatsphäre. Wir haben eine ganz tolle Crew, das bringt auch viel Spaß, aber irgendwann braucht man mal wieder Freiräume für sich selbst. Ich bin kein Aussteiger. Ich freue mich auch auf das Leben hier zu Hause. Man ist wie eine Batterie, die auf einer solchen Expedition mit Eindrücken geladen wird. Und jetzt speist man sich wieder aus dieser Batterie, und diese ganzen Eindrücke kommen zurück.

Was sagt Ihre Frau zu Ihren Reisen – kommt sie mit?

Meine Frau ist auch Ozean-Fan – und ja, sie war jetzt auch diese ganze letzte Expedition mit dabei. Sie ist auch schon Hundeschlitten mitgefahren. Ich glaube, wenn sie nicht auch begeistert wäre, dann würde so eine Beziehung nicht seit 40 Jahren halten.

Sie sind auch seit über 30 Jahren mit Ihrem historischen Fischereisegler unterwegs, den Sie 1988 restauriert haben. Warum hängen Sie daran und haben nicht längst ein modernes Forschungsschiff aus Hightech-Materialien?

Diese traditionellen Schiffe haben natürlich einen ganz besonderen Charme. Wenn Sie mit einer High-Tech-Yacht bei einer kleinen grönländischen Siedlung vor Anker gehen, ist da immer eine Barriere, eine Diskrepanz, da traut sich keiner hin. Aber so ein altes Holzschiff, das lädt quasi ein zum Dialog. Und auch hier wirkt es natürlich abenteuerlich romantisch und spricht damit Menschen an. Das andere ist, dass es ausgezeichnete Seeschiffe sind. Man wird damit nie eine Regatta gewinnen können. Aber in der Langsamkeit des Reisens liegt ja auch eine besondere Erlebnisdichte.

Polarforscher – Hightech auf dem Segelschiff

Gleichzeitig haben Sie viele High-End-Messgeräte und eine Wetterstation dabei …

Ja, wir arbeiten zusammen mit dem Institut für Ostseeforschung und anderen Organisationen. Wir können CO2, Salzgehalt, Temperatur, Chlorophyll und verschiedene andere Daten im Oberflächenwasser messen und haben eine automatische Wetterstation für den Deutschen Wetterdienst mit an Bord. Über Satelliten werden die Daten in Echtzeit ans Geomar nach Kiel geschickt und dort sitzen die Fachleute, die damit arbeiten und sie analysieren. Ich bin selbst kein Wissenschaftler und früher wurde man auch mal belächelt, aber heute bezeichnen die Wissenschaftler unser Schiff als „Ship of Opportunity“ – also ein Schiff, das die Gelegenheit bietet, Messdaten zu erfassen, wo sonst kein Schiff unterwegs ist. Denn so viele Forschungsschiffe gibt es nun auch wieder nicht. Und mit so einem kleinen Schiff haben wir wiederum ganz andere Möglichkeiten. Wir sind langsamer unterwegs, der Zeitfaktor spielt bei uns keine große Rolle. Also man kann ergänzend tätig sein und gleichzeitig Wissenschaftskommunikation betreiben über die sozialen Medien.

Während der Reise haben Sie einen Blog geführt und die Farbe des Wassers gemessen. Was steckt dahinter?

„Eye on Water“ nennt sich das und wird vom Institut für Ostseeforschung aus Warnemünde organisiert. Das Prinzip gibt es aber schon seit rund 100 Jahren. Das Wasser hat unterschiedliche Färbungen, beeinflusst durch Plankton, durch Verunreinigung, durch ganz viele verschiedene Dinge. Und aus der Farbe des Wassers können Wissenschaftler Rückschlüsse ziehen. Früher hat man draufgeguckt und mit einer Farbtafel verglichen. Heute geht das etwas eleganter. Diesmal haben wir das weiter intensiviert und ganz vorne am Klüverbaum eine programmierbare, wasserdichte Kamera installiert und die hat jede Viertelstunde eine Aufnahme vom Wasser gemacht und die Daten haben wir ausgelesen. In Verbindung mit der Position, mit der Wolkendecke und anderen Faktoren ist das eine enorme Datendichte, die neu ist für die Wissenschaft.

Aufklärung über den Klimawandel

Dieses Jahr ging die Expedition zur Bäreninsel, von der ich noch nie gehört hatte. Warum?

Die Bäreninsel liegt mitten in der Barentssee, die an das Nordpolarmeer angrenzt. Die Bäreninsel liegt etwa auf halbem Weg von Norwegen nach Spitzbergen und ist unbewohnt, bis auf eine kleine norwegische meteorologische Station. Sie ist auch historisch interessant. Es gibt eine alte Walfangstation, alte Kohlenminen und das ist ein weiteres Vehikel, um Menschen dafür zu interessieren. Dies merken wir über den Zuspruch in den sozialen Medien, und dann können wir weitere Informationen weitergeben. Die Barentsee ist im langjährigen Mittel im Durchschnitt 3 bis 5 Grad Celsius zu warm, in den Spitzen sogar um 7,5 Grad Celsius. Da bleibt einem der Atem stocken – 7,5 Grad zu warm! Wenn die Lufttemperatur im Sommer 7,5 Grad zu warm wäre, dann wäre das dramatisch. Es ist eben ein Abenteuer, dorthin zu segeln, anzulanden, mit dem Schlauchboot verankert zu liegen, mit den Menschen zu sprechen, zu zeigen, wie schön diese Insel ist, auch wenn sie eine karge arktische Insel ist. Auf der anderen Seite eben auch auf die Probleme hinzuweisen, nicht belehrend, sondern einfach informativ – das ist meine Intention.

Wie kam es, dass Sie auch zum Aufklärer wurden?

Als ich anfing, war es für mich das große Abenteuer und die sportliche Herausforderung im Extrembereich. Das war alles, was ich leisten konnte und wollte. Aber man wird ein sehr guter Beobachter und die schleichenden Veränderungen in der Natur machen einen nachdenklich. Die Arktis, wo ich überwiegend gewesen bin, erwärmt sich gut dreimal so schnell wie der Rest der Welt. Sie ist also eine Art Frühwarnsystem der Natur und das hat mich, um im Bild zu bleiben, nicht kalt gelassen. Ich glaube, als Zeitzeuge steht man auch in einer gewissen Pflicht, über die unangenehmen Dinge zu berichten und nicht einfach nur spannende Geschichten und schöne Bilder nach Hause zu bringen. Ich versuche, objektiv zu informieren. Aber man ist natürlich immer irgendwie auch subjektiv geprägt. Ich habe viele Freunde unter der indigenen Bevölkerung, die mit dem Klimawandel umgehen müssen und die Auswirkungen zuallererst zu spüren bekommen. Das wühlt mich auf. Außerdem habe ich eine ausgeprägte Liebe zur Natur. Ich bin gerne auf dem Wasser. Ich bin gerne in der Arktis, in der Antarktis. Ich bin gerne in der Natur unterwegs. Und deshalb tut es einem weh, wenn man merkt, dass mit großer Ignoranz all das verändert und zerstört wird.

Gab es ein Erlebnis auf Ihren Reisen, das Sie besonders getroffen hat, was die Erderwärmung angeht?

Ein einschneidendes Erlebnis war 2002, als wir nördlich von Sibirien mit dem Schiff lang gesegelt sind, die sogenannte Nordostpassage, die immer mit Eis blockiert gewesen war. Dreimal sind wir in den 90er-Jahren dran gescheitert, weil kein Durchkommen war. 2002 war sie plötzlich weit offen und man kam ohne Probleme, ohne Eiskontakt durch. Das war für mich so absurd. Entweder war es ein ganz ungewöhnlicher Sommer, was viele damals gesagt haben, oder es war eine Tendenz. Und es hat sich gezeigt, dass es eine Tendenz ist. Das hat mir, ehrlich gesagt, die Unbefangenheit dieser Reisen, wie ich sie früher hatte, genommen. Ich werde bisweilen zornig, wenn ich sehe, wie Populisten den Klimawandel leugnen, obwohl die ganzen Daten, die Erkenntnisse auf dem Tisch liegen. Wenn ich sehe, dass gerade viele junge Menschen AfD wählen, auch weil die in den sozialen Medien so präsent sind, dann muss man dem entgegensteuern, Fakten aufzeigen. in unserem Fall mit so einem Abenteuerambiente, einem Segelschiff in rauer See. Wir versuchen, sie über die sozialen Medien mitzunehmen und sie für die Umwelt zu begeistern.

Müll in der Arktis

2015 haben Sie das Ocean-Change- Projekt gegründet, eine jährliche Expedition. Was ist das Ziel?

Die Ozeane machen über siebzig Prozent der Erdoberfläche aus. Es sind die größten Naturlandschaften, die wir haben. Alles Leben stammt aus den Ozeanen. Sie sind die größten CO2-Speicher und damit entscheidend für das Klima. Aber was da passiert, findet oftmals unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Wir möchten diese Ozeane ins Wohnzimmer der Menschen bringen, sie damit konfrontieren. Viele kennen Ozeane nur als touristische Destination mit Strand und Badeurlaub. Wir sagen: Wir benutzen die Ozeane als Müllkippe. Warum findet man auf einer völlig unbewohnten, einsamen Insel in der Arktis Flipflops und Cremedosen? Weil das alles dorthin transportiert wird. Wir dokumentieren Fischereinetze mit verendeten Tieren, sogenannte Geisternetze, die weltweit herumtreiben, immer weiter fangen und verheerende Auswirkungen haben bei Delfinen, Fischen, Robben. Das ist etwas, was wir im Rahmen dieses Ocean-Change-Projektes transportieren möchten.

Was wünschen Sie sich für die Ozeane?

Ich wünsche mir eine Wertschätzung. Ozeane sind der größte Lebensraum, den wir auf der Erde haben. Wir brauchen Schutzgebiete in den Ozeanen, Überfischung ist ein Riesenpro­blem. Wir brauchen diesen berühmten Schulterschluss aller gesellschaftlichen Kräfte. Wir brauchen die Industrie, wir brauchen die Politik. Wir brauchen alle gesellschaftlichen Akteure und wir müssen aufhören, so zu tun, als gäbe es die Probleme nicht. Wir müssen ins Handeln kommen, das ist der entscheidende Faktor. Und es ist auch ganz wichtig zu kommunizieren, dass wir schon eine Menge geschafft haben. Wenn ein Industrieland wie Deutschland mittlerweile seinen Strommix zu über fünfzig Prozent aus erneuerbaren Energien bezieht, dann ist das schon ein Pfund, mit dem wir wuchern können. In den 80er-Jahren hätte man Sie ausgelacht, wenn Sie mit dieser Vision gekommen wären. Insofern haben wir ja etwas geschafft. Bloß ist es viel zu wenig und wir dürfen trotz aller Krisen und Probleme – auch wirtschaftlicher Natur – nicht nachlassen, dieses Problem als eines der Kernprobleme unserer Zeit zu erkennen. Viele Kriege, Konflikte, die es weltweit gibt, resultieren aus dem Klimawandel. Und diese Extremwettergeschehnisse, die wir haben, kosten die Volkswirtschaften nicht nur unendlich viel Geld, sondern generieren unendlich viel Leid.

Brauchen bessere Berichterstattung

Ich nehme beim Thema Klima insgesamt eine gewisse Müdigkeit wahr und auch Frust: Jetzt verzichte ich schon zehn Jahre auf Fleisch und fliege nicht und das Klima ist immer noch nicht gerettet …

Ja, das Thema Klimawandel ist irgendwie präsent, aber hat nicht mehr die Bedeutung wie noch vor dem Ukraine-Krieg. Aber gerade deshalb müssen wir doch weitermachen. Ich komme, wie gesagt, aus dem Extremsportbereich. Und wenn ich in einen Schneesturm gerate und mein Schlitten kaputt ist und ich mich hinsetze und sage: „Nun weiß ich auch nicht weiter, das ist aber ungerecht, dass das Wetter nun plötzlich so schlecht ist“ – dann sterbe ich auf einer solchen Expedition. Man muss doch jetzt erst recht weitermachen, auch wenn das bisher nicht gereicht hat. Und Veränderungen müssen ja nicht schlechter sein – ich muss auf alles verzichten, darf jetzt gar nichts mehr und keine Freude mehr haben –, sondern Veränderungen können ja auch positiver Natur sein. Es ist eben der Schritt nach vorne in eine etwas andere Lebensphilosophie und andere Rahmenbedingungen. Was bedeutet für mich Glück? Was bedeutet für mich Zufriedenheit? Ich glaube, diese Definition für sich zu finden, würde uns weiterhelfen.

Wie sollten Medien aus Ihrer Sicht heute Klimathemen kommunizieren?

Ich wünsche mir vom Journalismus, dass positive Ansätze gezeigt werden. Ich habe mit den Medien beim Thema Wärmepumpen so meine Probleme gehabt. Der Wärmepumpenmarkt ist eingebrochen, die Leute fangen wieder an, Ölheizungen einzubauen. Momentan sind die Spritpreise so billig, wie seit langem nicht mehr, aber das muss doch mal durchleuchtet werden, dass das nicht so bleiben wird und dass man damit dieser fossilen Lobby in die Hände spielt. Ich wünsche mir, dass man auch mal sagt, eine Wärmepumpe kann im Sommer auch kühlen und Hitze wird ein zunehmendes Problem für uns sein. In Skandinavien ist das mittlerweile Standard. Wir Deutschen tun immer so, als wären wir die Speerspitze der Ökobewegung und des Klimaschutzes, aber das ist völlig daneben. Wir sind nicht mal im Mittelfeld angesiedelt. Andere Länder sind da viel, viel weiter, ohne in Depression zu verfallen und ohne Maßnahmen und Mittel immer zu hinterfragen. Sie machen es einfach. Und von den Medien würde ich mir auch wünschen, dass sie ein bisschen Mut machen und sagen: Go for it – lasst uns das machen!

Sie sind schon immer ganz viel in der Natur unterwegs gewesen. Erleben Sie das als besondere Kraft?

Ganz klar: ja. Ich habe die Natur immer als eine große Ressource empfunden, mich selbst buchstäblich zu erden, zu resetten. Raus aus dieser Hightech-Welt, aus Termindruck und allem, womit man sich sonst umgibt. Und dazu muss man nicht zum Nordpol oder zur Bäreninsel fahren, das kann auch einfach mal ein Spaziergang in der Lüneburger Heide oder im Stadtpark sein, wo man die Natur auf sich wirken lässt. Das hat für mich eine Spiritualität. Ich bin kein religiöser Mensch. Ich glaube nicht an eine übergeordnete Macht – oder wenn es die gibt, dann ist es für mich die Natur. Ich glaube, wir müssen aufhören, die Natur und uns auseinanderzudividieren, sondern wir müssen uns als integraler Bestandteil dieser Natur verstehen und unseren Standort dort auch drin finden und nicht erwarten, dass die Natur funktioniert, wie wir sie gerne hätten. Wir sägen den Ast ab, auf dem wir sitzen, das ist wirklich die große Tragik der Menschheit. Deshalb ist, glaube ich, dieses Naturempfinden etwas ganz, ganz Wichtiges.

Interview: Anja Schäfer

Arved Fuchs ist ein deutscher Polarforscher, Abenteurer und Buchautor, der durch seine Expeditionen in die Arktis und Antarktis internationale Bekanntheit erlangt hat. Er war 1989 der erste Mensch, der sowohl den Nord- als auch den Südpol innerhalb eines Jahres zu Fuß erreichte. Fuchs ist für seine extremen Unternehmungen bekannt – oft in traditioneller Ausrüstung – und engagiert sich intensiv für den Umwelt- und Klimaschutz. Mit seinem Segelschiff Dagmar Aaen führt er regelmäßig Forschungsreisen durch, um auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam zu machen.

Willi Weitzel unterwegs mit dem Esel. Foto: Privat

„Manchmal fällt es mir schwer, optimistisch in die Zukunft zu schauen“

Der Moderator Willi Weitzel stellt nicht nur kluge Kinderfragen, sondern ist auch neugierig. Im Interview verrät er, was ihn bewegt und was ihm Hoffnung gibt.

Manchmal hat Willi Weitzel ein schlechtes Gewissen. So wie jetzt, als ein Cappuccino mit Kuhmilch vor ihm steht: Der Kaffee ist zwar bio, aber leider war die Hafermilch alle. Dabei ist ihm Nachhaltigkeit wichtig. Für viele ist Willi Weitzel, 49, immer noch der Moderator der Fernsehsendung „Willi wills wissen“, der von 2002 bis 2009 Familien die Welt erklärte. Neugierig, fröhlich, mit großen Augen. Auf der Höhe seines Erfolgs stieg er aus der Sendung aus und begab sich auf die Suche danach, wer er jenseits seiner Sendung eigentlich ist und sein möchte. Fragen stellen, reisen, die Welt erforschen und verrückte Ideen ausprobieren – das tut Willi Weitzel immer noch, als Reporter, Moderator, in seinen Vorträgen und Filmen. Aber sein Ton ist nachdenklicher geworden.

Nachhaltigkeit ist für dich ein wichtiges Thema. Du hast drei Töchter – wie lebt ihr das Thema als Familie?

Im Vergleich zu vor zehn Jahren hat sich schon viel getan. Bei uns gibt es zu Hause zum Beispiel keinen Fisch mehr aus dem Meer. Wenn, dann aus dem Ammersee, wo wir wohnen, oder aus geschützten Beständen. Ich lebe zu 90 Prozent vegetarisch, manchmal sind es auch hundert. Ich kann allerdings nicht immer auf Fleisch verzichten. Und ich weiß auch, woran das liegt: Weil wir viel von unserem Geschmack mit der Kindheit verbinden. Deswegen ist es auch mein Ziel, meinen Kindern Dinge auf den Tisch zu bringen, über die sie vielleicht in dreißig Jahren sagen: „Ach toll, heute gibt es wieder Falafelbällchen, wie früher beim Papa!“

Das klingt gut! Wie sieht es mit Wohnen und Mobilität aus?

Wir wohnen als Familie auf dem Land und beziehen hier Naturstrom. Leider haben wir es bisher als Mieter noch nicht geschafft, eine Solaranlage aufs Dach zu bekommen. Aber wir haben seit zwei Jahren ein Elektroauto. Das nutzen wir eigentlich nur, um von Dorf zu Dorf zu kommen und für den Kindertransport. Aber inzwischen sind 25.000 Kilometer drauf und ich bin dankbar, dass diese nicht in die Luft verpufft sind. Es ist nicht die Lösung aller Lösungen, aber etwas, das ich tun kann. Insgesamt ist es nicht so leicht, in den Medien das gute Vorbild zu erklären und das dann auch im Alltag zu leben. Manchmal denke ich auch: „Hoffentlich guckt jetzt keiner rein“, wenn ich mir noch eine Scheibe Wurst abschneide.

In deinen Filmen und Reportagen geht es neben Klimawandel oft auch um schwierige Themen wie Krieg, Flucht, Ausbeutung. Wie gelingt es dir, trotzdem eine gewisse Leichtigkeit zu behalten?

Ehrlich gesagt: Persönlich gelingt mir dieser Spannungsbogen nicht immer so gut. Manchmal fällt es mir schon schwer, optimistisch in die Zukunft zu schauen. Zum Beispiel war ich für meinen Kinofilm „Willi und die Wunderkröte“ mit dem Wissenschaftler Martin Jansen vom Senckenberg-Forschungsinstitut im Süden Boliviens unterwegs. Dort habe ich wirklich ein Natur-Paradies entdeckt. Die vielen Bäume dort wurden inzwischen abgeholzt. Ein Rinderbaron wollte einfach noch mehr haben – schreckliche Realität. In solchen Momenten hilft mir
nur noch mein Optimismus. Ich wohne nicht weit vom Kloster Andechs. Der dortige Abt, Johannes Eckert, hat sein neuestes Buch über die Apokalypse geschrieben und die Quintessenz hat mich getröstet. Seiner Meinung nach ist es, wenn du Christ bist, nicht fünf nach zwölf. Es bleibt fünf vor zwölf. Daran orientiere ich mich. Weil ich ein Vorbild – auch für meine eigenen  Kinder – bin, versuche ich, einfach zu machen und mich nicht zu Tode zu grübeln.

Vor 13 Jahren, mit 36, hast du dir eine Auszeit bei „Willi wills wissen“ erbeten, weil du eine Pause brauchtest. Du bist damals einfach allein über die Alpen gewandert, vier Wochen lang. Wie war das?

Es war damals unglaublich befreiend, selbstbestimmt den Takt vorzugeben und aus der Maschinerie der Sendung herauszukommen. Es war ein Weggehen und Ankommen. Mit meinem Erfolg bei „Willi wills wissen“ hatte ich auch eine gewisse Eitelkeit entwickelt. Aber allein mit dem Rucksack, im Zelt, auf Hütten – das hat mich total geerdet und mich unglaublich glücklich gemacht. Die Welt unten im Tal und die Probleme waren oben auf dem Berg so klein. Und ich war dem Himmel näher als der Realität. In dieser Situation habe ich die Entscheidung getroffen, mit „Willi wills wissen“ aufzuhören. Für diesen Entschluss bin ich bis heute dankbar – und bereue ihn zugleich.

Du bist anschließend für einige Tage in ein Benediktiner-Kloster gegangen. Was hast du dir davon erhofft?

Ich glaube, ich wollte mir nochmal diesen Himmel, den ich in den Bergen erfahren hatte, in meine Nähe holen. Im Kloster konnte ich – abseits aller Alltagseinflüsse – mein Leben neu sortieren und die Weichen neu stellen, sowohl beruflich als auch privat. Aber eigentlich ging es nur um das Gewinnen, oder vielleicht auch Zurückgewinnen einer inneren Haltung. Wer bin
ich? Was will ich? Die Frage taucht ja nicht nur in meinem Leben auf. Streben wir nicht alle nach Zufriedenheit? Antworten und Wegbeschreibungen zu echter Zufriedenheit finden wir nur in uns selbst – und nicht in Büchern oder dem Internet.

Du warst früher Messdiener und Sternsinger, kamst dann zum Theologiestudium nach München. Den christlichen Glauben hast du mal als Wurzel bezeichnet. Warum lässt er dich nicht los?

Diese Wurzeln sind unglaublich stark, das merke ich. Obwohl ich es im Moment sehr schwierig finde. Ich bin den Katholiken ja schon seit 49 Jahren treu. Seit zwanzig Jahren heißt es:  „Wenn wir alle austreten würden, können wir nichts von innen heraus verändern.“ Leider ändert sich aber auch so nichts. Nun fangen die Ersten in leitenden Positionen an auszutreten und ich selbst hadere auch. Vor allem mit der katholischen Kirche aber auch mit meinem Glauben. Und trotzdem sind da diese Wurzeln, die schon früh in der Kindheit angelegt worden sind. Ich rieche den Weihrauch, höre das Te Deum – das schafft eine Gänsehaut und eine Anbindung. Die Frage ist: Werden die Wurzeln mich davon abhalten, mich weiterzuentwickeln? Oder geben sie mir vielleicht die Anbindung, die mich auch durch die gegenwärtigen Zeiten bringt? Es wird mich wahrscheinlich bis zum Lebensende so zwiespältig begleiten.

Du bist mit einem Esel 180 Kilometer von Nazareth nach Bethlehem gewandert. Wie kam es dazu?

Ich hatte in der Weihnachtszeit meiner damals fünfjährigen Tochter die Weihnachtsgeschichte vorgelesen. Auf ihre Frage, wie lange Maria und Josef dafür unterwegs gewesen waren, dachte ich, dass es doch eigentlich meine Aufgabe ist, solche Kinderfragen zu beantworten. Mein neues Projekt: zu Fuß von Nazareth nach Bethlehem, begleitet von einem Esel. Vor Ort fand ich nach zwei Tagen einen Esel, mit dem ich bis zum Westjordanland kam. Allerdings durfte er nicht mit über die Grenze, weil es auch schon bombenbeladene Esel gegeben hatte. Ich konnte mir dort einen anderen Esel kaufen, der mich bis in die Nähe von Jericho brachte. Leider ist er zwei Tagesetappen vor Bethlehem nachts abgehauen. Für das letzte Stück habe ich einen Beduinen gefunden, der mir seinen Esel zwar nicht verkaufen konnte, mich aber zwei Tage lang mit ihm begleitet hat. Nach zwölf Tagen hatte ich es endlich geschafft.

Das klingt wirklich abenteuerlich …

Was jetzt als fluffige Geschichte daherkommt, war vor allem eins: anstrengend. Ein Heidenrespekt, wenn Maria das hochschwanger gemacht haben soll! In der öden, heißen Wüste hatte ich das Gefühl nicht voranzukommen, denn alles sah gleich aus. So ging es auch meinem beduinischen Begleiter, der zehn Kilometer vor Bethlehem sagte, er kann nicht mehr, jetzt drehen wir um. Er hat nicht verstanden, warum ich bis nach Bethlehem wollte und sich geweigert. Ich sagte ihm, es sei ein heiliger Weg. Er fragte: „Like Hadj?“ (Also die berühmte Pilgerreise der Muslime). Ich sagte: „Ja!“ Er ging sofort und kommentarlos weiter bis nach Betlehem.

In welchen Momenten hast du den Glauben sonst besonders stark erlebt?

Vor einigen Jahren war ich mit meinem besten Freund in Jerusalem. Ich wusste, wenn morgens um fünf Uhr die Grabeskirche aufgeschlossen wird, ist noch niemand da. Wir standen also vor dem Grab und auf einmal guckte ein Mönch aus der Grabkammer heraus und lud uns ein, mit ihm zusammen Gottesdienst zu feiern. Das taten wir, übermüdet wie wir waren. Ich habe die Lesung gemacht und er hat uns Wein und Brot gegeben. Wir waren unglaublich bewegt und hatten danach sogar feuchte Augen, weil wir noch nie zuvor eine so intensive Glaubenserfahrung gemacht hatten.

Interview: Debora Kuder

Global Food Garden - eine Anlage zum Gemüseanbau. Foto: Daniel Johansson

Startup gegen den Hunger: Eine innovative Methode zum Gemüseanbau

Immer mehr Menschen hungern. Der Klimawandel verschärft das Problem noch weiter. Daniel Johansson und David Rösch haben mit „Global Food Garden“ neue Anbaumethoden für wasserarme Regionen entwickelt. Ein Lichtblick.

Es ist sonnig, als ich mich auf mein Fahrrad schwinge, um den „Global Food Garden“ zu besichtigen. Während ich durch Freiburg fahre, genieße ich die Gegend. Uns umgibt hier viel Grün. Wasser und fruchtbarer Boden ermöglichen eine hohe Lebensqualität. Ich muss daran denken, wie anders es in den Gebieten aussieht, für die der „Global Food Garden“ sich einsetzt. Regionen, in denen kaum etwas wächst und Dürreperioden es den Menschen schwer machen, sich ihre Lebensgrundlage zu erarbeiten.

Angekommen auf dem Freiburger Gelände fällt zuerst die große Hydroponik-Anlage aus leuchtend gelben Balken auf. Hinter großen Fensterscheiben sprießen zahlreiche Salatköpfe aus einer weißen Wand. Ich werde bald erfahren, dass diese Form des Gemüseanbaus der Anfang war von allem.

Wasser zielgenau nutzen 

Der gelernte Schiffsingenieur Daniel Johansson hörte von einem Kollegen davon. Aufgewachsen auf einem Schiff der christlichen Organisation OM hatte Daniel selbst mehrere Jahre auf einem solchen Schiff gearbeitet, bevor er 2010 mit seiner Familie in die deutsche OM-Zentrale nach Mosbach im Odenwald kam. Hier erfuhr er, dass sich mit dieser Methode Gemüse in Regionen anbauen lässt, in denen das mit herkömmlichen Herangehensweisen nicht oder kaum möglich ist.

In einem solchen hydroponischen System wachsen Pflanzen nicht in Erde, sondern in mit Nährstoffen angereichertem Wasser, was – so wie hier – auch einen vertikalen Anbau ermöglicht. Eine solche Anlage benötigt aber nicht nur weniger Raum, sondern vor allem bis zu 90 Prozent weniger Wasser als Äcker, da das Wasser zirkuliert oder zielgenau bereitgestellt wird, nicht aber versickert.

Die Vorstellung, mit solchen Systemen eine mögliche Antwort auf den Hunger in der Welt und die zunehmenden klimatischen Herausforderungen zu haben, ließ den heute 43-Jährigen nicht mehr los. „Mir ist es wichtig, einen guten Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen“, sagt er in unserem Gespräch. „Oft sind wir Christen schnell im Dagegen-sein, dabei wäre es doch viel besser zu sagen: Wir haben hier einen positiven Beitrag und eine Antwort.“

2018 kam er mit einem anderen Visionär ins Gespräch: David Rösch. Er träumte von einer Ausbildungsstätte, die junge, geflüchtete Männer für einen Ausbildungsplatz vorbereitet und ihnen damit eine berufliche Perspektive in Deutschland gibt.

Aus dem Gespräch wuchs eine Kooperation mit Zukunftsperspektive. David Röschs Projekt [p3]-Werkstatt hatte die nötigen Ressourcen für den Bau erster Hydroponik-Anlagen, während Daniel Johansson über Kontakte ins Ausland verfügte, um Gemüseanbau-Projekte zu starten und Menschen im Bereich der Hydroponik zu schulen. Genau genommen sind es also sogar zwei Projekte, die ich hier besichtigen darf.

Innovative Möbelstücke

Als wir die Halle von [p3] betreten, herrscht eine ruhige aber gesellige Atmosphäre. Es duftet nach frischem Holz. Moderne Möbelstücke sind zu sehen. Dass hier Wert auf Qualität und Design gelegt wird, fällt auf. An der Wand wachsen Zimmerpflanzen in einem langen Rohr – ebenfalls eine Hydroponik-Anlage, wie ich später erfahre. Mittlerweile sind schon in mehreren Freiburger Restaurants Anlagen dieser Art zu bestaunen.

In drei Werkstätten für Holz, Elektrik und Metall werden hier Schüler unterrichtet. Einige arbeiten gerade hochkonzentriert an Holzaufbauten für Fahrräder, die diese zu einer mobilen Küche oder einem fahrbaren Infostand machen. Seit 2019 werden hier auch Hydroponik-Anlagen entwickelt, gebaut und vertrieben. Ohne große Werbung kommen immer wieder Anfragen von Schulen, Restaurants und Firmen, die Pflanzen auf diese Weise anbauen wollen. Auch nach den hydroponischen Möbelstücken, aus denen Kräuter oder Zimmerpflanzen wachsen, herrscht rege Nachfrage. Innovative, nachhaltige Produkte, geeint mit einem starken Fokus auf das Soziale, kennzeichnet die [p3]-Werkstatt und macht sie damit zum perfekten Partner für Daniels “Global Food Garden”.

Mittlerweile wohnt Daniel mit seiner Familie im Schweizerischen Oberdorf im Baselland und hat zahlreiche Projekte mitgeholfen umzusetzen – mit hydroponischen oder anderen Anlagen, die Gemüseanbau in trockenen Regionen ermöglichen. In Kenia beispielsweise entstanden aus einfachsten Mitteln sogenannte „Wicking Beds”. Unter diesen Hochbeeten zirkuliert Wasser unter einem Erde-Mist-Gemisch. Überschüssiges Wasser läuft zurück und wird erneut ins Beet gepumpt. Sie wurden zur lokalen Attraktion, als es darin selbst in der Trockenzeit grünte und blühte.

Auch in einem abgelegenen Küstendorf in Grönland ist der „Global Food Garden“ aktiv. Normalerweise wird frisches Gemüse hier ausschließlich aus dem Ausland angeliefert. Nun soll bald mit einer Indoor-Farming-Anlage Gemüse vor Ort produziert werden, sodass lange Transportwege entfallen und nebenbei Arbeitsplätze entstehen. Eine Pilotanlage ist gebaut und wird aktuell noch getestet.

Während der Corona-Pandemie wurde deutlich, dass neben den großen Anlagen, die im Bau und der Vorbereitung sehr abhängig von der Begleitung des “Global Food Gardens” sind, noch einfachere und möglichst unabhängige Lösungen hilfreich wären. Also reduzierte man die nötige Technik auf ein Minimum, sodass sie nun in eine Kiste passt. Mithilfe einer kleinen Solaranlage mit Akku wird hier die Pumpe eines hydroponischen Systems betrieben, das eine Nährlösung in den Pflanzbereich pumpt, wo die Wurzeln sie aufnehmen können, bevor überschüssiges Wasser zurück in den Wasserspeicher fließt. Rund 400 Euro kostet eine solche „Africa Food Garden Box“, die etwa 400 Gemüsepflanzen bewässern kann und so eine Familie mit Nahrung und einem kleinen Einkommen versorgt.

Bei einem Projekt in Nigeria hat sich jedoch gezeigt, dass es mit innovativen Anbaumethoden allein noch nicht getan ist. Es stellen sich auch Fragen nach geeigneter Lagerung, Transport und Verkauf des Gemüses, damit dieses tatsächlich auch seinen Weg zu den Menschen findet. Deshalb muss der „Global Food Garden“ ein Netzwerk mit einer Vielzahl an Akteuren sein.

Ausbildungszentren überall

Als Daniel vor ein paar Jahren überlegte, wie ein Vision Statement für sein Leben aussehen würde, wurde ihm klar: „Wenn ich am Ende alles aus eigener Kraft erreicht habe, dann habe ich zu wenig groß geträumt oder geglaubt.“ Ihm ist wichtig, das, was er angeht, mit Gottvertrauen zu tun: „Ich möchte erleben, wovon die Bibel spricht, nämlich dass wir noch Größeres als Jesus vollbringen dürfen.“ Für seine Arbeit mit dem „Global Food Garden“ hat er dabei ein biblisches Vorbild: Josef aus dem Alten Testament, der mit Gottes Hilfe und der Fähigkeit und Weisheit, die er ihm anvertraute, das ganze Land mit Nahrung versorgte.

So sehr Daniel Teamplayer ist und innovative Ideen hat – die Entwicklung von Geschäftsideen und Business-Entwicklung waren ihm bislang fremd. Doch nach und nach und nicht ohne Zweifel und Rückschläge fuchste er sich in die Sache hinein: „Wenn man sich gebrauchen lässt, gehen Türen auf“, ist er überzeugt – und: „Wenn ich das kann, dann können das auch andere.“ Er träumt von Ausbildungszentren überall auf der Welt, in denen Modellprojekte der verschiedenen Systeme gezeigt und gelehrt werden, damit für jede Region das passende System vermittelt werden kann.

Zahlreiche Qualifikationen und Berufsfelder schweben ihm vor: Vom Gemüseanbau und der Fischzucht über den Bau und Betrieb von Gewächshaussystemen bis zur Saatgutherstellung oder Lebensmittelveredelung wäre vieles denkbar. Auch hier befruchten sich die beiden Projekte wieder. „Eigentlich haben wir hier in Freiburg mit der [p3]-Werkstatt schon so ein Ausbildungszentrum im Kleinformat“, sagt Daniel. Die Ausbildungserfahrung, die [p3] bei der Arbeit mit Geflüchteten sammelt, die teilweise wenig oder keine Schulbildung haben, ist hilfreich für Projekte in Ländern mit geringem Bildungsstand.

Dorothee Bühler de Arcos ist Lehrerin in Freiburg. Mehr zum Global Food Garden: globalfoodgarden.de
Mehr zum Projekt [p3]: p3-werkstatt.de

Klima-Aktivistin Vanessa Nakate: So tickt die „Greta Afrikas“

In Afrika schlägt die Klimakrise massiv zu, aber niemand spricht darüber. Vanessa Nakate streikt für mehr Klimagerechtigkeit, tritt für Afrika ein und kämpft dafür, dass das Leid der Menschen gesehen wird. Ein Porträt von Anja Schäfer.

Manche nennen sie die „Greta Afrikas“, weil sie für Klimagerechtigkeit streikt und ihre Stimme erhebt. Doch den Vergleich mit der schwedischen Klima-Aktivistin hat Vanessa Nakate längst nicht mehr nötig.

„Als ich klein war, war ich ein sehr schüchternes und ängstliches Mädchen. Aber ich hörte, wie mein Vater und andere über den Regen sprachen.“ So begann Vanessa Nakate ihre Rede Ende Juni in Hamburg, als sie den Helmut-Schmidt-Zukunftspreis überreicht bekam. Seit Januar 2019 demonstriert die 25-jährige Absolventin eines BWL-Studiums für mehr Klimabewusstsein in ihrer Heimat Uganda, wo das Wissen über die Klimakrise häufig dürftig ist. Und für Klimagerechtigkeit. Unter dem Slogan „Show us the money“ erinnert sie an zugesagte Hilfen der Industriestaaten, die mit ihren Emissionen für die Klimakrise verantwortlich sind.

Dürre und Flut – der Regen in Uganda

Sie spricht und schreibt über den Regen, denn er verändert Uganda. Entweder weil er ausbleibt oder weil er zu Überschwemmungen führt. „Die Menschen in Afrika leiden schon jetzt unter einigen der brutalsten Auswirkungen der Klimakrise – dabei ist der gesamte afrikanische Kontinent für weniger als vier Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich“, erklärte sie in ihrer Rede.

Das Jahr 2018 war in Ostafrika von heftigen Wetterereignissen gezeichnet. Eine halbe Million Menschen waren betroffen: von massiven Überflutungen, zerstörten Ernten, ertrunkenen Ziegen und Kühen. 12.000 Menschen verloren ihre Häuser in Erdrutschen. In anderen Regionen hingegen blieb der Regen aus, nun schon das zweite Jahr in Folge.

„Wir müssen etwas unternehmen!“

Als Vanessa sich nach Abschluss ihres Studiums mit den Themen näher beschäftigt, ist sie entsetzt, wie wenig in ihrem Land über die Zusammenhänge bekannt ist. Ihr Onkel Charles spricht es schließlich aus: „Wir müssen etwas unternehmen – der Umwelt wegen und der jungen Menschen wegen.“ Und Vanessa unternimmt etwas. Bei ihren Online-Recherchen ist sie auch auf Greta Thunberg gestoßen, ist fasziniert von diesem Mädchen, das jünger ist als sie selbst und sich dennoch traut, auf die Straße zu gehen. In Uganda ist dafür noch mehr Mut nötig. Denn nicht nur sind die gesellschaftlichen Normen, was junge Frauen tun und lassen können, viel enger. Auch sind öffentliche Demonstrationen kaum geduldet.

Mitunter werden sie willkürlich durch die Polizei und mithilfe von Schlagstöcken und Tränengas aufgelöst.

Doch Vanessa weiß inzwischen zu viel und spürt den Willen, etwas für ihr Land zu unternehmen. An einem Samstag beschließt sie, auf die Straße zu gehen. Sie spürt eine Verbundenheit zur globalen Bewegung Fridays for Future – aber bis Freitag will sie jetzt nicht mehr warten. Sie motiviert ihre beiden jüngeren Brüder und drei Cousins und Cousinen, sie malen Schilder und gehen am Tag darauf frühmorgens los. An vier strategisch ausgewählten Orten ihrer Heimatstadt Kampala – Märkten und vielbefahrenen Kreuzungen – stellen sie sich auf und posten Fotos davon in ihren Social-Media-Kanälen. Als Greta Thunberg überraschend ihre Fotos teilt, schnellen die Likes in die Höhe.

Einladung nach New York

Am Freitag darauf will sie einen echten Fridays-Streik starten – und da niemand sonst Zeit hat, zieht sie allein los, bis sie erleichtert einen alten Freund trifft, der sich ihr anschließt. Doch nach einigen Wochen Solo-Streiks nimmt der Frust überhand, dass sie nur selten jemand begleitet und nur wenige Menschen mit den Botschaften auf ihren Schildern etwas anfangen können. „Je stärker ich mich persönlich engagierte, desto größer wurde der Schmerz darüber, dass öffentlich so gut wie niemand in meinem Land auf den übergeordneten Notstand zu reagieren schien“, blickt sie zurück. Zwei Wochen hadert sie, weint, bleibt in ihrem Zimmer – aber dann macht sie trotzdem einfach weiter. Vanessa protestiert, allein, zu zweit, spricht mal mit interessierten Passanten, mal mit Studierenden auf dem Campus, postet ihre Aktivitäten. Ein mutiger Anfang, nichts Großes. Bis eine E-Mail aus New York in ihrer Inbox landet. Eine E-Mail aus dem Büro des UN-Generalsekretärs: Sie ist eingeladen zum Jugendklimagipfel nach New York. Sie ist noch nie allein gereist, geschweige denn geflogen. Die Reise mit wenig Geld in der Tasche ist ein Abenteuer und sie selbst dort nur eine der wenigen Teilnehmenden vom afrikanischen Kontinent. Sie weiß nun: Menschen haben Notiz von ihrem Engagement genommen und sie sammelt – wenn auch nicht nur positive – Erfahrungen und hilfreiche Kontakte.

Das Foto und seine Folgen

Im Januar 2020 folgt die nächste Einladung, diesmal nach Davos zum „Arctic Basecamp“ während des Weltwirtschaftsforums. Als Aktivsten und Aktivistinnen machen sie mit diesem Camp darauf aufmerksam, dass die Arktis sich in den vergangenen dreißig Jahren doppelt so schnell erwärmt hat wie der Rest der Erde.

Und dann kommt jener unheilvolle Tag, der sie kränkt und verärgert, aber auch berühmt macht. Zusammen mit vier anderen – weißen – Aktivistinnen spricht sie in einer Pressekonferenz und Fotografen schießen Bilder von den Fünfen vor einem Bergpanorama. Doch als das Bild bei der Agentur Associated Press erscheint, fehlt Vanessa. Das Bild ist beschnitten. „Aus kompositorischen Gründen“, wie die Agentur später mitteilt. Hinter Vanessa war ein Gebäude zu sehen gewesen, das angeblich die Optik gestört hat. Vanessa reagiert darauf prompt mit einem Video, in dem sie erklärt: „Ihr habt nicht einfach nur einen Menschen aus einem Foto getilgt. Ihr habt einen ganzen Kontinent getilgt.“

Alle Welt schaut auf den Norden – niemand auf Afrika

Nach Protest aus vielen Teilen der Erde entschuldigt sich die Agentur und veröffentlicht nun auch das unbeschnittene Bild. Doch das Gefühl bleibt, dass ihr als Aktivistin aus dem Globalen Süden die Chance verwehrt worden ist, ihrer Botschaft und der Situation in ihrem Land weltweit Gehör zu verschaffen, weil selbst der Kampf gegen die Klimakrise um den Westen kreist.

Wie sehr das der Fall ist, fällt ihr auf, als sie von der Zerstörung des Kongo-Regenwaldes hört. Dass der Amazonas-Regenwald abgeholzt wird und welche verheerenden Folgen das hat, ist weltweit ein Thema. Dass im Kongobecken der zweitgrößte Regenwald liegt und ebenso wertvoll wie bedroht ist, war nicht einmal ihr selbst klar. Ihr fällt auf: Auch in Uganda war man 2019 und 2020 über die verheerende Buschbrände in Australien und den USA bestens informiert – was hingegen im eigenen Land passiert, ist den wenigsten ihrer Landsleute bekannt. Auch medial konzentriert sich alles auf den globalen Norden. Und wieder zeigt sich Vanessas Tatkraft und sie organisiert kurzentschlossen einen Streik für den viel zu unbekannten Kongo-Regenwald, der Kreise zieht.

Übersehene Krisen

Die Hilfsorganisation CARE hat aufgelistet: Neun von zehn der Krisen, die 2019 in der Berichterstattung am stärksten vernachlässigt wurden, ereigneten sich in Afrika. Dem will Vanessa entgegentreten. Sie gründet das Rise-up-Climate-Movement, um die afrikanischen Stimmen zu vereinen und zu verstärken. Gleichzeitig engagiert sie sich im Vash-Green-Schools-Project, das sich zum Ziel setzt, die Schulen in Uganda mit Solaranlagen auszustatten.

Ihre Motivation für ihr unermüdliches Eintreten für Klimagerechtigkeit schöpft Vanessa Nakate aus dem Erleben, dass gemeinsames Engagement unzähliger junger Menschen in einer globalen Bewegung, etwas bewirkt. Und aus ihrem christlichen Glauben, über den sie auf ihrem Instagram-Kanal immer wieder schreibt.

Anja Schäfer ist Redakteurin von anders LEBEN.

Ein ausgetrocknetes Flussbett wirkt, als wäre nie Wasser hindurchgeflossen, Foto: ora Kinderhilfe / Markus Malbach

„Frost kannten wir nicht“ – Klimawandel trifft Kenia besonders hart

Hunger ist in Kenia ein großes Problem, das durch den Klimawandel noch verstärkt wird. Die Bäuerinnen und Bauern wissen mit den neuen Bedingungen nicht umzugehen. Aber es gibt Lösungen.

Energisch schieben die kleinen Weißkohlpflänzchen ihre grünen Blätter aus dem groben Ackerboden. Neben ihnen sind in regelmäßigen Reihen dünne, schwarze Schläuche mit kleinen Löchern verlegt und benetzen die Erde direkt an den Wurzeln. Gepumpt wird das Wasser ganzjährig mit Solarkraft aus 250 Metern Tiefe. Hier in Ilbisil, im trockenen Süden Kenias, wird durch die Umsetzung dieser Idee der Gemüseanbau möglich.

Projekte wie dieses vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanzierte Tröpfchenbewässerungssystem machen Hoffnung. Denn die Folgen des Klimawandels sind überall im Land zu spüren: Die Temperaturen sind in den letzten Jahrzehnten gestiegen, erstmals herrschen Bedingungen, in denen Wirbelstürme entstehen. Die Winde werden stärker, die Regenphasen kürzer, im Norden gibt es Überschwemmungen, im Süden bleiben die Niederschläge aus.

Bevölkerungswachstum wird zum Problem

Während meiner zweiwöchigen Reise durch Kenia begegne ich allen diesen Phänomenen und kann nun besser verstehen, welche Mühen sie den Menschen bereiten. Der Klimawandel ist nicht die einzige Ursache für viele Probleme im Land. Eine weitere ist das schnelle Bevölkerungswachstum, durch das die ohnehin begrenzten Ressourcen noch knapper werden. Doch der Klimawandel verstärkt eindeutig die Herausforderungen im Land.

Elvis Mutahi G. zeigt mir ein Projekt in Kinari, etwa 80 Kilometer nördlich von Nairobi, das hilfsbedürftige Bauernfamilien unterstützt. Auf einem halben Hektar Land bauen zehn landwirtschaftliche Gruppen aus jeweils 15 Personen Kohl, Spinat und Kartoffeln an. Von der Ernte wird jeweils ein Teil verbraucht, ein Teil verkauft und ein weiterer als Saatgut zurückbehalten.

Schädliches Pflanzenschutzmittel aus Verzweiflung

Es ist kalt und regnerisch, als ich die Menschen dort treffe. Während wir in einem Zelt zusammensitzen und süßen heißen Tee trinken, berichtet uns Fidelis D. von den klimatischen Herausforderungen in diesem Jahr. „Es ist mit 17 Grad Celsius viel zu kalt für diese Jahreszeit“, erzählt sie. „Es regnet entweder zu viel oder zu wenig. Derzeit macht der Frost die Pflanzen kaputt.“ Die anderen Mitglieder der Community bestätigen ihre Worte mit traurigem Nicken. Einer ergänzt: „Frost ist für uns ein neues Phänomen, das kennen wir nicht und wissen damit nicht umzugehen.“ Derzeit begegnen die Bauern der Kälte, indem sie mehr Pflanzenschutzmittel sprühen. „Wir wissen, dass das schädlich ist“, sagt Elvis. „Doch die Bauern sind verzweifelt. Sie möchten die Ernte retten, die Pflanzen schützen und denken, wenn sie die Blätter genügend einsprühen, werden sie umhüllt und bleiben vom Frost verschont.“

Mehr Pestizide verursachen weitere Probleme. Nachweislich befinden sich mehr Rückstände im Grundwasser. Elvis berichtet, dass mehr und mehr Kinder aus der Gegend rund um Kinari unter Magen-Darm-Erkrankungen leiden; Bauchschmerzen und Durchfall haben zugenommen. Auch Geschwüre und mehr Krebsleiden sind unter den Erwachsenen bereits aufgetreten. Ob das nur an den Pestiziden liegt, vermag Elvis nicht zu beurteilen. Ganz ausschließen will er es nicht.

„Die Menschen hungern“

Er und sein Kollege John Gitau N. haben es als lokale Projektverantwortliche gerade nicht leicht. Für über 400 Familien sind sie verantwortlich, viele Klagen und Hilferufe hören sie sich an. „Die Menschen hungern“, berichtet John. „Natürlich wenden sie sich dann an uns. Sie wollen Hilfe – und am besten, dass wir das Wetter ändern“, sagt er und sein Lachen klingt ein wenig resigniert.

Der Norden von Kenia war dank seines gemäßigten Klimas früher einmal sehr fruchtbar. Die Menschen konnten sich auf die beiden großen Regenzeiten im Frühjahr und Herbst ebenso verlassen wie auf die konstanten Tagestemperaturen zwischen 23 und 27 Grad. In guten Jahren wurde drei bis vier Mal geerntet. Diese Zeiten sind vorbei, erklärt Timothy J. Kai Banda. Der 54-Jährige arbeitet seit 1990 als Metereologe am Kenya Meteorological Department in der Region Kilifiund hat sich auf den Klimawandel spezialisiert. Er sagt: „Die Daten, die wir über Jahre gesammelt haben, belegen eindeutig, dass die Extreme weiter zunehmen. Die Tendenz ist nicht mehr aufzuhalten, das gemäßigte Klima geht seinem Ende entgegen.“

Nationaler Notstand

Die nächsten Tage verbringe ich im Süden des Landes. Der Kontrast zum kalten und feuchten Norden könnte kaum größer sein. Der Temperaturunterschied liegt bei 13 Grad Celsius. Heiß und trocken ist es in Ilbisil, etwa 120 Kilometer südlich der Hauptstadt Nairobi.

Der Staub legt sich auf die Haut, die Kleidung und die Haare. Das Volk der Massai lebt hier. Sein traditionelles Nomadenleben kann es schon seit Jahren nicht mehr führen. Von Wasserstelle zu Wasserstelle zu ziehen, ist unmöglich geworden. Seit sechs Monaten herrscht hier eine der schlimmsten Dürren, die es jemals gegeben hat. Ich bin gerade im Land, als der kenianische Präsident Uhuru Kenyatta am Abend des 9. September 2021 wegen der Trockenheit den nationalen Notstand ausruft. Alles sieht beige und braun aus, selbst die Akazien tragen kaum noch Grün in ihren Kronen. Die Flüsse sind ausgetrocknet. Der größte Strom der Gegend, der Sarimoi River, wirkt, als wäre nie Wasser durch ihn geflossen. Staubtrocken ist der Boden, die Flussufer sind nicht einmal mehr als solche zu erkennen. Die Menschen machen einen ausgezehrten Eindruck. In den Gesichtern der Kinder sitzen die Fliegen. „Auch die Insekten haben Durst“, erklärt mir John. „Die Fliegen und Moskitos setzen sich auf die Schleimhäute, damit sie trinken können. Die Kinder sind so daran gewöhnt, dass sie sie nicht einmal mehr vertreiben.“

Es braucht eine andere Ernährung

Seit zehn Jahren arbeitet der Agronom Peterson Kimathi Ngain (39) mit Bäuerinnen und Bauern aus Kenia zusammen. Die Tröpfchenbewässerung in Ilbisil ist eins seiner Pilotprojekte. Neben Solarpumpe und Bewässerungsanlage stehen hier zudem drei Gewächshäuser für den Gemüseanbau. In verschiedenen Regionen des Landes war er schon tätig und hat noch mehr Ideen, wie sich die Situation verbessern ließe: „Wir müssen wieder mehr einheimische Pflanzenarten anbauen: Pflanzen, die dürreresistenter sind wie zum Beispiel Amaranth, Kuhbohnen oder Muskraut.“ Eine Sortenvielfalt sorgt überdies für mehr Nährstoffe und verhindert Mangelernährung. Daneben plädiert der Agronom dafür, Wissen darüber zu vermitteln, wie Lebensmittel haltbar gemacht werden können: „Die Menschen müssen lernen, wie man Feldfrüchte lagert oder so verarbeitet, dass man viele Monate davon essen kann“, sagt er und benennt damit ein Problem, das mir immer wieder in Afrika begegnet: Wenn es etwas zu ernten gibt, gibt es etwas zu essen. Kann gerade nichts geerntet werden, bleiben die Teller leer.

Das kulturelle Wissen zur Konservierung von Lebensmitteln wie salzen, fermentieren, einkochen oder räuchern gibt es vielerorts nicht. Oft ist es durch Kriege, Naturkatastrophen oder Krankheiten verloren gegangen, weil es nicht von einer Generation an die nächste weitergegeben werden konnte. Die Folge: „Wir ernten nur, was wir heute essen“, erzählt mir Elvis. Hier in Ilbisil ist unsere Organisation ora Kinderhilfe gerade dabei, mit einfachen Mitteln etwas zu ändern: Neben den Gewächshäusern wird aus Holzgestängen ein Lager errichtet, wie es im Norden in Kinari schon eine Weile steht. Dort werden erfolgreich Kartoffeln gelagert und vor dem Schimmeln bewahrt. In Ilbisil sollen Tomaten aus dem Gewächshaus die ersten Früchte sein, die im Lager Platz finden. Im Dezember sind sie erntereif.

Carmen Schöngraf ist Geschäftsführerin von ora Kinderhilfe international e. V., einer christlichen Organisation, die unter anderem in Kenia Projekte entwickelt, die Einkommen für die Menschen schaffen.