„Frost kannten wir nicht“ – Klimawandel trifft Kenia besonders hart
Hunger ist in Kenia ein großes Problem, das durch den Klimawandel noch verstärkt wird. Die Bäuerinnen und Bauern wissen mit den neuen Bedingungen nicht umzugehen. Aber es gibt Lösungen.
Energisch schieben die kleinen Weißkohlpflänzchen ihre grünen Blätter aus dem groben Ackerboden. Neben ihnen sind in regelmäßigen Reihen dünne, schwarze Schläuche mit kleinen Löchern verlegt und benetzen die Erde direkt an den Wurzeln. Gepumpt wird das Wasser ganzjährig mit Solarkraft aus 250 Metern Tiefe. Hier in Ilbisil, im trockenen Süden Kenias, wird durch die Umsetzung dieser Idee der Gemüseanbau möglich.
Projekte wie dieses vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanzierte Tröpfchenbewässerungssystem machen Hoffnung. Denn die Folgen des Klimawandels sind überall im Land zu spüren: Die Temperaturen sind in den letzten Jahrzehnten gestiegen, erstmals herrschen Bedingungen, in denen Wirbelstürme entstehen. Die Winde werden stärker, die Regenphasen kürzer, im Norden gibt es Überschwemmungen, im Süden bleiben die Niederschläge aus.
Bevölkerungswachstum wird zum Problem
Während meiner zweiwöchigen Reise durch Kenia begegne ich allen diesen Phänomenen und kann nun besser verstehen, welche Mühen sie den Menschen bereiten. Der Klimawandel ist nicht die einzige Ursache für viele Probleme im Land. Eine weitere ist das schnelle Bevölkerungswachstum, durch das die ohnehin begrenzten Ressourcen noch knapper werden. Doch der Klimawandel verstärkt eindeutig die Herausforderungen im Land.
Elvis Mutahi G. zeigt mir ein Projekt in Kinari, etwa 80 Kilometer nördlich von Nairobi, das hilfsbedürftige Bauernfamilien unterstützt. Auf einem halben Hektar Land bauen zehn landwirtschaftliche Gruppen aus jeweils 15 Personen Kohl, Spinat und Kartoffeln an. Von der Ernte wird jeweils ein Teil verbraucht, ein Teil verkauft und ein weiterer als Saatgut zurückbehalten.
Schädliches Pflanzenschutzmittel aus Verzweiflung
Es ist kalt und regnerisch, als ich die Menschen dort treffe. Während wir in einem Zelt zusammensitzen und süßen heißen Tee trinken, berichtet uns Fidelis D. von den klimatischen Herausforderungen in diesem Jahr. „Es ist mit 17 Grad Celsius viel zu kalt für diese Jahreszeit“, erzählt sie. „Es regnet entweder zu viel oder zu wenig. Derzeit macht der Frost die Pflanzen kaputt.“ Die anderen Mitglieder der Community bestätigen ihre Worte mit traurigem Nicken. Einer ergänzt: „Frost ist für uns ein neues Phänomen, das kennen wir nicht und wissen damit nicht umzugehen.“ Derzeit begegnen die Bauern der Kälte, indem sie mehr Pflanzenschutzmittel sprühen. „Wir wissen, dass das schädlich ist“, sagt Elvis. „Doch die Bauern sind verzweifelt. Sie möchten die Ernte retten, die Pflanzen schützen und denken, wenn sie die Blätter genügend einsprühen, werden sie umhüllt und bleiben vom Frost verschont.“
Mehr Pestizide verursachen weitere Probleme. Nachweislich befinden sich mehr Rückstände im Grundwasser. Elvis berichtet, dass mehr und mehr Kinder aus der Gegend rund um Kinari unter Magen-Darm-Erkrankungen leiden; Bauchschmerzen und Durchfall haben zugenommen. Auch Geschwüre und mehr Krebsleiden sind unter den Erwachsenen bereits aufgetreten. Ob das nur an den Pestiziden liegt, vermag Elvis nicht zu beurteilen. Ganz ausschließen will er es nicht.
„Die Menschen hungern“
Er und sein Kollege John Gitau N. haben es als lokale Projektverantwortliche gerade nicht leicht. Für über 400 Familien sind sie verantwortlich, viele Klagen und Hilferufe hören sie sich an. „Die Menschen hungern“, berichtet John. „Natürlich wenden sie sich dann an uns. Sie wollen Hilfe – und am besten, dass wir das Wetter ändern“, sagt er und sein Lachen klingt ein wenig resigniert.
Der Norden von Kenia war dank seines gemäßigten Klimas früher einmal sehr fruchtbar. Die Menschen konnten sich auf die beiden großen Regenzeiten im Frühjahr und Herbst ebenso verlassen wie auf die konstanten Tagestemperaturen zwischen 23 und 27 Grad. In guten Jahren wurde drei bis vier Mal geerntet. Diese Zeiten sind vorbei, erklärt Timothy J. Kai Banda. Der 54-Jährige arbeitet seit 1990 als Metereologe am Kenya Meteorological Department in der Region Kilifiund hat sich auf den Klimawandel spezialisiert. Er sagt: „Die Daten, die wir über Jahre gesammelt haben, belegen eindeutig, dass die Extreme weiter zunehmen. Die Tendenz ist nicht mehr aufzuhalten, das gemäßigte Klima geht seinem Ende entgegen.“
Nationaler Notstand
Die nächsten Tage verbringe ich im Süden des Landes. Der Kontrast zum kalten und feuchten Norden könnte kaum größer sein. Der Temperaturunterschied liegt bei 13 Grad Celsius. Heiß und trocken ist es in Ilbisil, etwa 120 Kilometer südlich der Hauptstadt Nairobi.
Der Staub legt sich auf die Haut, die Kleidung und die Haare. Das Volk der Massai lebt hier. Sein traditionelles Nomadenleben kann es schon seit Jahren nicht mehr führen. Von Wasserstelle zu Wasserstelle zu ziehen, ist unmöglich geworden. Seit sechs Monaten herrscht hier eine der schlimmsten Dürren, die es jemals gegeben hat. Ich bin gerade im Land, als der kenianische Präsident Uhuru Kenyatta am Abend des 9. September 2021 wegen der Trockenheit den nationalen Notstand ausruft. Alles sieht beige und braun aus, selbst die Akazien tragen kaum noch Grün in ihren Kronen. Die Flüsse sind ausgetrocknet. Der größte Strom der Gegend, der Sarimoi River, wirkt, als wäre nie Wasser durch ihn geflossen. Staubtrocken ist der Boden, die Flussufer sind nicht einmal mehr als solche zu erkennen. Die Menschen machen einen ausgezehrten Eindruck. In den Gesichtern der Kinder sitzen die Fliegen. „Auch die Insekten haben Durst“, erklärt mir John. „Die Fliegen und Moskitos setzen sich auf die Schleimhäute, damit sie trinken können. Die Kinder sind so daran gewöhnt, dass sie sie nicht einmal mehr vertreiben.“
Es braucht eine andere Ernährung
Seit zehn Jahren arbeitet der Agronom Peterson Kimathi Ngain (39) mit Bäuerinnen und Bauern aus Kenia zusammen. Die Tröpfchenbewässerung in Ilbisil ist eins seiner Pilotprojekte. Neben Solarpumpe und Bewässerungsanlage stehen hier zudem drei Gewächshäuser für den Gemüseanbau. In verschiedenen Regionen des Landes war er schon tätig und hat noch mehr Ideen, wie sich die Situation verbessern ließe: „Wir müssen wieder mehr einheimische Pflanzenarten anbauen: Pflanzen, die dürreresistenter sind wie zum Beispiel Amaranth, Kuhbohnen oder Muskraut.“ Eine Sortenvielfalt sorgt überdies für mehr Nährstoffe und verhindert Mangelernährung. Daneben plädiert der Agronom dafür, Wissen darüber zu vermitteln, wie Lebensmittel haltbar gemacht werden können: „Die Menschen müssen lernen, wie man Feldfrüchte lagert oder so verarbeitet, dass man viele Monate davon essen kann“, sagt er und benennt damit ein Problem, das mir immer wieder in Afrika begegnet: Wenn es etwas zu ernten gibt, gibt es etwas zu essen. Kann gerade nichts geerntet werden, bleiben die Teller leer.
Das kulturelle Wissen zur Konservierung von Lebensmitteln wie salzen, fermentieren, einkochen oder räuchern gibt es vielerorts nicht. Oft ist es durch Kriege, Naturkatastrophen oder Krankheiten verloren gegangen, weil es nicht von einer Generation an die nächste weitergegeben werden konnte. Die Folge: „Wir ernten nur, was wir heute essen“, erzählt mir Elvis. Hier in Ilbisil ist unsere Organisation ora Kinderhilfe gerade dabei, mit einfachen Mitteln etwas zu ändern: Neben den Gewächshäusern wird aus Holzgestängen ein Lager errichtet, wie es im Norden in Kinari schon eine Weile steht. Dort werden erfolgreich Kartoffeln gelagert und vor dem Schimmeln bewahrt. In Ilbisil sollen Tomaten aus dem Gewächshaus die ersten Früchte sein, die im Lager Platz finden. Im Dezember sind sie erntereif.
Carmen Schöngraf ist Geschäftsführerin von ora Kinderhilfe international e. V., einer christlichen Organisation, die unter anderem in Kenia Projekte entwickelt, die Einkommen für die Menschen schaffen.