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Nachhaltigkeit ist nicht gleich Verzicht: Expertin erklärt, wie Veränderung gelingen kann

Unser Leben ist CO₂-intensiv. Das möchte die Energieökonomin Claudia Kemfert ändern. Im Interview verrät die gefragte Wissenschaftlerin, wie Veränderungen gelingen können, was sie begeistert und weshalb sie die Hoffnung auf eine bessere Welt nicht aufgibt.

Frau Kemfert, Sie haben das Buch „Unlearn CO₂“ mit herausgegeben. Im Intro schreiben Sie, dass Sie eine Geschichte des Wandels erzählen und ein Kompass für den Weg aus der Frustration sein wollen. Außerdem setzen Sie sich das Ziel, Lust auf Veränderung zu machen. Wie machen Sie das?

Claudia Kempfert: Die Motivation zum Buch bestand genau darin, rauszukommen aus dieser Frustrationsfalle. Im Moment hören wir zuhauf negative Nachrichten. Wir wollen mit dem Buch zeigen: Ja, es gibt eine lebenswerte Zukunft. Dazu gehört es, Freude zu machen und auf die vielen positiven Möglichkeiten hinzuweisen. Das Buch ist letztlich ein Kompass, um aus der Frustration herauszufinden. Es befinden sich viele Beiträge aus unterschiedlichen Disziplinen und einem breiten Spektrum darin. Ich selbst habe ein positives Bild von der Zukunft. Am Ende des Tages geht es darum, dass wir die Umwelt und das Klima schützen sowie eine gesunde und lebenswerte Welt erhalten.

Weniger CO2, mehr Gesundheit

Ihr Buch wagt einen umfassenden Blick. Weshalb und was hat Sie darin bestärkt?

Ja, wir wollten unbedingt unterschiedlichste Perspektiven einbringen. Wie Verbraucher sich nachhaltiger verhalten und dass es eine Transformation hin zu mehr erneuerbarer Energie braucht, ist vielen geläufig. Doch wir zielen darauf ab, die Perspektive zu erweitern. Was ist etwa mit dem Bereich der Fast Fashion? Hier gibt es viele Probleme, die angepackt werden können. Oder das Thema Ernährung und Gesundheit – hier verschärft der Klimawandel die weltweite Lage. Darüber hinaus finden sich viele relevante Themen. Der umfassende Blick ist nötig, um zu einer klimaneutralen Welt zu gelangen.

„Unlearn CO₂“ heißt übersetzt „CO₂ verlernen“. Kann man das überhaupt? Oder ist das eher ein naiver Wunsch?

Nein, das ist möglich! Im Buch beschreiben die Autorinnen und Autoren, wie es geht. In den unterschiedlichen Bereichen – vom Auto bis zur Mode – ist viel Veränderung möglich. Insofern ist es möglich, CO2 zu verlernen – auf eben ganz unterschiedliche Art und Weisen.

Unser Lebensstil ist eben noch sehr CO2-intensiv und das gilt es zu verändern. Wenn wir das schaffen, haben wir eine bessere Gesundheit und sauberere Luft. Letztlich bedeutet CO2 verlernen, sich und der Gesellschaft Wohlbefinden und auch Glück zu erarbeiten.

Verändert denken

Anknüpfend an das Glück: Im Vorwort schreiben Sie davon, dass eine klimaneutrale Welt immer nachhaltiger, gesünder und sozial gerechter wird. Vermutlich geht da die Mehrheit der Bevölkerung mit. Doch ein Veränderungswunsch ist weniger ausgeprägt. Wie kann dieser angeregt werden?

Wir wollen die Angst vor Veränderungen nehmen. Wir alle verändern uns im Laufe des Lebens – wir selbst sowie die Generationen. Und auch größer: Es gibt einen Strukturwandel aus volkswirtschaftlicher Perspektive. Es gibt neue Technologien, umwälzende Veränderungen – auch im eigenen Leben.

Doch: Veränderungen sind nichts Negatives, sondern können auch etwas Positives sein. Es ist doch gut, wenn Veränderungen geschehen, hin zu einem gerechteren, gesünderen und glücklicheren Leben. Da gibt es eigentlich keine Ausreden mehr. Dass Veränderungen negativ sind, wird leider dennoch viel geäußert. Es ist hilfreich, hier einen Weg aufzuzeigen und aus klassischen Wirtschaftsinteressen rauszukommen. Hier gilt es, nicht nachzulassen und positive Schritte zu gehen.

In Ihrem Kapitel über Wachstum schreiben Sie: „Mehr Wirtschaftswachstum heißt mehr Energieverbrauch heißt mehr CO₂-Emission heißt mehr Klimakrise.“ Also ist Wachstum das Problem?

Ja, das ungebremste Wachstum, welches den Planeten zerstört, ist das Problem. Hier braucht es Veränderung hin zu einem nachhaltigen Wachstum.

Drei Komponenten sind entscheidend. Die Effizienz: Die Wirksamkeit kann erhöht werden. Die Suffizienz: Es braucht gesunde Schrumpfungsprozesse. Und die Konsistenz: Mehr Kreislaufwirtschaft und die Recyclingfähigkeit der Wirtschaftswelt. Die drei Komponenten gehören zusammen. Die Hinwendung zu einem nachhaltigen Wachstum bedeutet übrigens nicht gleich Verzicht. Stattdessen stellen wir uns besser auf und machen die Wirtschaft nachhaltiger und damit zukunftsfähig.

Haben denn Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft verstanden, dass es diese drei Komponenten braucht und diese gut austariert werden müssen?

Wenn wir allein von dem Wachstumsbegriff ausgehen und wie er auch in den Narrativen in all unseren Köpfen drin ist, muss man sagen: nein. Bislang ist es nicht gelungen, andere Indikatoren zu etablieren, die ein nachhaltiges Wachstum darstellen. Und auch die mediale Darstellung ist noch schief: Statt kurz vor der Tagesschau um 20:00 Uhr Börsenkurse zu zeigen, wäre es doch eine Idee, zu zeigen, wie es unserem Planeten und damit letztlich auch der Menschheit geht und warum. Kurz: Die bisherigen Merkmale, wie etwa auch das Bruttosozialprodukt (BIP), bauen auf einen schädlichen Wachstumsbegriff. Es gibt etliche alternative Indikatoren, die aber noch nicht ausreichend verwendet werden.

Es gibt viel Positives

Sie schreiben außerdem, man müsse Werbung machen für lebendige Natur, frische Luft, eine Stadt der kurzen Wege, faire Preise und ein friedliches Miteinander als lebenswerte Zukunft …

Ja, es wäre schön, wenn Werbung positive Beispiele und Entwicklungen anpreisen würde, so wie es für so viele Dinge Werbung gibt. Großartig wäre es, wenn wir wegkommen von den Erzählungen, die uns immer in die Bewahrung der Vergangenheit zwingen. Besser ist es, wenn wir in die positive Zukunft blicken und wir uns dahin bewegen können. Hier kann die Zivilgesellschaft eine große Rolle spielen.

Sie wirken überzeugt. Frau Kemfert, was begeistert Sie persönlich an einer klimaneutralen, nachhaltigen und sozial gerechteren Welt?

Mich begeistert alles daran. Seit mehr als 30 Jahren beschäftige ich mich mit der ganzen Thematik und schon früh habe ich erkannt, dass wir so nicht weitermachen können.

In vielen Studien habe ich untersucht, welche Wege wir beschreiten müssen, um in eine lebenswerte Zukunft zu gehen. Die Zerstörung und all das Schlimme bewegen mich, noch überzeugender zu sein, denn ein anderes Leben ist möglich. Es treibt mich an und ich finde es wichtig, dass wir darüber sprechen und viele Menschen darüber Bescheid wissen.

In Energie- und Klimadebatten sind Sie eine wichtige Stimme in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Sind Sie zufrieden damit?

Ich bin glücklich, dass ich einen Beruf habe, der mir unglaublich viel Spaß macht. Mein Motto ist: Suche dir einen Beruf, den du liebst und du brauchst nie in deinem Leben zu arbeiten. So habe ich das große Privileg und den Luxus, an Themen zu arbeiten, die mir unglaublich viel Spaß machen. Und die Erarbeitung eben dieser Erkenntnisse ist das, was mich jetzt auch seit Jahrzehnten antreibt und glücklich macht.

Seit 2021 sind Sie außerdem auch Podcasterin und betreiben beim MDR „Kemferts Klima-Podcast“. Was motiviert Sie dabei?

Mir macht es Freude, unterschiedliche Perspektiven aufzuzeigen und selbst durch die Zuhörer bereichert zu werden. Wir gehen im Podcast oftmals sehr aktuellen Themen nach und besprechen die Entwicklungen.

Natürlich dürfen auch neue Studien nicht fehlen. Spannend sind immer die Fragen der Hörer. Es macht Spaß zu hören, was die Menschen so umtreibt und welche Fragen sie haben. Die Begeisterung der Hörerschaft steckt an.

Politische Rahmenbedingungen verbessern

Wenn wir schon bei aktuellen Themen sind: Was denken Sie zur Klimakonferenz in Baku, die im November 2024 stattfand? Braucht es überhaupt solche Konferenzen?

Von der Klimakonferenz in Baku konnte man von vornherein nicht allzu viel erwarten. Die Präsidentschaft hatte mit Aserbaidschan ein Öl- und Gasland inne. Zum Start der Konferenz sagte der Staatschef, Öl und Gas seien ein Geschenk Gottes. Das war auch das Man­tra dieser Konferenz.

Die schlimmsten Befürchtungen haben sich bewahrheitet: Die Ergebnisse der Konferenz waren nicht im Ansatz ausreichend, um die Klimakrise abzuwenden. Aber dennoch halte ich es für sinnvoll, dass solche Konferenzen stattfinden – und auch in der Regelmäßigkeit. Es ist überlegenswert, ob man nicht auch unterschiedliche Geschwindigkeiten der Handlungen einbaut: Denn es gibt Länder der Willigen, die dann schneller vorangehen wollen, denen man noch mehr Aufgaben zutraut als Bremsern oder welchen, die leiden. Ziel muss sein, einen zielführenden Weg zu zeichnen, um schneller vorwärtszukommen.

In Deutschland ist die Ampel-Koalition zerbrochen. Eine neue Wahl bringt neue Verhältnisse. Kann daraus etwas Positives für die Klimapolitik entstehen?

Das Ampel-Aus im November 2024 kam zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt, um eine Regierungskrise zu haben. Gerade in Zeiten, in denen die Amerikaner eine Rolle rückwärts machen in so vielerlei Hinsicht.

Es ist wichtig, dass Europa stark ist und sich gut positioniert. Und nicht vom Klimaschutz abrückt. Nach der Neuwahl hoffe ich darauf, dass sich schnell eine Regierung bildet, die in Richtung Nachhaltigkeit unterwegs ist. Beim Klimaschutz habe ich durchaus etwas Hoffnung. Denn nahezu jede Partei hat sich verpflichtet, für Klimaschutz einzustehen. Da erwarte ich, dass das dann auch in Taten umgesetzt wird. Denn hier muss schnell sehr viel passieren.

Glauben Sie daran, dass Deutschland im Jahr 2045 klimaneutral sein wird?

Ja! Wir und viele andere Forschungseinrichtungen haben in etlichen Studien gezeigt: Deutschland kann 2045 klimaneutral sein. Das Ziel kann sehr wohl gut erreicht werden, wenn jetzt nicht Prozesse rückabgewickelt werden. Wichtig ist, dass wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien nicht nachlassen. Barrieren, die jetzt mühselig abgebaut wurden, dürfen nicht wieder aufgebaut werden. Stabile politische Rahmenbedingungen sind entscheidend – sie geben Planbarkeit und damit auch Investitionssicherheit für Unternehmen. Dann sind die Ziele 2045 auch erreichbar.

Was schenkt Ihnen Hoffnung?

Dass sich die meisten politischen Akteure das Klimaneutralitätsziel 2045 verpflichtend ins Programm geschrieben haben. Daran müssen sie sich messen lassen, aber die Grundlage ist gegeben. Mein großer Wunsch und meine größte Hoffnung ist, dass wir Zukunftsfähigkeit gewinnen. Heißt: Dass wir als Wirtschaftsmacht durchaus mit Umweltschutz, mit Klimaschutz und mit einer grünen Technologie und Wirtschaft punkten können. Und dass wir die Wettbewerbsnachteile wieder aufholen. Dann können wir das Ansehen der Welt auch wieder genießen.

Vielen Dank für das Interview!

Die Fragen stellte Johannes Schwarz. Er leitet die andersLEBEN-Redaktion.

 

Claudia Kemfert ist eine der wichtigsten deutschen Wissenschaftlerinnen für Energie- und Klimaökonomie. Seit 2004 leitet sie die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und ist Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Leuphana Universität. Seit 2016 gehört Kemfert dem Sachverständigenrat für Umweltfragen an und berät somit die deutsche Bundesregierung. Sie ist eine mehrfach ausgezeichnete Spitzenforscherin, gefragte Expertin für Politik und Medien und Bestsellerautorin.

Mehr zum Buch „Unlearn CO₂ – Zeit für ein Klima ohne Krise“

Das fossile System bröckelt. Ein Klima ohne Krise ist in Reichweite. Was es jetzt braucht: dass die Gesellschaft endlich die Abhängigkeit von CO2 verlernt – und zwar in allen Bereichen unseres Lebens. In diesem prominent besetzten Sammelband präsentieren Autorinnen und Autoren aus Wissenschaft und Praxis, Journalismus und Aktivismus vielfältige Lösungen, mit denen wir das fossile System überwinden können. In konstruktiven und fachlich fundierten Essays zeigen sie Wege in eine klimagerechte Zukunft.

Claudia Kemfert, Julien Gupta, Manuel Kronenberg (Hrsg.): Unlearn CO₂ – „Zeit für ein Klima ohne Krise“ (ullstein)

Kemferts Klima-Podcast

Seit 2021 produziert der MDR Aktuell den „Kemferts Klima-Podcast“, Moderatoren sind Theresa Liebig und Marcus Schödel. Hier bespricht Claudia Kemfert aktuelle Studien zum Klimawandel und ordnet sie ein. Sie beobachtet die deutsche Klimapolitik und bewertet sie. Die Klimaökonomin gibt im Podcast außerdem Tipps für ein nachhaltigeres Leben.

Natürliche Ressourcen: Alle Menschen könnten gut auf der Erde leben

Der verantwortungsvolle Umgang mit Ressourcen beginnt bei jedem Einzelnen. Die Berechnung des persönlichen ökologischen Fußabdrucks ist da ein Anfang, erklärt der Experte Johannes Küstner von Brot für die Welt.

Ein CO2-Rechner erklärt mir, für wie viel CO2-Ausstoß ich verantwortlich bin. Ihr bei „Brot für die Welt „messt den ökologischen Fußabdruck. Welcher Gedanke steckt dahinter?

Die Wissenschaftler Mathis Wackernagel und William Rees sind in den 1990er-Jahren aus einer betriebswirtschaftlichen Perspektive rangegangen. Sie haben gesagt: „Jedes Unternehmen hat doch eine Einnahmen- und eine Ausgabenrechnung. Man guckt, wie viel Geld man einnimmt und kann in der Regel auch nur so viel ausgeben. Wie seltsam ist es, dass wir für die ökologischen Ressourcen, die unsere Lebensgrundlagen sind, so eine Einnahmen- und Ausgabenrechnung nicht machen, sondern einfach verbrauchen, als wäre unendlich viel davon da und damit auch Substanz zerstören. Und dann haben sie so eine Einnahmen- und Ausgabenrechnung erstellt, eine Ökobilanz.

Wie kann man eine solche Bilanz für den ganzen Planeten errechnen?

Man stellt die Frage: Was gibt es eigentlich auf der Welt für Flächen, die uns Umweltdienstleistungen zur Verfügung stellen? Eine Ackerfläche beispielsweise hat die höchste Bioproduktivität, weil sie uns Nahrung liefert. Ein Wald hat auch eine relativ hohe Bioproduktivität, ein Ozean eine etwas geringere, weil da nur an den Küstenregionen Fische entnommen werden und CO2 gespeichert wird. Und eine Wüste hat eine sehr geringe Bioproduktivität, weil da nichts wächst. So wurde über Satellitenaufnahmen ausgerechnet, welche Flächen es auf der Welt gibt und wie hoch ihre Umweltdienstleistungen sind. Die Gesamtheit dieser zur Verfügung stehenden Umweltdienstleistungen ist die Biokapazität. Wenn der Mensch mehr verbraucht, als Biokapazität vorhanden ist, dann betreibt er Raubbau.

„Wenn der Mensch mehr verbraucht, als Biokapazität vorhanden ist, dann betreibt er Raubbau“

Wisst ihr, wer den Rechner vor allem nutzt?

Ungefähr 40 Prozent der Nutzer sind unter 20, aber es benutzen ihn Leute aus allen Altersgruppen. Zuschriften kommen sogar überwiegend von älteren Leuten, die sehr umweltbewusst leben und dann frustriert sind, dass ihr Fußabdruck so schlecht ist. Das Beantworten nenne ich inzwischen Ökoseelsorge. Es geht darum, zu verarbeiten: Was mache ich jetzt mit dieser Erkenntnis, dass mein Fußabdruck überhaupt nicht nachhaltig ist?

Was antwortet ihr diesen Leuten?

Oft sind es Leute, die schreiben: „Ich baue doch schon Gemüse in meinem Garten an“ oder so. Wenn sie dann auch kein Auto fahren und nicht fliegen, haben sie gar nicht mehr so viele Optionen, mit persönlichen Verhaltensänderungen ihren Fußabdruck zu verkleinern. Denen sagen wir: „Es hat eigentlich keinen Sinn, jetzt noch mehr Energie da reinzustecken, weiter den persönlichen Fußabdruck zu verkleinern, sondern es ist viel besser, wenn Sie die vielen Kompetenzen, die Sie haben, der Gesellschaft zur Verfügung stellen, sodass andere Leute auch lernen zu gärtnern oder ohne Auto zurechtzukommen oder so.“ Es ist nur schwer möglich, einen nachhaltigen Fußabdruck zu erreichen, weil der Sockelbetrag in Deutschland schon so hoch ist.

Nämlich die allgemeinen Ressourcen, die das Leben in Deutschland verbraucht?

Ja. Sockelbetrag meint, dass wir in unserer Gesellschaft viele Dinge nutzen, deren Ökobilanz wir nicht unmittelbar selbst beeinflussen können. Wir profitieren von Straßen, Öffentlichem Nahverkehr, Polizei – die ganze öffentliche Daseinsversorgung. Wenn die Gesellschaft insgesamt richtig nachhaltig funktionieren würde mit maßvoller E-Mobilität, fairen Produkten und so weiter, würde dieser Sockelbetrag deutlich geringer ausfallen. Ich versuche den Leuten auch zu erklären, dass die Intention dieser Seite nicht ist, dass man sich jetzt stresst: Wie schaffe ich es bloß, diesen fairen Wert zu erreichen? Sondern eine wesentliche Funktion des Fußabdrucks ist, zu zeigen, wie gewaltig der Veränderungsbedarf ist und dass zu dem persönlichen Verhalten die Strukturveränderungen notwendigerweise hinzukommen müssen.

Macht man den Leuten mit so einem Rechner dann aber nicht ein schlechtes Gewissen – obwohl das Problem bei den Strukturen und in der Wirtschaft und Politik liegt?

Ich finde, man muss das nicht so gegeneinander ausspielen, sondern man kann auch versuchen, das Interesse der Menschen an Umweltschutz und an eigenen Veränderungsmöglichkeiten zu nutzen. Und sie dann auch ermutigen, sich politisch zu engagieren.

Ausgerechnet der Öl- und Gaskonzern BP hat ja vor 20 Jahren einen CO2-Rechner beworben, um bewusst von seiner Verantwortung abzulenken und sie auf den Einzelnen abzuwälzen …

Ich finde das auch kritisch zu hinterfragen, warum BP einen CO2-Rechner bewirbt. Gleichzeitig fände ich es problematisch, wenn man damit insgesamt dieses Konzept des Ökologischen Fußabdrucks aus der Hand geben würde, nur weil BP es aus niederen Interessen benutzt hat. Mathis Wackernagel, der den ökologischen Fußabdruck erfunden hat, hat schon lange vor BP einen Onlinetest dazu veröffentlicht. Durch BP ist der Gedanke wesentlich bekannter geworden. Es gibt durchaus viele Leute, die eine große Motivation für Schöpfungsbewahrung haben, aber nicht wissen, welche Verhaltensweise wie stark was ins Gewicht fällt.

Die machen sich zum Beispiel totalen Stress mit veganer Ernährung, haben aber überhaupt nicht überlegt, wie die weite Fahrt mit dem SUV in den Biosupermarkt in die Bilanz fällt. Es geht nicht darum zu sagen: „Du sollst das und das machen“, sondern zu zeigen, was wie sehr ins Gewicht fällt.

„Es ist genug für jedermanns Bedürfnis, aber nicht für jedermanns Gier.“

Was ist denn der entscheidende Punkt, der geschehen muss, damit unser Planet bewohnbar bleibt?

Ich finde den Satz von Mahatma Ghandi hilfreich, der sagt: „Es ist genug für jedermanns Bedürfnis, aber nicht für jedermanns Gier.“ Ich bin davon überzeugt, dass alle Menschen auf dieser Welt gut leben können. Aber dieses gute Leben wird nicht so aussehen können, wie bei uns, wo sich ein ressourcenverschwenderischer Lebensstil breitgemacht hat.

Die persönlichen Veränderungsmöglichkeiten sind allerdings begrenzt. Was müsste denn global passieren?

Die Frage, die dahintersteckt, lautet ja: Wer muss anfangen? Und die Antwort darauf ist, dass schon die Frage Teil des Problems ist. Wenn man überlegt, wer anfangen muss, dann schieben sich die verschiedenen Akteure in Politik, Wirtschaft oder auch von individueller Ebene immer die Verantwortung hin und her. Eigentlich muss aber auf allen Ebenen so viel wie möglich, so schnell wie möglich passieren. In der Landwirtschaft, in der Energiewirtschaft, in der gesamten Produktionskette, wie wir mit Ressourcen umgehen und die wiederverwenden, in unserer Ernährungsweise. Überall sind Veränderungen notwendig.

Was ist bei dieser Transformation meine Rolle als einzelne Person?

Diese politischen und strukturellen Veränderungen sind meines Erachtens nicht erreichbar, wenn nicht ein ausreichend großer Teil der Gesellschaft dafür ein Bewusstsein hat und es auch selbst ein Stück weit kulturell vorgelebt hat. Ein schönes Beispiel finde ich immer die Energiewende. Jahrzehntelang haben Menschen in gesellschaftlichen Nischen mit erneuerbarer Energie experimentiert. Haben kleine Windräder gebaut oder an kleinen Photovoltaikanlagen gebastelt oder mit Solarthermie experimentiert. Und es gab eine Anti-AKW-Bewegung, die jedes Jahr demonstriert hat. Und irgendwann war dann der Moment da, wo die Politik bereit war zu sagen: „Okay, wir wagen jetzt den Atomausstieg.“ Hätte es diese langen Vorbereitungen nicht gegeben, dann wären gar nicht die Optionen da gewesen, die Erneuerbaren Energien als Energiequelle zu erschließen.

Und ich glaube, so ist es in vielen Transformationsbereichen. Eine Ernährungs- und Landwirtschaftswende gelingt viel leichter, wenn Menschen aus freien Stücken, sei es für Gesundheit oder Klima, weniger tierische Produkte nutzen und sozusagen lernen, wie man sich auch mit Gemüse gut ernähren kann. Wenn man jetzt einfach auf einen Schlag tierische Produkte fünfmal so teuer machen würde, aber in der Gesellschaft gar keine kulturellen Ressourcen da sind, damit umzugehen, dann funktioniert so eine Veränderung nicht. Weil das ineinandergreift, ist auch die Ebene des persönlichen Lebensstils total wichtig. Nicht als Ablenkung von der Strukturveränderung, sondern als Ermöglichung und Motivation dafür.

Brot für die Welt verbindet man ja eher mit Hunger- und Armutsbekämpfung. Warum engagiert ihr euch für Klima- und Umweltschutz?

Das Wichtige bei der Arbeit von Brot für die Welt im Globalen Süden ist ja vor allem, dass wir mit Partnerorganisationen vor Ort zusammenarbeiten. Schon ganz früh waren wir mit Akteuren aus Ländern des Südens im Gespräch darüber, wie gerechte und nachhaltige Entwicklung funktionieren kann. Und die haben uns schon in den 70er-Jahren gesagt: „Ihr müsst anders leben, damit wir überleben können.“ Ein gutes Leben für alle ist nur möglich, wenn wir nicht so sehr über unsere Verhältnisse leben und nicht so sehr Ressourcen aus anderen Ländern beanspruchen.

Johannes Küstner ist Bei „Brot für die Welt“ seit 2012 für die außerschulische Bildungsarbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen zuständig. Er ist verantwortlich für die Aktionen „5000 Brote“, „Teller statt Tonne“ oder den Ökologischen Fußabdruck.

Der niederschwellige Fußabdruck-Rechner von „Brot für die Welt“ verzeichnet täglich über 2.000 Zugriffe. 13 Fragen sind zu beantworten, das ist in sechs Minuten erledigt – ohne dass eine Heiz- oder Warmwasserrechnung hervorgekramt werden muss.

Die Fragen stellte Anja Schäfer

Wie nachhaltig sind Südfrüchte?

Der Gang durch die Obstabteilung gleicht oft einer Weltreise: Bananen aus Costa Rica, Avocados aus Peru, Orangen aus Marokko, jederzeit verfügbar. Lässt sich das mit einem klimabewussten Einkauf vereinbaren?

Äpfel lassen sich schon sprichwörtlich nicht mit Birnen vergleichen – und bei exotischem Obst sieht die Sache nicht anders aus. Denn die Welt ist so komplex wie das Obstregal bunt ist. Wie umweltverträglich Lebensmittel sind, hängt an vielen Faktoren: Anbau, Wasserbedarf, Flächenverbrauch, Transport. Äpfel etwa können frisch vom eigenen Baum stammen, monatelang im Kühllager gelegen haben oder aus Chile angeschifft worden sein.

Bei Südfrüchten macht uns oft der Weg, den sie zurücklegen, ein schlechtes Gewissen. Jedoch schreibt der britische Nachhaltigkeitsforscher Mike Berners-Lee in seinem aktuellen Buch „Planet B“: „Der Transport sorgt meist nur für einen geringen Teil des generellen CO2-Fußbdrucks von Lebensmitteln.“ In Großbritannien sei der Transport nur für sechs Prozent des CO2-Fußabdrucks aller Supermarktwaren verantwortlich. Viel mehr Treibhausgase würden in der Landwirtschaft freigesetzt. „Der Transport von Lebensmitteln wird nur dann ein großes Problem, wenn die Waren mit dem Flugzeug kommen.“ Im Flieger fallen für eine Ananas beispielsweise pro Kilogramm Frucht 15,1 kg CO2-Äquivalente an, im Schiff hingegen nur 0,6 kg. Eine Flug-Ananas verursacht also 25-mal mehr Klimagase als Schiffsware.

Vergleichen ist nötig

Keine Frage: Frisch vom eigenen Strauch gepflückt hat Obst eine noch viel bessere Bilanz. Aber diesen Luxus hat nicht jeder und schon gar nicht das ganze Jahr über. Wer sich gesund ernähren will, für den führt kaum ein Weg am Obstregal oder Marktstand vorbei. Ein genauer Blick auf Herkunft und Anbau kann aber nicht schaden. Denn was hierzulande im beheizten Treibhaus wächst, kommt zwar aus der Region, muss aber für den Planeten nicht immer besser sein als die Exoten: „Lokale Tomaten, die in einem energieintensiven Gewächshaus im Winter angebaut werden, sind oft weniger nachhaltig als per Schiff angereiste Alternativen aus sonnigeren Regionen“, schreibt Berners-Lee.

Das alles bedeutet: genau hingucken und vergleichen. Das zeigt sich auch, wenn man die Zahlen ganz anderer Lebensmittel danebenlegt. Vor allem im Vergleich zu Fleisch und anderen tierischen Produkten schneiden Südfrüchte in ihrer Klimabilanz insgesamt immer noch sehr gut ab. Darauf verweist auch das Inkota-Netzwerk, das sich in Kampagnen und Bildungsarbeit für eine gerechtere Welt engagiert: „Während pro Kilogramm Äpfel aus der Region 0,3 beziehungsweise 0,4 kg CO2-Äquivalente entstehen (je nachdem, ob sie saisonal im Herbst oder im April konsumiert werden), ist der Fußabdruck von per Schiff importierten Bananen, Avocados oder Ananas mit je 0,6 Kilogramm CO2-Äquivalenten nur wenig größer.“ Zum Vergleich: Rindfleisch ist pro Kilogramm für 13,6 kg verantwortlich und liegt damit meilenweit über den verschifften Südfrüchten.

Das heißt: Weil Früchte wie Bananen und Orangen in den Anbauländern unter natürlichem Sonnenlicht statt in beheizten Gewächshäusern gedeihen und weil sie problemlos verschifft werden können, ist ihre Klimabilanz insgesamt nicht viel schlechter als die von heimischem Obst.

Pestizide und Wassermangel

Häufig werden Südfrüchte in Monokulturen angebaut, worunter nicht nur die Artenvielfalt, sondern auch die Widerstandskraft der Landschaft und das Grundwasser leiden: Denn Schädlinge können sich bestens vermehren, werden mit Pestiziden bekämpft, die ins Grundwasser getragen werden. Bei einer Probe von Öko-Test 2018 bekamen nur fair gehandelte Bio-Bananen die Bestnote „Sehr gut“. Andere Sorten waren nachweisbar mit Pestiziden belastet. Zitrusfrüchte wie Orangen und Grapefruits hat das Lebensmittel- und Veterinärinstitut Oldenburg auf Pestizidbelastung getestet. Von den Sorten aus Bio-Anbau waren 16 von 17 rückstandsfrei, 80 Prozent der konventionellen Früchte hingegen belastet. Das ist eine schlechte Nachricht für die Menschen in den Anbauländern – und für uns, wenn wir die Früchte essen.

Auch der Wasserverbrauch spielt für die Bewertung der Nachhaltigkeit von Lebensmitteln eine große Rolle. Der Anbau etwa von Avocados mit künstlicher Bewässerung verstärkt den Wassermangel in Anbauländern, die ohnehin mit Wasserknappheit und Dürre zu kämpfen haben. Die künstliche Bewässerung können sich oft nur reiche Großplantagenbesitzer leisten, wodurch kleine Familienbetriebe zunehmend um ihre Existenz bangen. In Chile etwa ist Wasser Privatbesitz. Die Wasserrechte liegen in den Händen großer Avocado-Barone, während die Bevölkerung unter der extremen Trockenheit leidet und mancherorts mittlerweile auf Trinkwasser aus Tankwagen angewiesen ist.

Laut Waterfootprint.org haben Äpfel einen Wasserverbrauch von 125 Litern, bei Orangen sind es 560 Liter, bei Bananen 790 Liter, bei Mangos 1.800 Liter. Zum Vergleich der Blick auf andere Lebensmittel: Für Käse werden 3.000 Liter verbraucht, für Rindfleisch 15.000 Liter. Südfrüchte schneiden also etwas unterschiedlich ab. Milchprodukte und Fleisch liegen aber meist um das Mehrfache darüber.

Druck auf Bauern

Aufgrund ihrer Beliebtheit sind Bananen und Orangen wichtige Einkommensquelle für zahlreiche Kleinbauernfamilien in den Anbauländern. Diese werden jedoch mehr und mehr von Großplantagen verdrängt, für die außerdem riesige Flächen Land teilweise illegal abgeholzt werden. Die Bauern leiden unter dem Niedrigpreisdruck von Exporteuren, Importeuren und Supermärkten, da das Monopol in den Händen weniger großer Firmen liegt. Die Orangensaftfabriken etwa werden zu 75 Prozent von drei Großkonzernen kontrolliert. Diese drücken den Orangenpreis teilweise unter die Produktionskosten. Kleinbauernfamilien können diesem Druck nicht standhalten und verarmen. Durch den Klimawandel bedingte Naturkatastrophen wie Überschwemmungen bringen zusätzlich Ernteverlust und Qualitätseinbußen mit sich.

Gerade bei Südfrüchten und Orangensaft ist es daher sinnvoll, auf fair gehandelte Produkte zu achten. Für sie erhalten Kleinbetriebe nicht nur eine angemessene Bezahlung, auch die Arbeitsbedingungen sind besser und Kinderarbeit wird ausgeschlossen. Oftmals sind sie biologisch angebaut. Vor allem Bananen und Orangensaft werden vielfach auch aus fairem Handel angeboten.

Lisa-Maria Mehrkens ist freie Journalistin und Psychologin und lebt mit ihrer Familie in Chemnitz.

 

Crowdfarming direkt vom Baum

Orangen, Mangos, Grapefruits und Co. lassen sich auch direkt beim Bauernhof bestellen. Das sogenannte Crowdfarming unterstützt kleine Familienbetriebe in Ländern wie Spanien und Italien, manchmal auch in Deutschland. Das ist meist teurer als im Supermarkt, dafür sind viele Früchte biologisch angebaut und der unmittelbare Bezug zur Herkunft der Lebensmittel ist inklusive. Wer noch einen Schritt weitergehen möchte, kann hier auch einen Baum adoptieren und neben den Kosten für die Lieferung auch die Kosten für die Pflege vorab übernehmen. Dafür wird die gesamte Baumernte der Saison geliefert (crowdfarming.com).

 

7 Faustregeln

1. Unschlagbar: Unbehandeltes Obst aus dem eigenen Garten oder von wilden Hecken
2. Wenn es im Sommer und Herbst heimisches Obst gibt, auf Südfrüchte verzichten
3. Flugobst generell meiden
4. Südfrüchte aus dem nahen Ausland gegenüber denen aus Regenwaldgebieten bevorzugen
5. Es ist wirkungsvoller, Fleisch und Milchprodukte zu reduzieren als Südfrüchte
6. Wegen der Anbaubedingungen ist es bei Südfrüchten besonders sinnvoll, auf Fairtrade zu achten
7. Bio-Siegel sollten für Verzicht auf schädliche Dünger, Pestizide und Maßnahmen zum Artenschutz stehen, auch wenn das in anderen Ländern manchmal nicht so streng kontrolliert wird wie bei uns