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Gründerinnen Constanze Klotz und Charlotte Erhorn. Foto: Bridge and Tunnel

Nachhaltige Mode: Neue Jeans aus alten Stoffen

Bei „Bridge and Tunnel“ stellen talentierte Frauen aus verschiedenen Ländern aus zerschlissenen Jeans neue Schätze her. Die Entwürfe des Hamburger Labels wurden schon mit dem German Design Award ausgezeichnet.

In einem Gewerbegebiet im Hamburger Süden, hinter Reifenhandel und Autolackiererei, kommt links die Einfahrt. Die Gebäude hier ähneln denen anderer Gewerbekomplexe, aber dieses Areal wirkt nicht anonym und menschenleer. Topfpflanzen und Lastenräder stehen vor den Türen, Menschen werkeln herum, eine Gruppe Schüler hält Raucherpause auf dem Hof. Etliche Vereine und Sozialträger haben sich hier angesiedelt: Kleiderkammer, Sprachkurse, ein alternativer Kaffeehandel. Mittendrin, irgendwo im zweiten Stock: ein 280 Quadratmeter großes Atelier. In Regalen hoch bis zur Decke sind ausrangierte Jeans gestapelt.

ZUKUNFTSPROZESS

Das Modelabel Bridge&Tunnel ist hier seit 2016 zu Hause – anfangs unter dem Dach eines Sozialträgers, mittlerweile als eigenständige GmbH. Von Schmucketuis über Hipbags und Jacken bis hin zu großen Plaids sind mittlerweile viele Produkte im Online-Shop erhältlich. Daneben werden Upcycling- und Reparaturaufträge verschiedener Firmen und Vereine übernommen.

Im Atelier herrscht gelöste Konzentration. Am Fenster arbeiten Näherinnen aufmerksam über ihre Maschinen gebeugt. Am großen Schneidertisch in der Mitte fachsimpeln Mitarbeiterinnen über neue Entwürfe für Weihnachten.

Seine Wurzeln kann das kleine Unternehmen bis zu einem Projekt eines engagierten Bürgerkreises zurückverfolgen, der um das Jahr 2000 einen Zukunftsprozess für den verwahrlosten Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg anstieß. Behörden wurden ins Boot geholt und gemeinsam erarbeitete man Perspektiven: neue Wohnungen, verbesserte Verkehrsanbindung und Bildung. Schließlich nahm man die anstehende Internationale Bauausstellung 2013 zum Anlass, den Stadtteil auf der Elbinsel unter ganz verschiedenen Gesichtspunkten weiterzuentwickeln. Auch Kultur- und Kreativprojekte sollten begleitend im international geprägten Stadtteil entstehen.

Das war der Punkt, an dem Constanze Klotz dazustieß. Ich treffe sie im Atelier. Sie führt mich von der großen offenen Halle über eine Stahltreppe hinauf zur Balustrade mit Blick über das Geschehen. An einem Holztisch nehmen wir Platz und sie erzählt von den Kreativprojekten der IBA, deren Projektleitung sie als Kulturwissenschaftlerin übernahm. „Wir wussten, hier auf der Elbinsel beherrschen viele Leute das Handwerk noch ganz anders, weil es in ihrem Herkunftsland eine andere Rolle spielt“, erzählt Conny. „Deshalb hat die IBA damals gesagt: Ein Ort, wo textile Skills gefördert werden, wäre doch total cool.“

Geplant wurde ein Coworking-Space für Mode- und Textildesign, mit viel Freiraum für Kreativität. Nähmaschinen und Geräte für Siebdruck standen bereit. Allein übernehmen wollte Conny das Projekt auf Dauer aber nicht: „Ich kann ganz vieles, aber nicht nähen, und so haben wir jemanden gesucht, der den operativen Bereich stemmt und Workshops konzipiert.“ Das Jobangebot teilte Conny über Facebook, wo sie seit ein paar Jahren auch schon mit Charlotte Erhorn lose verbunden war. „Zwei Minuten später hat Lotte mir eine E-Mail geschrieben: ‚Conny, du suchst mich!‘“ Lotte war gerade in den Stadtteil gezogen und wünschte sich eine Teilzeitstelle im Kreativbereich. „Wir waren also erst Kolleginnen und sind dann richtig gute Freundinnen geworden. Und ich glaube, es ist total gut, dass wir ohne Gepäck erst mal in die berufliche Beziehung gestartet sind, und dann konnte sich über die gegenseitige berufliche Wertschätzung auch die private etablieren.“

NÄHKURS IN DER MOSCHEE

Nach dem Anschub durch die Bauausstellung ging der Co-Working-Space an einen sozialen Träger über. Kreative mieteten sich ein, Menschen aus der Nachbarschaft kamen zu Workshops. Jemand erzählte von einem Nähkurs in der Moschee, für den jedes Mal alle Maschinen hin- und hergeräumt werden mussten. Conny und Lotte luden die Frauen kurzerhand in ihre Räume ein. Zu sehen, welche großen Nähfertigkeiten sie aus ihren Herkunftsländern mitgebracht hatten, führte zu weiteren Überlegungen. „Bei uns in Deutschland braucht man ja für alles Zertifikate und Diplome“, sagt Conny, „aber man kann großartige Talente und Fähigkeiten nicht nur damit messen.“ Viele der Frauen waren schon seit 15 oder 20 Jahren in Deutschland, hatten aber noch nie eine sozialversicherungspflichtige Stelle gehabt. „Wir haben gesagt: ‚Näh doch mal vor, zeig doch mal, ob du dieses Produkt nähen kannst‘“, erzählt Conny. „‚Wie lange brauchst du dafür? Wie ist die Qualität?‘ Wenn man sich die Zeit nimmt, kann man ziemlich gut erfassen, ob es passt.“

Und bei vielen Frauen passte es. Conny und Lotte trafen die Entscheidung: Sie gründeten ein Label, das Menschen in Arbeit bringt, die sehr gut nähen können, unabhängig davon, ob sie ein Zeugnis haben. Es geht ihnen um die Frauen, aber auch darum, das lokale Handwerk wieder stark zu machen. „Wir versuchen, textiler Arbeit ein Gesicht zu geben, dass die Leute sichtbar werden, die die Produkte nähen“, sagt Conny. Das geschieht zum Beispiel dadurch, dass auf den Waschlabels in den Produkten immer reihum eine Näherin unterschreibt. Und öfter reagieren Kundinnen darauf und mailen zurück: ‚In meinem Blouson steht drin, er wurde von Mandeep genäht. Vielen lieben Dank noch mal an Mandeep!‘ Das stärkt die Wertschätzung für die Menschen, aber auch für die Mode. Gut vorstellbar, dass Kleidungsstücke, deren Geschichte man ein bisschen kennt, länger und sorgsamer getragen werden.

EXPERIMENTE MIT JEANS

Der Labelname Bridge&Tunnel spielt auf die Lage des Stadtteils an: Gelegen auf einer Flussinsel, ist er nur über Brücken und Tunnel zu erreichen. Vielleicht nicht zufällig erinnert er auch an Gürtelschlaufen und Hosenbeine – und ganz sicher daran, dass Frauen hier eine Brücke in den Arbeitsmarkt finden.

Das Signature Piece, das wiedererkennbare Stück in ihrem Online-Shop, ist das Oberteil aus schräg zusammengenähten Jeansteilen, den es als Sweater und Blouson gibt. Schon zu Zeiten vom Coworking-Space hatten sie die LKWs beobachtet, die regelmäßig die Kleiderkammer auf demselben Gewerbehof belieferten – randvoll beladen mit Altkleidern. Darunter viele Jeans. Damit begannen sie zu experimentieren. „Wenn Jeans kaputtgehen, sind die ja maximal am Knie, am Popo kaputt. Aber die komplette Beinvorder- und Rückseite kann man noch supergut benutzen, wenn man sie in Filetstreifen schneidet.“ So nahmen sie die Hosen, die zu zerschlissen waren, um sie noch an Bedürftige weiterzugeben, mit in die Werkstatt und experimentierten. „Wir haben einen Teppich geflochten, ein paar Taschen ausprobiert und haben gemerkt: Das ist ein richtig gutes Material.“

Micht alle ihre Stücke sind aus Jeans, aber alle wurden schon einmal benutzt oder stammen aus Produktionsresten. Und das ganz bewusst.

SCHON EINMAL GELIEBT

„Mode ist ein krasser Klimakiller“, erklärt Conny. „Viele Leute wissen das nicht oder blenden es aus. Aber die Textilindustrie mit allen Stoffen und Vorhängen, Berufsbekleidung und so weiter ist laut Schätzungen für mehr Treibhausgase verantwortlich als Flugindustrie und Kreuzfahrt.“ Berechnungen gehen davon aus, dass weltweit bald 200 Milliarden Kleidungsstücke produziert werden – jedes Jahr. Mitsamt allen Konsequenzen wie Ressourcenverbrauch und CO2-Output. Die Frage ist: Wie lässt sich die Modeindustrie umkrempeln?

Ein zukunftsfähiger Ansatz ist, Materialien zu nutzen, die bereits da sind. „Deshalb verarbeiten wir nur Jeans, die schon mal an zwei Beinen durchs Leben gelaufen sind“, sagt Conny schmunzelnd. Zusätzlich wird der Lagerbestand für den Shop bewusst überschaubar gehalten. Produziert wird, wenn Kundinnen und Kunden bestellen. Verpackt und verschickt wird gleich vor Ort.

Neben dem Shop für Privatkunden setzen Conny und Lotte auf die Zusammenarbeit mit Unternehmen und Vereinen. Auch hier sind immer gebrauchte Stoffe im Spiel. Mal werden alte Banner auf Wunsch zu Weekendern oder ausrangierte Arbeitskleidung zu Hipbags, mal werden Waren repariert, die mit kleinen Fehlern angeliefert wurden. Ein allgemeiner Reparaturservice ist das neuste Standbein.

IMMER KREATIVE LÖSUNGEN

Die Daseinsform von Bridge&Tunnel sei für manche schwer zu greifen, erzählt Conny. „Wir empfinden uns da als Weltenwandlerinnen. Manchen sind wir für eine Zusammenarbeit zu sozial, für manche Fördergelder sind wir zu wirtschaftlich.“ Schwarze Zahlen schreibt Bridge&Tunnel auch nach sieben Jahren noch nicht ganz. „Als kleines Unternehmen zwei Jahre Pandemie abzufedern, war schon crazy genug“, sagt Conny. „Dann startet der schreckliche Krieg in der Ukraine. Inflation und Konjunkturschwäche erschweren natürlich gerade kleinen Firmen mit wenig Rücklagen das Leben.“ Leute gucken stärker, wofür sie Geld ausgeben – und landen oft wieder bei Fashion und Waren, die billig zu haben sind. Verständlich, findet Conny, ihr gehe es nicht anders, aber es gefährde aktuell viele Firmen und Initiativen, die fair und nachhaltig arbeiten – Modelabel genauso wie Unverpacktläden und Biobetriebe. „Und dann gehen die Konzepte nicht auf, obwohl die eigentlich genau das transportieren, was wir uns doch für die Zukunft wünschen.“

Das Gehalt einiger Mitarbeiterinnen wird durch ein Programm des Jobcenters gefördert, was sehr hilft. Und sonst bleiben sie hartnäckig, um immer wieder kreative Lösungen zu finden: „Wir machen viel Fundraising, haben seit sieben Jahren eine tolle Partnerschaft mit einer großen Firma, seit letztem Jahr haben wir einen Investor an Bord.“

ZEIT FÜR NACHHALTIGKEIT

Wenn man mit Conny spricht, kann man sich ihren Spaß am Netzwerken gut vorstellen – und ihr Geschick, auch mit Wirtschaftsleuten über Kooperationen ins Gespräch zu kommen. Eine ansteckende Leidenschaft für die Themen hilft sicher zusätzlich – und Lotte mit ihrer Begabung für Design, Technik und Finanzfragen klingt nach der perfekten Business-Partnerin.

Ihre Mitarbeiterinnen arbeiten bewusst nur 20 Stunden, damit genug Zeit für Familie und anderes bleibt. Für die Gründerinnen gilt das nicht: „Wir arbeiten rund um die Uhr“, lacht Conny, „aber mit voller Begeisterung.“ Drei Tage sind beide im Atelier, zwei Tage im Homeoffice. Beide haben zwei Kinder und ihren Alltag gut organisiert. „Wenn keiner krank ist, läuft das super“, sagt Conny. Ihre erste Tochter kam im zweiten Jahr nach der Gründung zur Welt und stand oft in der Babywippe im Atelier – zur Freude der Mitarbeiterinnen. Und auch heute kommen die Kinder öfter mal mit, wenn Betreuung ausfällt und auch die Väter Termine haben. Ohnehin ist es ihnen wichtig, ihren Kindern die Werte von Nachhaltigkeit und Wertschätzung zu vermitteln. Und nicht nur ihnen. „Wir wollen auch in die Gesellschaft hineinwirken und sagen: Mode ist kein Bubble-Thema. Sie geht uns alle an. Niemand ist nackt.“

Wir alle treffen dauernd Kaufentscheidungen. Und ob wir Gebrauchtes kaufen, auf Siegel achten oder billige Schnäppchen jagen, hat Auswirkungen. Für nachhaltige und oftmals hochpreisige Modelabels hat allerdings nicht jeder das passende Budget. „Und das sind auch nicht diejenigen, an die wir uns wenden. Wir richten uns an diejenigen, die die Möglichkeit hätten, sich die Zeit zu nehmen, um nachhaltiger zu kaufen, es aber – auch aus Gewohnheit an Fast Fashion – nicht tun.“

VIELFALT VON WEGEN

Eine faire Produktion aus gebrauchten Materialien in Deutschland ist zweifellos nachhaltig, aber auch für Conny nicht der einzige Ansatz. Denn ob es sinnvoll wäre, unsere sämtliche Kleidung komplett in Europa fertigen zu lassen, ist fraglich. Zum Beispiel, weil dann Näherinnen in Bangladesch oder Vietnam arbeitslos würden. „Ich glaube, es braucht ganz viele verschiedene Ansätze, die auf unterschiedliche Art nachhaltig sind“, sagt Conny. Secondhand gehört genauso dazu wie faire Fabriken im Globalen Süden oder auch das Recycling von Fasern aus abgetragener, geschreddeter Kleidung.

„Unsere Textilien, die wir upcyceln, sind ja schon hier – die zurück nach Bangladesch zu transportieren, macht keinen Sinn.“ Gleichzeitig müssen konsequente Lieferkettengesetze für menschenwürdige Arbeitsbedingungen im Globalen Süden sorgen. Wenn Arbeiterinnen Windeln tragen müssen, weil in ihren 14-Stunden-Schichten keine Zeit ist, aufs Klo zu gehen, dann liegen die notwendigen Verbesserungen auf der Hand. „Und das klappt vor allem dann, wenn wir uns bewusst werden, wie wir konsumieren“, sagt Conny. „Denn natürlich gibt es eine Wechselwirkung: Wenn wir weiter günstige Kleidung nachfragen, wird immer weiter viel günstige Kleidung produziert.“

Wie man es dreht und wendet – am Ende ist und bleibt aber der entscheidende Schlüssel für den Modekonsum die Menge: Wenn wir meinen, viel Neues zu brauchen, werden viele Ressourcen verbraucht, Müll und Emissionen fallen an – und die Preise müssen niedrig sein. Wenn wir uns auf wenige Teile beschränken, kann das einzelne Kleidungsstück mehr kosten und eine faire Produktion wird möglich.

Sich selbst nehmen die beiden Unternehmerinnen aus dieser Denke nicht heraus. In diesem Jahr haben sie sich beide eine Challenge gestellt: Lotte hat sich eine „Capsule Wardrobe“, eine feste Garderobe aus 30 Kleidungsstücken zusammengestellt – ausschließlich aus Second-Hand-Stücken. Conny hat eine „Outfit Repetition“ gemacht: Vier Wochen lang hat sie jeweils ein Kleidungsstück eine Woche lang getragen und immer anders kombiniert. „Ich kenne jetzt viel mehr Kombinationsmöglichkeiten für meine Kleidungsstücke. Es ist eben alles Übung.“

Übung hilft zweifellos beim nachhaltigen Modekonsum – und Wertschätzung gehört unbedingt dazu: Wertschätzung für Kleidung, Menschen, Talente, Stoffe, Handwerk, letztlich für unsere Schöpfung. Als ich die Stahltreppe wieder heruntersteige, arbeitet gerade eine Mitarbeiterin am Schneidertisch. Auf ihrem T-Shirt steht: „Liebe. Immer.“ Wie passend hier, denke ich.

Anja Schäfer ist Redaktionsleiterin von andersLEBEN. Online-Shop von Bridge and Tunnel: bridgeandtunnel.de

Der Solarpionier Josef Jenni. Bild: Jenni Energietechnik AG / jenni.ch

Pionier der Energiewende: „Wir haben genug Wissen und Technik“

Der Schweizer Unternehmer Josef Jenni entwickelt bereits seit den 1970er-Jahren alternative Energietechnik. 1990 baute er das erste Haus, das ganzjährig mit Sonnenenergie versorgt wird. Der Pionier macht es vor, wie die Energiewende funktionieren kann.

„Ich gehe selten arbeiten“, sagt Josef Jenni. Dabei ist er 50 Stunden in der Woche mit alternativer Energietechnik beschäftigt. „Für mich ist es generell so, dass ich mit und in der Firma lebe“, erzählt er. Meist klingelt sein Wecker morgens um halb sechs, um kurz vor sieben ist er schon im Büro. Dafür geht er nur ein paar Meter von seiner privaten Wohnung hinüber zum Firmengebäude seiner Jenni Energietechnik AG, die auf dem gleichen Gelände im Schweizer Oberburg liegt. Jenni könnte reisen, Touren mit seinem E-Fahrrad unternehmen und es sich gut gehen lassen, denn der bald 70-Jährige ist offiziell seit fünf Jahren im Ruhestand. „Damit hat meine Arbeit eine gewisse Freiwilligkeit. Ich bin auch nicht mehr besonders teuer für die Firma. Ich bin der Meinung, dass mich das jung hält. Mir ist nie langweilig“, sagt er beinahe spitzbübisch lächelnd. Er geht gern in die Produktionshalle seines Unternehmens und begleitet neue Mitarbeiter. „Dafür haben unsere Monteure aktuell keine Zeit“, sagt er. Denn seit der Energiekrise sind seine rund 75 Mitarbeitenden überbeschäftigt. Auf einmal fragen die Leute von überall her nach Solaranlagen mit Wärmespeichern und alternativen Energietechniken, für die die Firma Jenni bekannt ist.

Autofreie Sonntage

Josef Jenni engagiert sich bereits seit fünfzig Jahren dafür. Er gilt als der Solarpionier. Schon während seines Studiums zum Elektroingenieur wurde er zum Kritiker fossiler Energien und zum Klimaschützer. Als er in den 1970er-Jahren die Studie „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome las, die in verschiedenen Szenarien die Zukunft der Weltwirtschaft mit den begrenzten Rohstoffvorräten darstellt, war das für ihn der Auslöser zu handeln. „Ich habe mit drei Studienkollegen eine nationale Volksinitiative in der Schweiz angeschoben für die Einführung von zwölf autofreien Sonntagen. Das hat sehr viel Arbeit gemacht. Aber dabei habe ich gelernt zu arbeiten und auch, wie man verhandelt und Dinge organisiert.“

Es war klar, dass nur eine nachhaltige, sinnstiftende Arbeit für ihn infrage kommt. Deshalb gründete er 1976 nach seinem Studienabschluss, ganz ohne Kapital, seine eigene Firma und stellte im Keller seiner Eltern Steuerungen für Solaranlagen her und verschrieb sich den erneuerbaren Energien. „Die ersten zehn Jahre in der Firma habe ich praktisch nichts verdient. Am Anfang haben meine Eltern für meinen Unterhalt gesorgt, später meine Frau Karin. Sie hat die Wohnung bezahlt und den Lebensunterhalt bestritten. Als sie dann mit in die Firma Jenni einstieg, sagte Karin zu mir: ‚Es gibt zwei Bedingungen. Erstens heiraten wir und zweitens kriege ich einen einigermaßen guten Lohn.‘ “

Jenni machte auf seine Pionierarbeit mit einer innovativen Aktion aufmerksam, welche die Kraft der Sonnenenergie zeigen sollte: 1985 organisierte er die erste „Tour de Sol“ vom Bodensee bis zum Genfer See, gemeinsam mit der Schweizerischen Vereinigung für Sonnenenergie. Dies war das erste Rennen für Fahrzeuge, die mit Solarantrieb anstatt mit einem Verbrennungsmotor fuhren.

Erstes autarkes Wohnhaus

Dennoch musste Jenni weiter um Aufträge für seine Firma kämpfen. Europaweit bekannt machten ihn seine Entwicklungen zur Solarthermie. Er speicherte das mit Sonnenkollektoren auf dem Dach erhitzte Wasser in großen Tanks. Dass diese Nutzung von Sonnenenergie ausreicht, um ein ganzes Haus ganzjährig zu versorgen, wollte ihm kaum jemand glauben. Aber ausgelacht zu werden, das war er inzwischen gewohnt.

Jenni trat den Beweis an: Zusammen mit seinem Bruder Erwin Jenni errichtete er in Oberburg das erste Wohnhaus Europas, das ganzjährig zu 100 Prozent autark mit Sonnenenergie versorgt wird, also ohne herkömmliche Heizung auskommt. Für mehr Bekanntheit bauten die Brüder noch einen Außenpool, der mit der überschüssigen Sonnenenergie beheizt wurde. Bei Minusgraden im Winter badeten die Brüder und Mitarbeiter der Firma darin. „Dieses Bild ging um die Welt“, erzählt Jenni. Das war 1990.

Damals wohnten seine Frau Karin und er noch in der Wohnung über der Produktionshalle der Firma. Ihre Töchter Esther und Tabea waren schon auf der Welt. Danach folgte ihr Sohn Josef. Die Kinder sind inzwischen erwachsen, zwei arbeiten in der Firma mit. Aber die Energiewende ist nach einem halben Jahrhundert noch immer nicht geschehen. Trotzdem wird Jenni nicht müde, dafür zu arbeiten. „Die Beharrlichkeit sei meine beste und meine schlechteste Eigenschaft, meint meine Frau“, erzählt er schmunzelnd.

Nächstenliebe im Betrieb

Er sieht auch Fortschritte: „Also rein marktmäßig passiert ja gerade einiges für die erneuerbaren Energien. Zudem hat es sicherlich positive Effekte, wieviel Strom beispielsweise in Deutschland heutzutage durch Wind erzeugt werden kann. Photovoltaik ist eher sommerlastig, im Winter leider etwas erbärmlich. Mir ist es wichtig, diese physikalischen Gegebenheiten richtig zu erfassen. Es hilft nichts, wenn wir uns Illusionen darüber machen, was erneuerbare Energien können oder nicht können“, meint Jenni.

Die Schöpfung zu bewahren, ist für ihn als Christ ein wichtiger Antrieb in seiner Arbeit. Wertmaßstäbe auf Basis der Nächstenliebe versucht er so gut wie möglich in seinem Betrieb umzusetzen. „Nur gute Arbeit, welche den Menschen dient und Rücksicht nimmt, gibt Zufriedenheit“, steht auf seiner Internetseite. Er hat viele langjährige Mitarbeitende. Manche von ihnen traten bei Jenni Energietechnik ihre erste Stelle an und gehen nun in Pension. Jetzt rücken junge Leute nach.

Seit Beginn wächst seine Firma durch engagierte Mitstreitende und Jennis Einfallsreichtum. Heute produziert sie große Solarspeicher und montiert Sonnenkollektoren, Solarzellen, Gesamt-Wärmesysteme, Wärmerückgewinnungsanlagen, Holzheizungen und vieles mehr. Auch für die Finanzierung seiner Projekte hat er unkonventionelle Ideen genutzt: Als er 1983 in Oberburg die erste Werkstatt baute, konnte er sich das nur leisten, weil er die Jenni Liegenschaften AG gründete und jeden dritten Kunden überzeugte, sich am Aktienkapital zu beteiligen. Danach finanzierten die Liegenschaften den Bau des zweiten und dritten Produktionsgebäudes und der nächsten Innovation: 2007 errichtete Firma Jenni das erste ganzjährig solar-beheizte Mehrfamilienhaus Europas. Dafür wurde ihr Erfinder mit dem Energy Global Award ausgezeichnet. 2008 erhielt Jenni für sein Lebenswerk zugunsten der Solarenergie noch den Preis „Watt d‘Or“ vom Bundesamt für Energie.

In einer seiner sonnenversorgten Wohnungen lebt Josef Jenni inzwischen mit seiner Frau. „Für mich wäre es am idealsten, wenn ich dort leben würde, bis ich in einer Kiste die Wohnung verlasse“, sagt er. Wie es aussieht, wird das noch dauern. Jenni fühlt sich gut, ist viel mit dem E-Fahrrad im hügeligen Emmental unterwegs, im Urlaub radelte er sogar von der Schweiz bis zum Nordcap.

Optimum Energiemix

Ansonsten tüftelt er weiter. Er zeichnet, konzipiert und arbeitet gerne mit den Händen. Vieles davon lernte er vor seinem Studium in der Ausbildung zum Industrieelektroniker. Die Maschinen in seinen Werkhallen sind Eigenbau, die meisten entwickelte er selbst. Jenni rechnet auch gerne. Nach seinen Berechnungen ist eine Kombination verschiedener erneuerbarer Energiequellen das Optimum. Dafür plädiert er seit Jahrzehnten. Die wichtigsten Säulen der Energiewende sind für ihn der Solarstrom und die solare Wärme. Denn die Energiewende sei nicht zu schaffen, wenn sie in den Köpfen vieler bloß eine „Stromwende“ bedeute. Die Nutzung der thermischen Sonnenenergie sei gesamtheitlich betrachtet die umweltschonendste aller erneuerbaren Energien. Dann gebe es noch die dritte Säule mit anderen erneuerbaren Quellen wie zum Beispiel Energiespartechnik, Energiespeicherung und Einsatz von Biomasse.

Seine Tatkraft für Klimaschutz und erneuerbare Energien brachte er auch politisch ein: Bis 2012 war er sechs Jahre lang Großrat für die Evangelische Volkspartei im Kanton Bern, also Abgeordneter im dortigen Landtag. Das war ein Spagat. „Josef, was machst du hier eigentlich?“, dachte er an manchem Abend, wenn er nach einem Parlamentstag „nudelfertig“ zu
Hause ankam.

Immer noch gibt es viel zu tun. Deshalb ist für Jenni jeder gute Mitbewerber ein Kämpfer für das gleiche Ziel. „Wir brauchen europaweit noch viel mehr Leute, die an erneuerbaren Energien konkret arbeiten. Wir haben genug Wissen und Technik, die wir eigentlich anwenden könnten.“

Eine weitere Botschaft des Solarpioniers wird nicht gerne gehört: „Wir müssen bescheidener werden und den eigenen Energiebedarf reduzieren. Brauchen wir das alles wirklich?“ Er selbst leistet sich keinen Luxus, der bei einem erfolgreichen Unternehmer vielleicht üblich wäre: Er besitzt kein Ferienhaus und auch kein großes Auto. Er fährt einen VW Polo mit Kleinstausstattung. Vom Boom der heutigen Elektroautos hält er nicht viel. Schwer und hochmotorisiert verbrauchten sie zu viel Energie. „Brauchen wir derart große und schnelle Autos? Ich kann für mich sagen: Es kann sehr entspannend sein, wenn man nicht alles haben muss. Auch das ist Freiheit.“

Anne Albers ist freie Autorin und Journalistin in Hamburg

Alternativen zur Kuhmilch. Symbolbild: Getty Images / Natalia Lebedeva / iStock / Getty Images Plus

Hafer, Mandel, Soja – Wie sinnvoll sind Milchalternativen?

Wer Kuhmilch nicht verträgt oder aus anderen Gründen darauf verzichtet, kann mittlerweile auf eine Fülle von Ersatzprodukten zurückgreifen. Doch wie gut sind die Milchalternativen wirklich? Sind sie verträglicher und besser für die Umwelt?

Aus den Szene-Cafés sind pflanzliche Milchdrinks längst nicht mehr wegzudenken. Wer einen Hafermilch-Cappuccino oder einen Chai mit Sojamilch bestellt, erntet hier kaum mehr fragende Blicke. Und für den Umstieg von Kuhmilch zur Alternative gibt es gute Gründe.

Umwelt

Hafermilch & Co. haben geringere ökologische Auswirkungen auf unseren Planeten als Milch von Kühen. Für ihre Produktion wird weniger Wasser und Land verbraucht, denn nicht nur die Kühe selbst haben Durst, vor allem für den Anbau ihres Kraftfutters sind viel Wasser und Fläche nötig. Besonders Hafer und Soja schneiden im Vergleich gut ab, aber selbst Mandeln und Reis, die warme Klimabedingungen brauchen, haben eine bessere Bilanz. Hafermilch aus in Deutschland angebautem Getreide punktet zudem mit kurzen Transportwegen.

„Für Soja wird doch Regenwald abgeholzt!“, wenden Kritiker gern ein. Tatsächlich verwenden die Hersteller von Sojadrinks aber meist Rohstoffe aus Europa, etwa Soja aus Italien oder Rumänien. Wer unsicher ist, wirft einen Blick auf die Packung – die verrät es in der Regel.

Ernährung

Nicht nur jene, die allergisch auf die Lactose in der Kuhmilch reagieren, sind aus gesundheitlicher Sicht mit den pflanzlichen Alternativen gut beraten. Auch wer auf eine ausgewogene Ernährung achtet, kann zugreifen: Meist enthalten die Drinks weniger gesättigte Fette und Cholesterin und haben eine höhere Nährstoffdichte. Sojamilch beispielsweise enthält in der Regel mehr Protein und Kalzium als Kuhmilch. Hafermilch ist sehr ballaststoffreich und damit verdauungsfördernd. Auch hier hilft es, die Packungsangaben zu überprüfen, da die Nährstoffzusammensetzung je nach Hersteller und Produkt variieren.

Gluten enthalten Hafer- und Sojamilch übrigens nicht. Wenn auf dem Feld allerdings vorher glutenhaltige Getreidesorten standen oder dieselben Maschinen dafür benutzt werden, kann es passieren, dass Allergiker das spüren. Sie sollten auf den Hinweis
„glutenfrei“ achten.

Verwendung

In Kaffee und Tee sind die Milchalternativen Geschmacksache, Hafermilch gilt als besonders mild. Wer gern Schaum mag, ist mit Sojamilch besser beraten oder sollte bei Hafermilch zu Barista-Produkten greifen, die Sonnenblumenöl oder andere Zusätze enthalten oder länger fermentiert sind und dadurch besser schäumen.

Auch für Müsli und zum Kochen und Backen eignen sich die Drinks. Da bei der Herstellung von Hafermilch Stärke in Zucker umgewandelt wird, ist der Geschmack etwas süßlich, deshalb kommen Rezepte zum Teil mit weniger Honig oder Zucker aus. Bei manchen Hafermilchsorten kann es wegen bestimmter enthaltener Enzyme vorkommen, dass Pudding beim Backen nicht fest wird. Da hilft:
ausprobieren.

Anja Schäfer

Frisches Obst im Supermarkt kann man ganzjährig kaufen. Symbolbild: Getty Images / bernardbodo / iStock / Getty Images Plus

Wie nachhaltig sind Südfrüchte?

Der Gang durch die Obstabteilung gleicht oft einer Weltreise: Bananen aus Costa Rica, Avocados aus Peru, Orangen aus Marokko, jederzeit verfügbar. Lässt sich das mit einem klimabewussten Einkauf vereinbaren?

Äpfel lassen sich schon sprichwörtlich nicht mit Birnen vergleichen – und bei exotischem Obst sieht die Sache nicht anders aus. Denn die Welt ist so komplex wie das Obstregal bunt ist. Wie umweltverträglich Lebensmittel sind, hängt an vielen Faktoren: Anbau, Wasserbedarf, Flächenverbrauch, Transport. Äpfel etwa können frisch vom eigenen Baum stammen, monatelang im Kühllager gelegen haben oder aus Chile angeschifft worden sein.

Bei Südfrüchten macht uns oft der Weg, den sie zurücklegen, ein schlechtes Gewissen. Jedoch schreibt der britische Nachhaltigkeitsforscher Mike Berners-Lee in seinem aktuellen Buch „Planet B“: „Der Transport sorgt meist nur für einen geringen Teil des generellen CO2-Fußbdrucks von Lebensmitteln.“ In Großbritannien sei der Transport nur für sechs Prozent des CO2-Fußabdrucks aller Supermarktwaren verantwortlich. Viel mehr Treibhausgase würden in der Landwirtschaft freigesetzt. „Der Transport von Lebensmitteln wird nur dann ein großes Problem, wenn die Waren mit dem Flugzeug kommen.“ Im Flieger fallen für eine Ananas beispielsweise pro Kilogramm Frucht 15,1 kg CO2-Äquivalente an, im Schiff hingegen nur 0,6 kg. Eine Flug-Ananas verursacht also 25-mal mehr Klimagase als Schiffsware.

Vergleichen ist nötig

Keine Frage: Frisch vom eigenen Strauch gepflückt hat Obst eine noch viel bessere Bilanz. Aber diesen Luxus hat nicht jeder und schon gar nicht das ganze Jahr über. Wer sich gesund ernähren will, für den führt kaum ein Weg am Obstregal oder Marktstand vorbei. Ein genauer Blick auf Herkunft und Anbau kann aber nicht schaden. Denn was hierzulande im beheizten Treibhaus wächst, kommt zwar aus der Region, muss aber für den Planeten nicht immer besser sein als die Exoten: „Lokale Tomaten, die in einem energieintensiven Gewächshaus im Winter angebaut werden, sind oft weniger nachhaltig als per Schiff angereiste Alternativen aus sonnigeren Regionen“, schreibt Berners-Lee.

Das alles bedeutet: genau hingucken und vergleichen. Das zeigt sich auch, wenn man die Zahlen ganz anderer Lebensmittel danebenlegt. Vor allem im Vergleich zu Fleisch und anderen tierischen Produkten schneiden Südfrüchte in ihrer Klimabilanz insgesamt immer noch sehr gut ab. Darauf verweist auch das Inkota-Netzwerk, das sich in Kampagnen und Bildungsarbeit für eine gerechtere Welt engagiert: „Während pro Kilogramm Äpfel aus der Region 0,3 beziehungsweise 0,4 kg CO2-Äquivalente entstehen (je nachdem, ob sie saisonal im Herbst oder im April konsumiert werden), ist der Fußabdruck von per Schiff importierten Bananen, Avocados oder Ananas mit je 0,6 Kilogramm CO2-Äquivalenten nur wenig größer.“ Zum Vergleich: Rindfleisch ist pro Kilogramm für 13,6 kg verantwortlich und liegt damit meilenweit über den verschifften Südfrüchten.

Das heißt: Weil Früchte wie Bananen und Orangen in den Anbauländern unter natürlichem Sonnenlicht statt in beheizten Gewächshäusern gedeihen und weil sie problemlos verschifft werden können, ist ihre Klimabilanz insgesamt nicht viel schlechter als die von heimischem Obst.

Pestizide und Wassermangel

Häufig werden Südfrüchte in Monokulturen angebaut, worunter nicht nur die Artenvielfalt, sondern auch die Widerstandskraft der Landschaft und das Grundwasser leiden: Denn Schädlinge können sich bestens vermehren, werden mit Pestiziden bekämpft, die ins Grundwasser getragen werden. Bei einer Probe von Öko-Test 2018 bekamen nur fair gehandelte Bio-Bananen die Bestnote „Sehr gut“. Andere Sorten waren nachweisbar mit Pestiziden belastet. Zitrusfrüchte wie Orangen und Grapefruits hat das Lebensmittel- und Veterinärinstitut Oldenburg auf Pestizidbelastung getestet. Von den Sorten aus Bio-Anbau waren 16 von 17 rückstandsfrei, 80 Prozent der konventionellen Früchte hingegen belastet. Das ist eine schlechte Nachricht für die Menschen in den Anbauländern – und für uns, wenn wir die Früchte essen.

Auch der Wasserverbrauch spielt für die Bewertung der Nachhaltigkeit von Lebensmitteln eine große Rolle. Der Anbau etwa von Avocados mit künstlicher Bewässerung verstärkt den Wassermangel in Anbauländern, die ohnehin mit Wasserknappheit und Dürre zu kämpfen haben. Die künstliche Bewässerung können sich oft nur reiche Großplantagenbesitzer leisten, wodurch kleine Familienbetriebe zunehmend um ihre Existenz bangen. In Chile etwa ist Wasser Privatbesitz. Die Wasserrechte liegen in den Händen großer Avocado-Barone, während die Bevölkerung unter der extremen Trockenheit leidet und mancherorts mittlerweile auf Trinkwasser aus Tankwagen angewiesen ist.

Laut Waterfootprint.org haben Äpfel einen Wasserverbrauch von 125 Litern, bei Orangen sind es 560 Liter, bei Bananen 790 Liter, bei Mangos 1.800 Liter. Zum Vergleich der Blick auf andere Lebensmittel: Für Käse werden 3.000 Liter verbraucht, für Rindfleisch 15.000 Liter. Südfrüchte schneiden also etwas unterschiedlich ab. Milchprodukte und Fleisch liegen aber meist um das Mehrfache darüber.

Druck auf Bauern

Aufgrund ihrer Beliebtheit sind Bananen und Orangen wichtige Einkommensquelle für zahlreiche Kleinbauernfamilien in den Anbauländern. Diese werden jedoch mehr und mehr von Großplantagen verdrängt, für die außerdem riesige Flächen Land teilweise illegal abgeholzt werden. Die Bauern leiden unter dem Niedrigpreisdruck von Exporteuren, Importeuren und Supermärkten, da das Monopol in den Händen weniger großer Firmen liegt. Die Orangensaftfabriken etwa werden zu 75 Prozent von drei Großkonzernen kontrolliert. Diese drücken den Orangenpreis teilweise unter die Produktionskosten. Kleinbauernfamilien können diesem Druck nicht standhalten und verarmen. Durch den Klimawandel bedingte Naturkatastrophen wie Überschwemmungen bringen zusätzlich Ernteverlust und Qualitätseinbußen mit sich.

Gerade bei Südfrüchten und Orangensaft ist es daher sinnvoll, auf fair gehandelte Produkte zu achten. Für sie erhalten Kleinbetriebe nicht nur eine angemessene Bezahlung, auch die Arbeitsbedingungen sind besser und Kinderarbeit wird ausgeschlossen. Oftmals sind sie biologisch angebaut. Vor allem Bananen und Orangensaft werden vielfach auch aus fairem Handel angeboten.

Lisa-Maria Mehrkens ist freie Journalistin und Psychologin und lebt mit ihrer Familie in Chemnitz.

 

Crowdfarming direkt vom Baum

Orangen, Mangos, Grapefruits und Co. lassen sich auch direkt beim Bauernhof bestellen. Das sogenannte Crowdfarming unterstützt kleine Familienbetriebe in Ländern wie Spanien und Italien, manchmal auch in Deutschland. Das ist meist teurer als im Supermarkt, dafür sind viele Früchte biologisch angebaut und der unmittelbare Bezug zur Herkunft der Lebensmittel ist inklusive. Wer noch einen Schritt weitergehen möchte, kann hier auch einen Baum adoptieren und neben den Kosten für die Lieferung auch die Kosten für die Pflege vorab übernehmen. Dafür wird die gesamte Baumernte der Saison geliefert (crowdfarming.com).

 

7 Faustregeln

1. Unschlagbar: Unbehandeltes Obst aus dem eigenen Garten oder von wilden Hecken
2. Wenn es im Sommer und Herbst heimisches Obst gibt, auf Südfrüchte verzichten
3. Flugobst generell meiden
4. Südfrüchte aus dem nahen Ausland gegenüber denen aus Regenwaldgebieten bevorzugen
5. Es ist wirkungsvoller, Fleisch und Milchprodukte zu reduzieren als Südfrüchte
6. Wegen der Anbaubedingungen ist es bei Südfrüchten besonders sinnvoll, auf Fairtrade zu achten
7. Bio-Siegel sollten für Verzicht auf schädliche Dünger, Pestizide und Maßnahmen zum Artenschutz stehen, auch wenn das in anderen Ländern manchmal nicht so streng kontrolliert wird wie bei uns

Flohmarkt in der Nachbarschaft. Symbolbild: Getty Images / SolStock

Gelebte Nachbarschaft: So profitiert jeder von der Gemeinschaft

Gute Nachbarschaft ist eine echte Chance – nicht nur für Gemeinschaft, sondern auch für mehr Nachhaltigkeit. Wie so etwas gehen kann hat Lisa-Maria Mehrkens herausgefunden.

Angefangen hatte im Hamburger Quartier Nettelnburg alles mit der Idee von vier Nachbarinnen: Unter ihren Carports wollten sie zeitgleich Flohmarktstände aufbauen. Carolin Goydke verteilte Flyer in der Nachbarschaft und richtete zur Organisation eine WhatsApp-Gruppe ein. Ein überschaubarer Aufwand. Doch sie hatten den Enthusiasmus der Nachbarn unterschätzt: „Die Resonanz war riesig, viele wollten sich beteiligen und sogar das Wochenblatt wurde informiert“, erinnert sich Carolin ans erste Mal zurück. Schon beim ersten Flohmarkt waren dann über 50 Haushalte dabei – und schnell stand fest, dass neben dem seit Jahrzehnten etablierten Laternenfest mit Umzügen und Feuerwerk im September und dem Pflanzenmarkt auf dem Kirchplatz im Frühjahr nun auch der Flohmarkt regelmäßig in der Nachbarschaft stattfinden sollte. Abgesehen von den erfolgreichen Verkäufen blieben vor allem die Gemeinschaft und der Austausch miteinander positiv im Gedächtnis.

Zudem entwickelte sich die Chatgruppe zum Nachrichtenorgan der Siedlung. Und das war eine entscheidende Wende im nachbarschaftlichen Miteinander, denn irgendeine Plattform zur Kommunikation braucht es, damit Austausch entsteht. Sei es das Schwarze Brett im Vereinslokal oder Supermarkt, sei es eine Facebook-Seite oder eben eine Chatgruppe – entscheidend ist, dass Begegnungen und Ideen in welcher Form auch immer möglich werden. Als die Gruppe bei WhatsApp nicht mehr wachsen konnte, wechselte man in Hamburg zu Signal. Hinweise auf Blitzer, entlaufene Haustiere oder Fundsachen finden hier ebenso ihren Platz wie Fragen nach Ärzten und Handwerkern – und weiterhin werden hier auch alte Schätzchen verkauft und noch öfter verschenkt. Die kurzen Wege in der Nachbarschaft ermöglichen es, sich manches gute Stück auch erst einmal nur anzuschauen. Und nicht selten stehen in oder vor den Carports nun Zu-verschenken-Kisten.

ESSBARE FREUDE TEILEN

Eine Sonderform des Verschenkens ist das immer beliebter werdende Foodsharing, eine bundesweite Initiative gegen Lebensmittelverschwendung mit über 2.500 involvierten Betrieben. Können diese ihre noch genießbaren Lebensmittel nicht mehr alle verwerten und Institutionen wie die Tafeln haben keinen Bedarf, holen sogenannte „Foodsaver“ die Lebensmittel zu vorgegebenen Zeiten ab und verteilen sie – oft in der Nachbarschaft – weiter, bevor sie im Müll landen. Häufig werden auch sogenannte „Fairteiler“ eingerichtet: öffentlich zugängliche Schränke, zu denen jeder seine nicht mehr benötigten Lebensmittel bringen oder sich kostenlos etwas mitnehmen darf.

Paul ist Foodsaver in Chemnitz. Für ihn gehört das Teilen von Lebensmitteln und anderen Dingen als Ausdruck von Nächstenliebe zu einer guten Nachbarschaft dazu: „Eine ideale Gesellschaft handelt in meinen Augen sozial und ganz im Sinne von Foodsharing sollte Teilen eine Selbstverständlichkeit sein. Dabei denkt man nicht an sich, sondern an andere“, sagt Paul. Wer Lebensmittel in der eigenen Nachbarschaft weitergibt, reduziert nicht nur den CO2-Ausstoß, da weniger Lebensmittel, in die Energie und Ressourcen geflossen sind, weggeschmissen werden, sondern fördert oft auch Beziehungen und Begegnungen zwischen Menschen.

Ganz oft ist das der schöne Nebeneffekt von nachbarschaftlichem Engagement: Wer sich auf einer Ebene schon mal gesprochen hat, findet beim nächsten Mal noch schneller den Anknüpfungspunkt, um gemeinschaftlich zu handeln. Denn Vertrauen ist der Kitt, der uns in Gruppen zusammenhält.

Und Vertrauen ist auch nötig, wenn es darum geht, Dinge zu verleihen. Haushaltsgeräte, Werkzeug oder Party-Deko werden oft nur gelegentlich genutzt und sie auszuborgen statt zu kaufen, spart ebenso Geld wie Ressourcen. Im Leihladen KarLeiLa in Chemnitz hat man diesen Gedanken professionalisiert. Wer mitmachen will, zahlt eine monatliche Nutzungsgebühr von 36 Euro – und bringt selbst auch einen eigenen Gegenstand in den gemeinsamen Leihpool ein. „Damit wird das Verleihen eher zum Teilen, weg von der Dienstleistung hin zum solidarischen Handeln. Denn es geht um die gemeinschaftliche und sinnvolle Nutzung von Ressourcen“, erklärt die ehrenamtliche Mitarbeiterin Cindy Paukert. Bewusst hätten sie sich hier für einen Standort in einem chaotischen, bunten, diversen und sich dynamisch wandelnden Stadtteil mit allen Sozialschichten entschieden, da der Verleihladen etwas für alle Bevölkerungsgruppen sein soll. Die Teammitglieder des Ladens hätten teilweise selbst auf Reisen schon häufig unter einfachen Bedingungen gelebt und seien auf andere angewiesen gewesen. Gerade dieses Miteinander schätzt Cindy Paukert: „Ich finde, dass das Leben schöner ist, wenn man etwas zusammen tut, sich unterstützt, Dinge miteinander teilt, egal ob Gegenstand oder Not.“ Für sie hat der Leihladen auch etwas mit Gemeinschaft und Eigenverantwortung zu tun: „Wir wollen, dass Menschen den Laden mitgestalten und sind da sehr offen für Ideen. Und wir fördern auch die Verantwortung für den anderen und dafür, was er braucht. Wir wollen einen Begegnungsort, an dem man miteinander redet“, sagt sie. Gern sähe sie noch viel mehr von Anwohnern selbst verwaltete Verleih-Läden – am liebsten gleich mit Reparaturcafés, die Geräten eine längere Nutzungsdauer verschaffen.

REPARATUR MIT PLAUSCH

Die Idee der Reparaturcafés geht auf die Niederländerin Martine Postma zurück. Ihr Konzept hat sich seit 2010 weltweit etabliert. Sie sei es leid gewesen, dass so viele Produkte, die eigentlich nur etwas Pflege und Reparatur bedürfen, einfach weggeworfen und durch neue ersetzt werden, weil es einfacher und schneller sei. „Ich wollte Reparaturen wieder in unseren Alltag bringen“, beschreibt sie ihre Idee. Dafür musste Reparieren billiger und attraktiver als ein Neukauf werden. „So kam ich auf die Idee eines Reparaturcafés: aus Reparieren ein Event machen, einen tollen Ort, an dem Ehrenamtliche dir gegen eine freiwillige Spende deine kaputten Sachen reparieren oder dich selbst dazu anleiten, wo du einen netten Plausch mit deinem Nachbarn oder eine Tasse Kaffee genießen kannst.“ Wer ein solches Reparaturcafé ins Leben rufen will, findet mittlerweile in einem Starter Kit in fünf verschiedenen Sprachen Anregungen zum Loslegen.

Für Martine Postma sind Reparaturfähigkeiten auch für eine gute Nachbarschaft hilfreich: „Sie helfen, miteinander Probleme zu lösen. Eine ideale Nachbarschaft ist eine resiliente Nachbarschaft, die Reparaturkünste und die Menschen, die diese haben, gleichermaßen schätzt“, sagt sie. Gleichzeitig würden Reparaturcafés Nächstenliebe fördern. „Dort kann man Hilfe von einem Freiwilligen bekommen, den man auf der Straße nie wahrgenommen hat. Dadurch sieht man diese Person in einem neuen Licht, nämlich als wertvollen Menschen mit wertvollem Wissen. Das nächste Mal, wenn man ihn oder sie auf der Straße trifft, sagt man Hallo und fragt, wie es ihm oder ihr geht.“

ONLINE VERNETZEN

Mittlerweile gibt es im Internet zahlreiche Foren, die verschiedene Aspekte einer sozialen Nachbarschaft miteinander verbinden. Die wohl größte und bekannteste Plattform ist nebenan.de. „Wir bringen Menschen zusammen, die in der gleichen Nachbarschaft leben und sich trotzdem oft gar nicht kennen“, erzählt Ina Remmers, eine der Mitgründerinnen. „Die Plattform ist ein Werkzeug, um Einsamkeit und Anonymität abzubauen und die lokale Gemeinschaft zu stärken.“ Über sie können Menschen sich für gemeinsame Unternehmungen verabreden, Initiative für ihr Viertel ergreifen oder sich gegenseitig Tipps und Hilfe geben. „In einer idealen Nachbarschaft treffen sich ganz unterschiedliche Menschen. Durch kleine Alltagsbegegnungen und gegenseitige Hilfe werden Vorurteile abgebaut und das Vertrauen ineinander gestärkt, was sich positiv auf das Gefühl auswirkt, sich in der eigenen Nachbarschaft zu Hause zu fühlen“, sagt Ina und hat in ihrer Arbeit schon zahllose Erfahrungen gehört, wo genau das gelungen ist. „Eine meiner Lieblingsgeschichten ist die von Ulla und Edgar aus Koblenz“, erzählt sie „Im Rahmen unserer jährlichen Aktion ‚Weihnachten nebenan‘ hat Ulla ihre Nachbarinnen und Nachbarn über nebenan.de zum gemeinsamen Weihnachtsessen eingeladen. Mit am Tisch saß Edgar, 75 Jahre alt und verwitwet: Dies wäre sein drittes Weihnachten alleine in Folge gewesen – wäre da nicht Ullas Einladung gekommen.“

Ob solche schönen Geschichten geschehen und wie wohl wir uns in unserer Nachbarschaft fühlen, haben wir nicht immer vollkommen in der Hand. Aber wir können es mitbeeinflussen, indem wir auf Menschen zugehen, um Hilfe bitten, Unterstützung anbieten und danach fragen, was im eigenen Viertel gebraucht wird.

Gerade in einer unübersichtlichen Weltlage wie heute gewinnt das Lokale wieder stärker an Bedeutung: Wenn die Welt bedrohlich wirkt, ist es beruhigend, wenn das direkte Umfeld vertraut und wohlgesonnen ist. Eine gute Nachbarschaft sei als soziale Säule der Gesellschaft vor allem in Krisenzeiten wichtig, findet auch Ina Remmers: „Sei es die Restaurantbesitzerin um die Ecke, die uns mit Vornamen begrüßt, der Nachbar, der den Ersatzschlüssel der Wohnung hütet, oder die Nachbarschaftsgruppe, mit der wir gemeinsam den Stadtgarten pflegen – Nachbarschaften können in einer immer undurchsichtigeren und sich schnell verändernden Welt das Gefühl von Zugehörigkeit geben.“

GESELLSCHAFT IM KLEINEN

Es scheint, als sei die Sehnsucht nach Gemeinschaft und Verbindung zu anderen in unserer von Individualität geprägten Gesellschaft heute größer denn je. Cindy Paukert vom Verleihladen sagt, sie beobachte, dass mit zunehmender finanzieller Unabhängigkeit auch die Einsamkeit von Menschen steige. Für sie herrscht in einer idealen Nachbarschaft die perfekte Mischung aus Individualität und Kollektivität: „Eine gute Nachbarschaft ist ein Ort, der Bedürfnisse eines Individuums erfüllt, aber ihm trotzdem Raum lässt. Man schaut auch hin, was uns als Gemeinschaft guttut und was wir tun können, um das Leben zusammen schöner zu machen. Man sollte sich menschlich begegnen und unterstützen, wo es möglich ist“, meint sie. Martine Postma glaubt, dass das eigene Wohnumfeld und das große Ganze sich beeinflussen: „Nachbarschaften sind unsere Gesellschaft im Kleinen. Wenn die Nachbarschaften nicht gut funktionieren, funktioniert auch die Gesellschaft als Ganzes nicht gut“, glaubt sie. Umgekehrt sei eine Nachbarschaft, in der man sich sicher und geschätzt fühlt ein Ort, an dem man etwas Gutes beitragen möchte: „Starke Gemeinschaften sind meiner Meinung nach entscheidend für eine nachhaltige Zukunft.“

Lisa-Maria Mehrkens ist Psychologin und freie Journalistin.

Willi Weitzel unterwegs mit dem Esel. Foto: Privat

„Manchmal fällt es mir schwer, optimistisch in die Zukunft zu schauen“

Der Moderator Willi Weitzel stellt nicht nur kluge Kinderfragen, sondern ist auch neugierig. Im Interview verrät er, was ihn bewegt und was ihm Hoffnung gibt.

Manchmal hat Willi Weitzel ein schlechtes Gewissen. So wie jetzt, als ein Cappuccino mit Kuhmilch vor ihm steht: Der Kaffee ist zwar bio, aber leider war die Hafermilch alle. Dabei ist ihm Nachhaltigkeit wichtig. Für viele ist Willi Weitzel, 49, immer noch der Moderator der Fernsehsendung „Willi wills wissen“, der von 2002 bis 2009 Familien die Welt erklärte. Neugierig, fröhlich, mit großen Augen. Auf der Höhe seines Erfolgs stieg er aus der Sendung aus und begab sich auf die Suche danach, wer er jenseits seiner Sendung eigentlich ist und sein möchte. Fragen stellen, reisen, die Welt erforschen und verrückte Ideen ausprobieren – das tut Willi Weitzel immer noch, als Reporter, Moderator, in seinen Vorträgen und Filmen. Aber sein Ton ist nachdenklicher geworden.

Nachhaltigkeit ist für dich ein wichtiges Thema. Du hast drei Töchter – wie lebt ihr das Thema als Familie?

Im Vergleich zu vor zehn Jahren hat sich schon viel getan. Bei uns gibt es zu Hause zum Beispiel keinen Fisch mehr aus dem Meer. Wenn, dann aus dem Ammersee, wo wir wohnen, oder aus geschützten Beständen. Ich lebe zu 90 Prozent vegetarisch, manchmal sind es auch hundert. Ich kann allerdings nicht immer auf Fleisch verzichten. Und ich weiß auch, woran das liegt: Weil wir viel von unserem Geschmack mit der Kindheit verbinden. Deswegen ist es auch mein Ziel, meinen Kindern Dinge auf den Tisch zu bringen, über die sie vielleicht in dreißig Jahren sagen: „Ach toll, heute gibt es wieder Falafelbällchen, wie früher beim Papa!“

Das klingt gut! Wie sieht es mit Wohnen und Mobilität aus?

Wir wohnen als Familie auf dem Land und beziehen hier Naturstrom. Leider haben wir es bisher als Mieter noch nicht geschafft, eine Solaranlage aufs Dach zu bekommen. Aber wir haben seit zwei Jahren ein Elektroauto. Das nutzen wir eigentlich nur, um von Dorf zu Dorf zu kommen und für den Kindertransport. Aber inzwischen sind 25.000 Kilometer drauf und ich bin dankbar, dass diese nicht in die Luft verpufft sind. Es ist nicht die Lösung aller Lösungen, aber etwas, das ich tun kann. Insgesamt ist es nicht so leicht, in den Medien das gute Vorbild zu erklären und das dann auch im Alltag zu leben. Manchmal denke ich auch: „Hoffentlich guckt jetzt keiner rein“, wenn ich mir noch eine Scheibe Wurst abschneide.

In deinen Filmen und Reportagen geht es neben Klimawandel oft auch um schwierige Themen wie Krieg, Flucht, Ausbeutung. Wie gelingt es dir, trotzdem eine gewisse Leichtigkeit zu behalten?

Ehrlich gesagt: Persönlich gelingt mir dieser Spannungsbogen nicht immer so gut. Manchmal fällt es mir schon schwer, optimistisch in die Zukunft zu schauen. Zum Beispiel war ich für meinen Kinofilm „Willi und die Wunderkröte“ mit dem Wissenschaftler Martin Jansen vom Senckenberg-Forschungsinstitut im Süden Boliviens unterwegs. Dort habe ich wirklich ein Natur-Paradies entdeckt. Die vielen Bäume dort wurden inzwischen abgeholzt. Ein Rinderbaron wollte einfach noch mehr haben – schreckliche Realität. In solchen Momenten hilft mir
nur noch mein Optimismus. Ich wohne nicht weit vom Kloster Andechs. Der dortige Abt, Johannes Eckert, hat sein neuestes Buch über die Apokalypse geschrieben und die Quintessenz hat mich getröstet. Seiner Meinung nach ist es, wenn du Christ bist, nicht fünf nach zwölf. Es bleibt fünf vor zwölf. Daran orientiere ich mich. Weil ich ein Vorbild – auch für meine eigenen  Kinder – bin, versuche ich, einfach zu machen und mich nicht zu Tode zu grübeln.

Vor 13 Jahren, mit 36, hast du dir eine Auszeit bei „Willi wills wissen“ erbeten, weil du eine Pause brauchtest. Du bist damals einfach allein über die Alpen gewandert, vier Wochen lang. Wie war das?

Es war damals unglaublich befreiend, selbstbestimmt den Takt vorzugeben und aus der Maschinerie der Sendung herauszukommen. Es war ein Weggehen und Ankommen. Mit meinem Erfolg bei „Willi wills wissen“ hatte ich auch eine gewisse Eitelkeit entwickelt. Aber allein mit dem Rucksack, im Zelt, auf Hütten – das hat mich total geerdet und mich unglaublich glücklich gemacht. Die Welt unten im Tal und die Probleme waren oben auf dem Berg so klein. Und ich war dem Himmel näher als der Realität. In dieser Situation habe ich die Entscheidung getroffen, mit „Willi wills wissen“ aufzuhören. Für diesen Entschluss bin ich bis heute dankbar – und bereue ihn zugleich.

Du bist anschließend für einige Tage in ein Benediktiner-Kloster gegangen. Was hast du dir davon erhofft?

Ich glaube, ich wollte mir nochmal diesen Himmel, den ich in den Bergen erfahren hatte, in meine Nähe holen. Im Kloster konnte ich – abseits aller Alltagseinflüsse – mein Leben neu sortieren und die Weichen neu stellen, sowohl beruflich als auch privat. Aber eigentlich ging es nur um das Gewinnen, oder vielleicht auch Zurückgewinnen einer inneren Haltung. Wer bin
ich? Was will ich? Die Frage taucht ja nicht nur in meinem Leben auf. Streben wir nicht alle nach Zufriedenheit? Antworten und Wegbeschreibungen zu echter Zufriedenheit finden wir nur in uns selbst – und nicht in Büchern oder dem Internet.

Du warst früher Messdiener und Sternsinger, kamst dann zum Theologiestudium nach München. Den christlichen Glauben hast du mal als Wurzel bezeichnet. Warum lässt er dich nicht los?

Diese Wurzeln sind unglaublich stark, das merke ich. Obwohl ich es im Moment sehr schwierig finde. Ich bin den Katholiken ja schon seit 49 Jahren treu. Seit zwanzig Jahren heißt es:  „Wenn wir alle austreten würden, können wir nichts von innen heraus verändern.“ Leider ändert sich aber auch so nichts. Nun fangen die Ersten in leitenden Positionen an auszutreten und ich selbst hadere auch. Vor allem mit der katholischen Kirche aber auch mit meinem Glauben. Und trotzdem sind da diese Wurzeln, die schon früh in der Kindheit angelegt worden sind. Ich rieche den Weihrauch, höre das Te Deum – das schafft eine Gänsehaut und eine Anbindung. Die Frage ist: Werden die Wurzeln mich davon abhalten, mich weiterzuentwickeln? Oder geben sie mir vielleicht die Anbindung, die mich auch durch die gegenwärtigen Zeiten bringt? Es wird mich wahrscheinlich bis zum Lebensende so zwiespältig begleiten.

Du bist mit einem Esel 180 Kilometer von Nazareth nach Bethlehem gewandert. Wie kam es dazu?

Ich hatte in der Weihnachtszeit meiner damals fünfjährigen Tochter die Weihnachtsgeschichte vorgelesen. Auf ihre Frage, wie lange Maria und Josef dafür unterwegs gewesen waren, dachte ich, dass es doch eigentlich meine Aufgabe ist, solche Kinderfragen zu beantworten. Mein neues Projekt: zu Fuß von Nazareth nach Bethlehem, begleitet von einem Esel. Vor Ort fand ich nach zwei Tagen einen Esel, mit dem ich bis zum Westjordanland kam. Allerdings durfte er nicht mit über die Grenze, weil es auch schon bombenbeladene Esel gegeben hatte. Ich konnte mir dort einen anderen Esel kaufen, der mich bis in die Nähe von Jericho brachte. Leider ist er zwei Tagesetappen vor Bethlehem nachts abgehauen. Für das letzte Stück habe ich einen Beduinen gefunden, der mir seinen Esel zwar nicht verkaufen konnte, mich aber zwei Tage lang mit ihm begleitet hat. Nach zwölf Tagen hatte ich es endlich geschafft.

Das klingt wirklich abenteuerlich …

Was jetzt als fluffige Geschichte daherkommt, war vor allem eins: anstrengend. Ein Heidenrespekt, wenn Maria das hochschwanger gemacht haben soll! In der öden, heißen Wüste hatte ich das Gefühl nicht voranzukommen, denn alles sah gleich aus. So ging es auch meinem beduinischen Begleiter, der zehn Kilometer vor Bethlehem sagte, er kann nicht mehr, jetzt drehen wir um. Er hat nicht verstanden, warum ich bis nach Bethlehem wollte und sich geweigert. Ich sagte ihm, es sei ein heiliger Weg. Er fragte: „Like Hadj?“ (Also die berühmte Pilgerreise der Muslime). Ich sagte: „Ja!“ Er ging sofort und kommentarlos weiter bis nach Betlehem.

In welchen Momenten hast du den Glauben sonst besonders stark erlebt?

Vor einigen Jahren war ich mit meinem besten Freund in Jerusalem. Ich wusste, wenn morgens um fünf Uhr die Grabeskirche aufgeschlossen wird, ist noch niemand da. Wir standen also vor dem Grab und auf einmal guckte ein Mönch aus der Grabkammer heraus und lud uns ein, mit ihm zusammen Gottesdienst zu feiern. Das taten wir, übermüdet wie wir waren. Ich habe die Lesung gemacht und er hat uns Wein und Brot gegeben. Wir waren unglaublich bewegt und hatten danach sogar feuchte Augen, weil wir noch nie zuvor eine so intensive Glaubenserfahrung gemacht hatten.

Interview: Debora Kuder

Global Food Garden - eine Anlage zum Gemüseanbau. Foto: Daniel Johansson

Startup gegen den Hunger: Eine innovative Methode zum Gemüseanbau

Immer mehr Menschen hungern. Der Klimawandel verschärft das Problem noch weiter. Daniel Johansson und David Rösch haben mit „Global Food Garden“ neue Anbaumethoden für wasserarme Regionen entwickelt. Ein Lichtblick.

Es ist sonnig, als ich mich auf mein Fahrrad schwinge, um den „Global Food Garden“ zu besichtigen. Während ich durch Freiburg fahre, genieße ich die Gegend. Uns umgibt hier viel Grün. Wasser und fruchtbarer Boden ermöglichen eine hohe Lebensqualität. Ich muss daran denken, wie anders es in den Gebieten aussieht, für die der „Global Food Garden“ sich einsetzt. Regionen, in denen kaum etwas wächst und Dürreperioden es den Menschen schwer machen, sich ihre Lebensgrundlage zu erarbeiten.

Angekommen auf dem Freiburger Gelände fällt zuerst die große Hydroponik-Anlage aus leuchtend gelben Balken auf. Hinter großen Fensterscheiben sprießen zahlreiche Salatköpfe aus einer weißen Wand. Ich werde bald erfahren, dass diese Form des Gemüseanbaus der Anfang war von allem.

Wasser zielgenau nutzen 

Der gelernte Schiffsingenieur Daniel Johansson hörte von einem Kollegen davon. Aufgewachsen auf einem Schiff der christlichen Organisation OM hatte Daniel selbst mehrere Jahre auf einem solchen Schiff gearbeitet, bevor er 2010 mit seiner Familie in die deutsche OM-Zentrale nach Mosbach im Odenwald kam. Hier erfuhr er, dass sich mit dieser Methode Gemüse in Regionen anbauen lässt, in denen das mit herkömmlichen Herangehensweisen nicht oder kaum möglich ist.

In einem solchen hydroponischen System wachsen Pflanzen nicht in Erde, sondern in mit Nährstoffen angereichertem Wasser, was – so wie hier – auch einen vertikalen Anbau ermöglicht. Eine solche Anlage benötigt aber nicht nur weniger Raum, sondern vor allem bis zu 90 Prozent weniger Wasser als Äcker, da das Wasser zirkuliert oder zielgenau bereitgestellt wird, nicht aber versickert.

Die Vorstellung, mit solchen Systemen eine mögliche Antwort auf den Hunger in der Welt und die zunehmenden klimatischen Herausforderungen zu haben, ließ den heute 43-Jährigen nicht mehr los. „Mir ist es wichtig, einen guten Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen“, sagt er in unserem Gespräch. „Oft sind wir Christen schnell im Dagegen-sein, dabei wäre es doch viel besser zu sagen: Wir haben hier einen positiven Beitrag und eine Antwort.“

2018 kam er mit einem anderen Visionär ins Gespräch: David Rösch. Er träumte von einer Ausbildungsstätte, die junge, geflüchtete Männer für einen Ausbildungsplatz vorbereitet und ihnen damit eine berufliche Perspektive in Deutschland gibt.

Aus dem Gespräch wuchs eine Kooperation mit Zukunftsperspektive. David Röschs Projekt [p3]-Werkstatt hatte die nötigen Ressourcen für den Bau erster Hydroponik-Anlagen, während Daniel Johansson über Kontakte ins Ausland verfügte, um Gemüseanbau-Projekte zu starten und Menschen im Bereich der Hydroponik zu schulen. Genau genommen sind es also sogar zwei Projekte, die ich hier besichtigen darf.

Innovative Möbelstücke

Als wir die Halle von [p3] betreten, herrscht eine ruhige aber gesellige Atmosphäre. Es duftet nach frischem Holz. Moderne Möbelstücke sind zu sehen. Dass hier Wert auf Qualität und Design gelegt wird, fällt auf. An der Wand wachsen Zimmerpflanzen in einem langen Rohr – ebenfalls eine Hydroponik-Anlage, wie ich später erfahre. Mittlerweile sind schon in mehreren Freiburger Restaurants Anlagen dieser Art zu bestaunen.

In drei Werkstätten für Holz, Elektrik und Metall werden hier Schüler unterrichtet. Einige arbeiten gerade hochkonzentriert an Holzaufbauten für Fahrräder, die diese zu einer mobilen Küche oder einem fahrbaren Infostand machen. Seit 2019 werden hier auch Hydroponik-Anlagen entwickelt, gebaut und vertrieben. Ohne große Werbung kommen immer wieder Anfragen von Schulen, Restaurants und Firmen, die Pflanzen auf diese Weise anbauen wollen. Auch nach den hydroponischen Möbelstücken, aus denen Kräuter oder Zimmerpflanzen wachsen, herrscht rege Nachfrage. Innovative, nachhaltige Produkte, geeint mit einem starken Fokus auf das Soziale, kennzeichnet die [p3]-Werkstatt und macht sie damit zum perfekten Partner für Daniels “Global Food Garden”.

Mittlerweile wohnt Daniel mit seiner Familie im Schweizerischen Oberdorf im Baselland und hat zahlreiche Projekte mitgeholfen umzusetzen – mit hydroponischen oder anderen Anlagen, die Gemüseanbau in trockenen Regionen ermöglichen. In Kenia beispielsweise entstanden aus einfachsten Mitteln sogenannte „Wicking Beds”. Unter diesen Hochbeeten zirkuliert Wasser unter einem Erde-Mist-Gemisch. Überschüssiges Wasser läuft zurück und wird erneut ins Beet gepumpt. Sie wurden zur lokalen Attraktion, als es darin selbst in der Trockenzeit grünte und blühte.

Auch in einem abgelegenen Küstendorf in Grönland ist der „Global Food Garden“ aktiv. Normalerweise wird frisches Gemüse hier ausschließlich aus dem Ausland angeliefert. Nun soll bald mit einer Indoor-Farming-Anlage Gemüse vor Ort produziert werden, sodass lange Transportwege entfallen und nebenbei Arbeitsplätze entstehen. Eine Pilotanlage ist gebaut und wird aktuell noch getestet.

Während der Corona-Pandemie wurde deutlich, dass neben den großen Anlagen, die im Bau und der Vorbereitung sehr abhängig von der Begleitung des “Global Food Gardens” sind, noch einfachere und möglichst unabhängige Lösungen hilfreich wären. Also reduzierte man die nötige Technik auf ein Minimum, sodass sie nun in eine Kiste passt. Mithilfe einer kleinen Solaranlage mit Akku wird hier die Pumpe eines hydroponischen Systems betrieben, das eine Nährlösung in den Pflanzbereich pumpt, wo die Wurzeln sie aufnehmen können, bevor überschüssiges Wasser zurück in den Wasserspeicher fließt. Rund 400 Euro kostet eine solche „Africa Food Garden Box“, die etwa 400 Gemüsepflanzen bewässern kann und so eine Familie mit Nahrung und einem kleinen Einkommen versorgt.

Bei einem Projekt in Nigeria hat sich jedoch gezeigt, dass es mit innovativen Anbaumethoden allein noch nicht getan ist. Es stellen sich auch Fragen nach geeigneter Lagerung, Transport und Verkauf des Gemüses, damit dieses tatsächlich auch seinen Weg zu den Menschen findet. Deshalb muss der „Global Food Garden“ ein Netzwerk mit einer Vielzahl an Akteuren sein.

Ausbildungszentren überall

Als Daniel vor ein paar Jahren überlegte, wie ein Vision Statement für sein Leben aussehen würde, wurde ihm klar: „Wenn ich am Ende alles aus eigener Kraft erreicht habe, dann habe ich zu wenig groß geträumt oder geglaubt.“ Ihm ist wichtig, das, was er angeht, mit Gottvertrauen zu tun: „Ich möchte erleben, wovon die Bibel spricht, nämlich dass wir noch Größeres als Jesus vollbringen dürfen.“ Für seine Arbeit mit dem „Global Food Garden“ hat er dabei ein biblisches Vorbild: Josef aus dem Alten Testament, der mit Gottes Hilfe und der Fähigkeit und Weisheit, die er ihm anvertraute, das ganze Land mit Nahrung versorgte.

So sehr Daniel Teamplayer ist und innovative Ideen hat – die Entwicklung von Geschäftsideen und Business-Entwicklung waren ihm bislang fremd. Doch nach und nach und nicht ohne Zweifel und Rückschläge fuchste er sich in die Sache hinein: „Wenn man sich gebrauchen lässt, gehen Türen auf“, ist er überzeugt – und: „Wenn ich das kann, dann können das auch andere.“ Er träumt von Ausbildungszentren überall auf der Welt, in denen Modellprojekte der verschiedenen Systeme gezeigt und gelehrt werden, damit für jede Region das passende System vermittelt werden kann.

Zahlreiche Qualifikationen und Berufsfelder schweben ihm vor: Vom Gemüseanbau und der Fischzucht über den Bau und Betrieb von Gewächshaussystemen bis zur Saatgutherstellung oder Lebensmittelveredelung wäre vieles denkbar. Auch hier befruchten sich die beiden Projekte wieder. „Eigentlich haben wir hier in Freiburg mit der [p3]-Werkstatt schon so ein Ausbildungszentrum im Kleinformat“, sagt Daniel. Die Ausbildungserfahrung, die [p3] bei der Arbeit mit Geflüchteten sammelt, die teilweise wenig oder keine Schulbildung haben, ist hilfreich für Projekte in Ländern mit geringem Bildungsstand.

Dorothee Bühler de Arcos ist Lehrerin in Freiburg. Mehr zum Global Food Garden: globalfoodgarden.de
Mehr zum Projekt [p3]: p3-werkstatt.de

Schokoladenweihnachtsmann. Symbolbild: Getty Images / AND-ONE / iStock / Getty Images Plus

Schokoweihnachtsmänner: Der harte Kampf um die Bohne

Der süße Vollmilch-Weihnachtsmann bekommt einen bitteren Beigeschmack, wenn man bedenkt, unter welchen Bedingungen die Schokobohnen angebaut werden. Marie Gundlach berichtet, wie fairer Handel den Kakaobauern hilft.

Zartschmelzende Vollmilchschokolade – sie ist die Lieblingssorte der Deutschen. Bei einer Umfrage der Süßwarenindustrie zählte fast die Hälfte der Befragten sie zu ihren Favoriten. In der Hitliste folgen Nougat, Zartbitter und weiße Schokolade – und wir langen hierzulande gerne zu: Neunzig Tafeln verspeisen wir alle im Schnitt pro Jahr.

SCHON VOR 5000 JAHREN LECKER

Die wichtigste Zutat für eine gute Schokolade: der Kakao. Ursprünglich stammt die Pflanze aus Südamerika. In Ecuador fand man auf Keramikgefäßen aus Grabbeigaben 5300 Jahre alte Kakaorückstände. Die Bohnen wurden dort nicht nur zum Getränk verarbeitet, sondern auch wie Münzen verwendet. Heute wachsen Kakaopflanzen rund um den Äquator und die Bohnen für den weltweiten Schokoladenkonsum stammen überwiegend aus Westafrika.

Ihre Ernte ist nach wie vor Handarbeit: Die reifen Früchte müssen einzeln mit Messer oder Machete vom Baum geschlagen werden. Anschließend werden sie gespalten, die Bohnen mit ihrem weißen Fruchtfleisch herausgeschabt und ausgebreitet. Sie gären, werden braun und entwickeln dabei ihr Aroma.

Meist werden sie dann getrocknet und in Jutesäcken exportiert.

GENUSS MIT BITTERER NOTE

Obwohl in Ghana und an der Elfenbeinküste rund zwei Drittel des weltweiten Kakaos geerntet werden, leben die Kleinbauernfamilien überwiegend in Armut. Grund dafür ist vor allem die Struktur des Kakaoanbaus. Die Kleinbauern mit überschaubarem Landbesitz sind in einer schwachen Verhandlungsposition gegenüber den Großkonzernen aus Amerika und Europa. Die globalen Player diktieren den Kakaopreis – wer nicht mitzieht, bleibt auf seiner Ernte sitzen.

Auch sonst ist der Schokogenuss erheblich getrübt: Obwohl die Situation seit Langem bekannt ist, arbeiten noch immer rund 1,5 Millionen Kinder unter ausbeuterischen Bedingungen auf Kakaoplantagen in Westafrika, wie Zahlen der Universität Chicago belegen. Den Kindern wird dadurch nicht nur die Schulbildung und damit die Aussicht auf eine bessere Zukunft verwehrt, oftmals hantieren sie beispielsweise mit Macheten oder Pestiziden oder müssen schwere Lasten tragen. Das US-amerikanische Büro für internationale Arbeitsangelegenheiten stuft die Kakaoernte als eine der schlimmsten Arten von Kinderarbeit ein. Immer wieder werden Kinder hier auch Opfer von Menschenhändlern. Offiziell gehen die Regierungen in den Ländern zwar gegen diese Praktiken vor, in der Realität bleibt die Kinderarbeit aber oft ohne Folgen für die Verantwortlichen.

Neben den sozialen Aspekten leidet auch die Umwelt erheblich unter dem hohen Kakaokonsum der Weltbevölkerung. 1980 umfasste die jährliche Ernte noch 1,6 Millionen Tonnen, inzwischen hat sich diese Zahl mehr als verdreifacht. Das bedeutet auch: Es braucht mehr Fläche für den Anbau. Dafür müssen vor allem Wälder weichen: In den Jahren 2001 bis 2014 hat Ghana etwa zehn Prozent seiner Waldfläche an die Landwirtschaft verloren – einen großen Teil davon für Kakao-Plantagen.

FAIRTRADE WÄCHST ERFREULICH

Andererseits geht es auf dem Schokoladenmarkt auch in eine erfreulich gute Richtung: Der Anteil von fair gehandeltem Kakao wächst jährlich und hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdreifacht. Gerade erst hat beispielsweise die belgische Marke Guylian den Kakao für ihre Pralinen in Form von Meeresfrüchten Fairtrade-zertifizieren lassen. Zwar ist bei 16 Prozent Marktanteil, den fair gehandelte Kakaobohnen auf dem Weltmarkt einnehmen, immer noch viel Luft nach oben, aber das Bewusstsein der Schokofans wächst und immer neue faire Sorten mit hippem Image und Design mischen den Markt auf.

Nelson Cruz ist Landwirt im westafrikanischen Inselstaat São Tomé, einem der ärmsten Länder weltweit. Auf seinem Feld baut er Kakaofrüchte an, die er als Mitglied einer Genossenschaft und zu Bedingungen des fairen Handels vermarktet. „Der Faire Handel hat das Leben der Menschen hier sehr verändert“, sagt Nelson Cruz. Früher war der Kakao-Anbau auf São Tomé verstaatlicht. Deshalb waren viele Menschen nur Feldarbeiter. Seit der Landreform vor rund dreißig Jahren sind sie nun Kleinbauern mit eigenem Landbesitz. Auf São Tomé haben sie sich 2009 zur CECAQ-11-Genossenschaft zusammengetan, um durch den Fairen Handel bessere Preise zu erzielen.

PERSPEKTIVE AUF BESSERUNG

„Wenn der faire Handel kommt, wandelt sich die Welt natürlich nicht gleich von schwarz in rosa. Die Lebensumstände sind noch sehr schwierig. Aber es gibt jetzt Perspektiven, dass es besser wird“, sagt Stephan Beck, Kakao-Experte der fairen Handelsorganisation GEPA. Seit 2010 arbeitet GEPA mit der Genossenschaft zusammen und hat sie auch bei Qualitätssteigerung und der Bio-Zertifizierung unterstützt: Auf Chemikalien wird verzichtet, die Wasser-Qualität wurde verbessert, Bäume wurden für eine bessere Ernte beschnitten und die Plantage durch neue Anpflanzungen verjüngt.

Für Nelson Cruz und seine über tausend Mitstreitenden in der Genossenschaft hat sich der Kakaopreis wesentlich verbessert, es wird mehr produziert und ohne Chemikalien fallen im Bio-Anbau gesundheitliche Probleme weg. Außerdem werden hier auf São Tomé die Bohnen gleich zu Bio-Trockenkakao weiterverarbeitet, was zu einem nochmals höheren Erlös führt. Der ermöglicht Bauern und Bäuerinnen all das, was für uns selbstverständlich ist: Sie können ihre Kinder zur Schule schicken, bekommen medizinische Versorgung und haben die Chance, Geld zurückzulegen.

SIEGEL: BEGLAUBIGTE FAIRNESS

Die positiven Beispiele des fairen Handels verdecken jedoch nicht das Unrecht, das weiterhin im Schokoladenhandel herrscht. Pro Euro, den eine Schokoladentafel bei uns kostet, erhalten die Erzeugerfamilien gerade einmal sechs Cent, wie das INKOTA-netzwerk vorrechnet. Der Verein setzt sich mit seiner Kampagne „Make chocolate fair!“ für ein menschenwürdiges Einkommen im Kakaohandel ein. Aus gutem Grund: Allein die fünf Konzerne Mars, Mondelēz, Nestlé, Ferrero und Hershey’s kontrollieren zusammen rund 60 Prozent des globalen Schokoladenmarktes. Auf der anderen Seite lebt die Mehrheit der 5,5 Millionen Kakaobäuerinnen und -bauern mit umgerechnet 191 US-Dollar durchschnittlichem Jahreseinkommen unterhalb der Armutsgrenze.

Selbst die Preise, die durch Fairhandels-Siegel zugesichert werden, reichten häufig nicht für ein menschenwürdiges Einkommen, kritisiert INKOTA. Dabei sollen sie eigentlich genau dafür stehen.

Damit ich als Verbraucherin besser beurteilen kann, wie die Tafel produziert wurde, verleihen unabhängige Organisationen Zertifikate für bestimmte Kriterien. Soziale Siegel zertifizieren bestimmte Arbeitsbedingungen, ökologische Siegel belegen einen umweltschonenden Anbau und Klima-Siegel stehen etwa für weniger Emissionen bei Transport und Verpackung. Kein Siegel kann alle Bereiche abdecken und so ist es nur logisch, dass viele Schokoladenproduzenten auf eine Kombination aus verschiedenen Siegeln setzen.

BREITERE VERFÜGBARKEIT

Zu den bekanntesten Zertifikaten zählt das Fairtrade-Siegel. Bei den stark schwankenden Weltmarktpreisen garantiert es einen Mindestpreis pro Tonne Kakao. Außerdem gibt es Prämien für Projekte in den Anbauländern und für die Produzenten direkt. Im Gegenzug müssen die Bauern und Bäuerinnen arbeitsrechtliche und ökologische Standards einhalten. Auch wenn die Höhe der Mindestpreise in der Kritik steht, spricht für dieses Siegel ein großes Plus: Mit vielen Produkten in Supermärkten und Discountern hat es ein breites Bewusstsein für das Anliegen des fairen Handels geschaffen und Produkte auf breiter Basis verfügbar gemacht.

Während es vor allem Erzeugnisse von Kleinbauernfamilien zertifiziert, können das Siegel der Rainforest Alliance (zu der nun auch UTZ gehört) auch große Plantagen erlangen. Es verspricht keinen Mindestpreis pro Tonne, sondern setzt vor allem auf Fortbildung in den Erzeugerländern, um Qualitätsverbesserung und dadurch ein höheres Einkommen zu erzielen. Ohne Mindestpreise garantiert dieses Siegel den Bauern und Bäuerinnen aber keinerlei Absicherung, wenn der Weltmarktpreis fällt. Aufgrund der laxeren Kriterien wird dem Siegel Greenwashing vorgeworfen. Es mag besser sein als gar nichts, ist aber schon dem Fairtrade-Siegel deutlich unterlegen

HÖHERE STANDARDS

Noch anspruchsvoller ist die GEPA, die aus dem Anliegen eines fairen Handels gegründet wurde und zu deren Unternehmensphilosophie weitaus höhere Standards als beim Fairtrade-Siegel gehören. Sie steht für enge Beziehungen zu ihren Partnern und Partnerinnen im Globalen Süden. Gerade erst hat sie ihren Mindestpreis erhöht und im vergangenen Jahr 52,5 Prozent über dem durchschnittlichen Weltmarktpreis bezahlt. Aber auch junge Marken wie Tony’s Chocolonely oder Nucao setzen bewusst auf die Nachhaltigkeit ihrer Produkte. Das Start-Up Fairafric hat einen ganz eigenen Ansatz gewählt: Während andere Firmen den Kakao importieren und in Europa weiterverarbeiten, produziert Fairafric seine Bio-Schokolade komplett in Ghana. Dadurch bleibt mehr Wertschöpfung im Land und Arbeitsplätze werden geschaffen.

Neben den Siegeln betreiben einige Schokoladenproduzenten auch eigene Initiativen. Ritter Sport etwa hat in Nicaragua eine eigene Plantage aufgebaut, um direkten Bezug zu den Angestellten und Einfluss auf Arbeitsbedingungen und Qualität zu haben. Laut Unternehmensangaben ist die Plantage als Mischkultur angelegt, um Biodiversität zu fördern und den Einsatz von Pestiziden zu verringern. Der Nachteil

Denen, die auf der Farm arbeiten, gehört kein eigenes Land, für das sie verantwortlich sind, sondern sie sind von Ritter Sport abhängig. Je nachdem wie das Unternehmen agiert, kann das ein Vor- oder Nachteil sein.

Auch andere Firmen haben ihre eigenen Projekte und Förderprogramme. Ohne Siegel werden diese allerdings nicht unabhängig überprüft. Als Kundin bin ich also auf die Angaben des Unternehmens angewiesen – und deren PR-Abteilung kann im Zweifel viel erzählen.

Der Wunsch nach ethisch und ökologisch produzierter Schokolade sei in den letzten 20 Jahren in Europa gewachsen, ist Gerrit Wiezoreck, Geschäftsführer des Bio-Schokoladenunternehmens EcoFinia überzeugt: “Der generelle Trend zur Nachhaltigkeit in Europa führt dazu, dass in den letzten fünf Jahren auch immer mehr konventionelle Hersteller und Discount-Marken mehr Fairtrade- und Bio-Schokolade rausbringen. Das ist erstmal eine sehr positive Entwicklung.”

PROTEST DER OSTERHASEN

Mit den individuellen Kaufentscheidungen für teurere, weil zu faireren Preisen produzierte Schokolade allein ist es jedoch nicht getan: Es müsse sich auch weltpolitisch einiges ändern, fordert INKOTA. Dass der Bundestag im Jahr 2021 ein Lieferkettengesetz beschlossen hat, ist ein guter Anfang. So sind die Unternehmen ab 2023 dafür verantwortlich, Menschenrechtsverletzungen in ihrer Lieferkette zu analysieren und zu bekämpfen. Allerdings greift das Gesetz vielen noch nicht weit genug. Wer von Menschenrechtsverletzungen betroffen ist, kann noch nicht vor deutschen Gerichten dagegen klagen, bemängelt INKOTA zum Beispiel. Das wäre aber wichtig, um das Gesetz auch wirklich konsequent durchzusetzen. Die marktbeherrschenden Konzerne müssen stärker in die Pflicht genommen werden.

In Ghana und an der Elfenbeinküste sorgt INKOTA schon dafür, dass sich Kakaobauern und -bäuerinnen vernetzen, Informationen weitergeben und dadurch ihre Verhandlungsbasis gegenüber den Konzernen stärken. Zu Ostern hat das Netzwerk eine Aktion organisiert, bei der Engagierte aus über 30 Gruppen als Osterhasen verkleidet mit Protest-Schildern durch Fußgängerzonen zogen. Passanten und Passantinnen sollten erfahren, wie viel Armut und Kinderarbeit in konventioneller Schokolade steckt. Zudem wurden Postkarten verteilt, die an die Unternehmen geschickt werden konnten. Die Vorlage für eine digitale Postkarte steht auf der INKOTA-Webseite zur Verfügung.

Ich finde, gerade bei einem Genussmittel wie Schokolade zählt Klasse statt Masse. Mir Billig-Schokolade auf der Zunge zergehen zu lassen, während ich weiß, dass womöglich Kinder dafür schuften mussten und die westafrikanischen Kleinbauernfamilien in Armut leben, klingt für mich einfach falsch. Existenzsichernde Löhne sind nicht alles, aber mit existenzsichernden Löhnen fängt alles an – damit in Zukunft das einzig Bittere am Kakao sein Geschmack ist.

Marie Gundlach studiert Datenjournalismus und hat während der Recherche eine neue Lieblingsschokolade entdeckt.

 

Familie sortiert Müll zum recyclen. Symbolbild: Getty Images / ArtMarie / Getty Images / E+

Bio-Siegel im Plastikbecher? Wie eine Familie versucht, nachhaltig zu leben

Alles fing mit dem Müll an: Annika berichtet, wie sie mit ihrer fünfköpfigen Familie begann, nachhaltig zu leben und dass ihre Kinder auswärts trotzdem eine Bratwurst essen dürfen.

Jeden Monat, wenn ich unsere vollen gelben Säcke an die Straße stelle, muss ich an eine gute Freundin denken, die mir eigentlich sehr ähnlich ist. Was uns unterscheidet: die Menge des Verpackungsmülls, den unsere Familien im Laufe von vier Wochen produzieren. Während ich drei pralle Säcke – geschickt geschichtet – über den Hof trage, ist es bei ihr ein einziger. Bewundernswert! Würden wir den Inhalt unserer Säcke vergleichen, könnten wir lange über Kaufentscheidungen und Kompromisse, Überzeugungen und Ausnahmen philosophieren.

Woran misst sich ein erfolgreich nachhaltiges Leben? Sicher nicht allein an der Menge des Plastikmülls. Aber mit der Müllfrage begann unser eigener Weg als fünfköpfige Familie. Mein Mann erzählte eines Tages von einer Frau, die doch tatsächlich nur ein Schraubglas Restmüll pro Jahr produziere. Das konnte doch wohl nicht mit rechten Dingen zugehen? Doch tatsächlich: Es gab schon eine weltweite Zero-Waste-Bewegung. Davon angefixt begannen wir, unsere Küche mit kritischen Augen zu betrachten: so viel unschönes Plastik, das aus Erdöl besteht, Giftstoffe enthält und erst in Hunderten Jahren verrottet! Unser Ehrgeiz war geweckt.

Was kann man eigentlich in Großpackungen kaufen oder gleich unverpackt? Die Realität brachte ernüchternde Erkenntnisse mit sich: Krass, wie teuer Unverpacktläden sind! Wir probierten ein paar der Tausenden Rezepte und DIY-Ideen für selbstgemachtes Waschmittel aus – und hatten immer noch dreckige Kleidung. Doch wir verzeichneten auch Erfolge: Feste Seife gibt’s nun nicht mehr nur bei Oma auf dem Klo, die funktioniert auch bei uns. Brötchen bekommt man im eigenen Stoffbeutel ausgehändigt, wenn man lieb fragt. Den kaputten Fön kann man sogar reparieren, der muss gar nicht weg.

IMMER MEHR FRAGEN

Einmal angefangen, ließen sich die Fragen gar nicht abstellen: Gibt es auch Leuchtstoffröhren mit LED? (Ja!) Wollen wir, dass für unser Schnitzel der Regenwald abgeholzt wird? (Nein!) Brauche ich wirklich dieses neue Oberteil? (Dieses nicht, ich suche lieber eins bei Ebay-Kleinanzeigen.)

Wo investiert meine Bank eigentlich ihr Geld? (Das muss ich mal recherchieren.) Nützt es, Petitionen zu unterschreiben, Dinge gebraucht zu kaufen – und wie minimalistisch kann man mit Kindern leben? (Wenn wir es nicht ausprobieren, werden wir es wohl nie erfahren …).

Mit einem Reigen solcher Fragen begann unser Weg, den wir bis heute gemeinsam überzeugt und neugierig gehen. Zugegeben: Zwischendurch verlieren wir immer mal wieder den Glauben daran, irgendwas ausrichten zu können. Aber inzwischen wissen wir: Das geht vielen anderen genauso und gehört wohl zu diesem Weg dazu.

MEIST GEBRAUCHT, SELTEN NEU

Mittlerweile kaufen wir eigentlich (fast) alles gebraucht. Aus ökologischen wie finanziellen Gründen. Wenn unsere Jungs Wünsche haben, schlagen sie schon von sich aus vor, wir könnten doch mal nach einer Ebay-Anzeige gucken. Unsere Kinder sind in einem Alter, in dem sie noch dankbar anziehen, was der Postbote ihnen von unseren Gebraucht-Käufen so bringt. Die Auswahl an passenden, bezahlbaren und gleichzeitig modischen Stücken ist schier riesig. Bei uns selbst sieht das schon anders aus. Die größte Herausforderung sind da gut sitzende Hosen. Ich kenne inzwischen die Markenjeans in der richtigen Größe, die mir passen und die ich gebraucht finde. Für meinen Mann sind gebrauchte Hosen eher ein Glücksspiel, sodass er gern mit dem Argument um die Ecke kam, man müsse doch auch die hippen nachhaltigen Modelabel unterstützen. Aber als wir feststellten, dass man für deren Jeans dreistellige Beträge ausgeben muss, winkten wir ab.

Manchmal entscheiden wir uns auch für neue Stücke. Fürs dritte Kind gabs doch nochmal einen neuen Autositz – der kann schließlich in der Familie noch weitergegeben werden. Einen Buggy haben wir gleich mitgenommen – toll, wie klein man ihn zusammenklappen kann. Nochmal die Stoffwindeln rausholen? War uns inzwischen viel zu stressig. Als wir dringend mal wieder tiefe Teller brauchten, schien sich der Kleinanzeigenmarkt auf entrümpelte Waren aus Seniorenwohnungen konzentriert zu haben. Und mein Mann – Herr unserer Küche – möchte sich bei Küchenmaschine, Pfanne und Co. gerne auf die Herstellergarantie verlassen.

Und damit sind wir schon beim Einkaufsdilemma. Hier kann jeder ein Wörtchen mitreden, der schonmal mit einer Einkaufsliste einen Supermarkt betreten hat. Deutsche Äpfel aus dem Kühlhaus oder die aus Neuseeland? Bio-Gurke eingeschweißt oder konventionell unverpackt? Joghurt im Pfandglas oder Bio-Qualität im Becher? Konsumfragen für Fortgeschrittene: Ist beim Pflanzendrink die Verpackung egal, weil für ihn weniger CO2 produziert wird als für Kuhmilch? Wie regional muss meine Glaspfandflasche wiederbefüllt werden, um klimaneutral zu sein? Welches Bio-Siegel unterstützt zugleich kleinbäuerliche Strukturen?

Ich glaube, es gibt kein Richtig oder Falsch, sondern allenfalls ein Besser oder Für-heute-gut-genug. Wichtig ist uns in all dem zu fragen: Welche Ziele verfolgen wir? Was passt zu uns als Familie, zu unseren Möglichkeiten, zu unserer Zeit, zu unserem Geldbeutel? Wo machen wir (noch) Abstriche und was könnte ein nächster Schritt sein?

KINDER MIT INS BOOT HOLEN

Regelmäßig packt mein Mann dann also nach dem Einkaufen alle gut durchdachten Kaufentscheidungen in unseren alten Verbrenner und fährt den einen Kilometer nach Hause. Ja, den Fahrradanhänger hätte er auch nehmen können. Dann hätten wir aber die Babyschale ausbauen müssen und es war außerdem schon spät und … da sind sie dann, die Anmerkungen unseres ökologischen Gewissens. So sehr wir uns bemühen, der perfekte Lebensstil liegt in weiter Ferne. Neulich haben wir mit unserer Großfamilie ein Wochenende im Allgäu verbracht, weniger als drei Stunden entfernt. Wir hatten eine wunderschöne Zeit und fragten die Jungs auf der Heimfahrt, wie sie den Urlaub fanden. „Nicht so gut“, antwortete der Fünfjährige, „weil so viel Autofahren die Erde kaputt macht.“ Ups.

Wir bemühen uns, so wenig Auto zu fahren wie möglich, aber nach wie vor besitzen wir eins. Die täglichen Fahrten zur Arbeit, in die Schule und zum Kindergarten erledigen wir mit dem Rad. Die drei Kilometer Schulweg legt unser Großer ebenfalls mit seinem neuen Rad zurück. Ein gebrauchtes wäre billiger gewesen. Die Entscheidung fiel dann aber nicht nur wegen des geringen Angebots auf ein Neues, sondern vor allem, weil es möglichst leicht und genau passend für ihn sein sollte. Wir finden: Wenn die Kinder unsere Mobilitätsentscheidungen gerne mittragen sollen, müssen wir es ihnen auch leicht machen. So fördern wir nicht nur das Verständnis für ökologische Zusammenhänge und die Folgen unserer Entscheidungen, sondern erhoffen uns auch langfristige Nachahmer. Für alle Bereiche unseres Familienalltags gilt: Wir müssen unsere Kinder mit ins Boot holen.

WAS AUF DEM TELLER LANDET

Das gilt im Besonderen auch für unsere Ernährungsform. Wir bezeichnen uns als „Heimveganer“. Wo wir die Möglichkeiten haben, selbst zu bestimmen, essen wir aus Klimaschutz- und Tierwohlgründen vegan. Das hat sich zunächst sehr revolutionär angefühlt und wir haben viel Zeit damit verbracht, über Nährstoffe und Rezeptideen zu sprechen. Ein Jahr später muss ich wirklich nachdenken, was ich überhaupt noch mit Fleisch zubereiten würde. Skeptischen Lesern und Leserinnen kann ich versichern, dass alle unsere Blutwerte passen und unsere Kinderärztin Bescheid weiß. Unsere Kinder verstehen, warum wir daheim vegan essen und können gute Gründe dafür aufzählen. Oft sind sie auch stolz darauf. Aber bei Oma wünschen sie sich immer die Pfannkuchen mit ganz viel Ei und wenn wir zum Grillen eingeladen sind, ziehen die Würstchen sie magisch an. Die Nachbarinnen versorgen sie regelmäßig mit Vollmilchschokolade und wenn sie unbedingt Scheibenkäse essen wollen, kaufen wir ihnen ein veganes Ersatzprodukt, das wir sonst nicht im Haus hätten. Wir müssen nicht vollkommen leben und lieber besuchen wir Freunde, die für uns vegetarisch kochen, als dass wir nicht eingeladen werden. Wir werden mit unserem klimabewussten Familienleben nicht die Welt retten und es gibt Entscheidungen, die treffen wir bewusst nicht nachhaltig, denn Nachhaltigkeit soll nicht unsere Religion sein.

CRISTLICHER GLAUBE ALS ANTRIEB

Würde Jesus heute vegan leben? Bei Klimakrise und Artensterben? Das ist eine spannende Frage, die wir uns nicht zu beantworten trauen. Vielleicht würde er auch heute die Fische essen, die er selbst gefangen hat – so wie damals? Wer weiß? Unsere Entscheidungen auf dem Weg in möglichst große Nachhaltigkeit sind zumindest immer auch von unserem Glauben motiviert. Als Christen möchten wir unser Handeln nach biblischen Grundsätzen ausrichten. Die Bibel berichtet davon, dass Gott, direkt nachdem er Adam und Eva in den Garten Eden gesetzt hat, sie segnet und ihnen den Auftrag gibt, die Schöpfung zu bewahren. Leider sehe ich nur in wenigen christlichen Gemeinden, dass das Thema wirklich auf der Agenda steht. Sollten Christen hier nicht eigentlich mit gutem Beispiel vorangehen? Warum stehen Christen nicht in der ersten Reihe, wenn es um aktiven Klimaschutz geht? Wir als Familie fühlen uns durch all unsere Erfahrungen und hinzugewonnenen Erkenntnisse der letzten Jahre dazu berufen, unsere Verantwortung wahrzunehmen und Gottes wunderbare Schöpfung zu bewahren. Wir glauben, dass sich Gott auf vielerlei Weise bemerkbar macht. Die Art und Weise, wie wir auch unsere alltäglichen Entscheidungen treffen, soll unsere Wertschätzung gegenüber Gottes Fürsorge widerspiegeln.

Wo der Weg hingeht und welche Aufgaben uns – auch in unseren Berufen als Erzieher und Lehrerin – noch mitgegeben werden, wissen wir nicht. Wir sind zumindest schonmal einer Partei beigetreten und versuchen, unsere Kommune in dieser Hinsicht mitzugestalten. Und wenn wir wegen der Auswirkungen der Klimakrise mal wieder sehr niedergeschlagen sind, sehnen wir uns nach der perfekten Erde, die in der Bibel versprochen wird. Das schenkt uns Hoffnung und immer wieder die Zuversicht, dass die kleinen Schritte, die wir tun, nicht vergeblich sind.

Annika S. ist Grundschullehrerin. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder.

Larissa McMahon; Foto: Privat

Nachhaltigkeit: JA – Perfektionismus: NEIN! Warum es sich lohnt, dennoch damit anzufangen

Influencerin Larissa McMahon hat sich entschieden, nachhaltig zu leben. Sie berichtet von dem Leistungsdruck und warum sie sich entschieden hat, nicht perfekt sein zu müssen.

Ich bin seit über 14 Jahren auf Social Media aktiv. Ich habe jede Plattform ausprobiert: Facebook, YouTube, Podcast, Blog und Instagram. In den letzten Jahren habe ich mich verstärkt auf Instagram konzentriert und bin nun seit einigen Monaten als Influencerin selbstständig.

Dabei haben sich meine Inhalte immer mit mir verändert. Angefangen hat alles mit Mode und Kosmetik. Heute dreht es sich um Minimalismus, Achtsamkeit und Nachhaltigkeit. Ich habe also eine große Veränderung durchgemacht. Dabei war es mir immer wichtig, meine Followerinnen und Follower mit an die Hand zu nehmen. Vor allem als ich feststellte, wie viel das Thema Nachhaltigkeit auch mit meinem christlichen Glauben zu tun hat, brannte mir das Thema noch mehr auf dem Herzen.

So nachhaltig wie möglich

Meine Inhalte zeigen also konkret, was ich in meinem Leben verändere. Dass ich Naturkosmetik benutze, im Unverpacktladen einkaufe, meine Kleidung auf 33 Teile beschränke oder hauptsächlich vegan koche. Ich rufe dazu auf, das eigene Denken und Handeln zu hinterfragen. Ich setze mich für Naturschutz ein und erkläre, warum es wichtig ist, achtsam und bewusst zu leben. Das mache ich nun schon einige Jahre. Am Anfang meiner Reise in ein nachhaltiges Leben hat mir das viel Spaß gemacht. Denn ich habe selbst alles ausprobieren müssen und meine Alternativen gesucht. Heute bin ich, was das Thema Nachhaltigkeit angeht, schon sehr weit und habe vieles verändert.

Aber da ist ja noch das Internet, die Öffentlichkeit. Meine Inhalte sind für jeden zugänglich. Das heißt: Ich setze mich jeden Tag mit der Meinung fremder Menschen auseinander. Mein Postfach ist wie eine Wundertüte: Ich weiß nie, was ich bekomme. Nachrichten und Kommentare lassen mich nicht unberührt. Außerdem sehe ich mich selbst in großer Verantwortung, was meine Inhalte angeht. Ich halte nicht alles in die Kamera. Es muss so nachhaltig wie möglich sein.

Perfekt sein müssen

Dieser Gedanke hat sich irgendwann in meinem Kopf festgesetzt. Es muss so nachhaltig wie möglich sein. Ich habe bestimmte Dinge irgendwann nicht mehr gezeigt. Ich habe immer nur meine Seite des Frühstückstisches fotografiert. Die Seite, auf der keine Eier oder Schinken stehen. Ich habe nicht den Wocheneinkauf von Aldi gezeigt, oder dass ich dieses Jahr drei Teile bei H&M bestellt habe, obwohl ich mich aktiv für faire Mode ausspreche. Ich habe mich dafür geschämt und mich schlichtweg nicht getraut. Der Druck, den ich verspürt habe, war unfassbar groß. Dabei war es nicht nur Druck von außen, sondern auch Druck von innen. Ich hatte das Gefühl, perfekt sein zu müssen, um keinen Raum für Konfrontation zu bieten. Denn die habe ich schon bei so vielen anderen gesehen.

Greta Thunberg zum Beispiel bekam einen Shitstorm ab, weil ihr Toastbrot in Plastik verpackt war. Ich habe mal sehr lange mit einer Followerin diskutiert, weil ich Tomaten esse. Ich hatte eine unverpackte Bio-Tomate auf meinem Teller. Aber die Followerin warf mir vor, für meine Tomaten würden Sklaven arbeiten. Ich fragte sie damals, ob sie selbst denn komplett auf Tomaten verzichten würde. Ihre Antwort: Nein. Hinzukommt: Während ich mich damit befassen muss, dass meine unverpackte Bio-Tomate nicht nachhaltig genug ist, werden in anderen Ecken des Internets Influencer für Videos gefeiert, in denen sie zeigen, dass sie für zweitausend Euro Kleidung bei dem Super-Fast-Fashion-Konzern Shein gekauft haben. Andere werden dafür bewundert, dass sie mehrmals im Jahr nach Dubai fliegen, während ich mich dafür rechtfertigen muss, warum ich in meinem ausgebauten Van durch die Gegend fahre, um fliegen zu vermeiden. Es fällt mir sehr schwer, das zu verstehen.

Druck rausnehmen – Schubladendenken überwinden

An Menschen, die sich mit Nachhaltigkeit beschäftigen, werden Absolutheitsansprüche gestellt, die niemand erfüllen kann. Ich habe mich selbst gelabelt und in die Schublade Nachhaltigkeit gepackt. Sie wurde mir am Ende zu eng. Sie hat sich zu klein und unbequem angefühlt. Deswegen habe ich vor ein paar Wochen die Begriffe „Nachhaltigkeit“ und „Green“ aus meiner Profilbeschreibung gelöscht. Weil ich im Unverpacktladen einkaufe, für meinen Wocheneinkauf aber zu Aldi gehe. Weil mir Fair Fashion wichtig ist, ich dieses Jahr aber drei Teile bei H&M bestellt habe. Weil ich vegan bevorzuge und trotzdem manchmal vegetarisch esse. Weil ich mir selbst den Druck nehmen möchte.

Kleine Erfolge feiern

Ich möchte aus der Schublade Nachhaltigkeit raus und wieder Platz zum Atmen haben. Platz für Fehler. Platz zum Wachsen. Platz, um ich selbst zu sein. Ich möchte die kleinen Erfolge feiern, jeden Schritt Richtung Nachhaltigkeit mit einer Konfettikanone zelebrieren. Aus dem Du und Ich auf Social Media möchte ich wieder ein Wir machen. Denn wir müssen verstehen, dass jeder Mensch an einem anderen Punkt in seinem Leben steht. Dass wir unsere Ansprüche und Erwartungen nicht wie eine Blaupause auf andere übertragen können. Das ist nicht fair. Wir sollten mehr bei uns bleiben, statt auf andere zu schauen. Was können wir verändern, was macht uns Spaß, wo können wir motivieren und inspirieren? Das ist mein Plan für die Zukunft. Wieder mehr ich sein. Mit all meinen Ecken und Kanten. Mit all meinen Fragen und Zweifeln. Mit all meinen Erfolgen und Misserfolgen.

Larissa McMahon arbeitet als Social Media-Managerin, Texterin und Sinnfluencerin unter @larytales