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Die Wohngemeinschaft im "Offnigs Huus", Foto: Privat

Wer Hilfe braucht – darf bleiben: Florida und Christian leben einzigartiges Wohnmodell

Florida und Christian Zimmermann öffnen ihr Haus seit 16 Jahren für Menschen in Not. Zeitweise leben dort bis zu elf Personen gleichzeitig.

„Gestern rief uns ein Bekannter an, der in einer Krise steckt. Sofort haben wir ihm angeboten, bei uns einzuziehen“, erzählt Florida. „Wir haben ihm gleich ein Zimmer hergerichtet“, ergänzt ihr Mann Christian mit einem Elan, der klarmacht: Genau dafür lebt das Ehepaar seit 16 Jahren sein „Offnigs Huus“: damit Menschen, die das Bedürfnis haben, in Gemeinschaft zu leben, aufgefangen werden und einfach sein können.

Eigentlich Einzelgänger

„Ich war immer davon überzeugt, dass ich ein Einzelgänger bin“, sagt Christian, der auf dem Land aufgewachsen ist und zum Studium nach Bern zog. Florida, die im Libanon geboren ist und die eine bewegte Vergangenheit von Krieg, Flucht und Entwurzelung prägt, trieb schon immer die große Sehnsucht nach einem Zuhause an. Das erlebte sie zum einen in ihrer Pflegefamilie in der Schweiz und bei einer Hausgemeinschaft, in der sie als junge Erwachsene mitlebte. „Aber erst bei Jesus kam ich wirklich an, bei ihm fand meine Seele Heilung, Ruhe und Heimat“, erzählt sie. Durch ihre eigene Geschichte verspürte sie immer mehr den Wunsch, anderen Menschen ein Zuhause zu bieten – Menschen, die genauso wenig Geborgenheit erlebt hatten wie sie selbst.

Doch in Christian musste dieser Wunsch erst reifen. Seine Vorstellung für die Zukunft sah eher ein Einfamilienhaus mit zwei eigenen Kindern und Katzen vor. Florida überließ es als überzeugte Christin Gott, sie gemeinsam zu führen. „Dann stellte ich eines Tages fest, dass Christian viel mehr Leute in unsere Berner Innenstadtwohnung brachte als ich.“ Darauf angesprochen, begann es in Christian zu arbeiten. Tatsächlich genoss er die Gemeinschaft sehr. Sie beschlossen, in der Sache auf Gott zu vertrauen und beteten: „Wir möchten gerne unsere Türen öffnen. Zeig du uns, wie. Bring die Menschen zu uns. Wir sind offen.“

Eine erste Mitbewohnerin zieht ein

Wenige Wochen später klingelte bei ihnen eine verzweifelte Bekannte, die mit einer solchen Wucht von ihrer erschütternden Vergangenheit eingeholt wurde, dass Alleinsein undenkbar war. Florida und Christian nahmen sie ohne zu zögern auf. Sie sollte so lange bei ihnen bleiben, wie sie es brauchte. Es würden Jahre werden.

Wenig später kam über eine Bekannte eine weitere Jugendliche, die Stabilität und Gemeinschaft brauchte. Gerade da wurde im Haus eine kleine Wohnung frei, die dazugemietet werden konnte. Vier weitere Personen kamen innerhalb der nächsten knapp zwei Jahre hinzu – darunter auch Floridas Mutter, die aus dem Libanon in die Schweiz gekommen war. Sie mieteten weitere Wohnungen an. In der größten, in der auch Zimmermanns und zwei Jugendliche wohnten, fand das gemeinsame Leben statt.

Frauen fassen Vertrauen zu Christian

Diejenigen, die einzogen, waren oft Menschen, die von klein auf schwere Lasten und viel Verantwortung getragen hatten, die seelisch litten und hier bei Zimmermanns einen Ort fanden, an dem sie sich fallen lassen konnten. Meist brachen innerhalb kurzer Zeit Wunden der Vergangenheit auf. Florida begleitete sie durch die akuten Krisen, versuchte als einfühlsame Ansprechpartnerin, aber dann auch als klares Gegenüber beim Überwinden von destruktiven Mustern zu helfen. Christian war für etliche der jungen, tief verletzten Frauen der erste Mann, zu dem sie überhaupt Vertrauen aufbauen konnten. Viele fanden in der verbindlichen Gemeinschaft die verlässliche Familie, die sie nie gehabt hatten.

„Wären gleich am Anfang fünf Leute bei uns eingezogen, hätte ich es nicht gepackt“, gibt Christian zu. „Doch so, Schritt für Schritt, sind wir reingewachsen.“ Mit ihrer sprühenden Art ergänzt Florida: „Ja, wir hatten keinen Plan, kein Konzept. Wir haben es Gott überlassen, wen er zu uns bringt und ihm vertraut, dass dann immer Platz ist und wir die Menschen gut begleiten können.“

Nicht alle kommen mit dem Konzept zurecht

2008 konnte die Gemeinschaft in ein begehrtes Haus mit neun Zimmern und einer zusätzlichen Einliegerwohnung im oberen Stock ziehen. „Wieder hat Gott uns versorgt“, berichten die beiden begeistert. Mit dem Geld, das alle zur Miete beitragen können, dank Freunden, die finanziell das „Offnigs Huus“ mittrugen, sowie Spenden, die oft genau zur richtigen Zeit hereinkamen, konnte die Gemeinschaft ihren Unterhalt bestreiten. Zeitgleich fanden die ersten Wechsel der Besetzung statt: Einige der jungen Menschen verließen das Haus, um wieder auf eigenen Beinen im Leben zu stehen oder um zu heiraten.

Einzelne verließen das „Offnigs Huus“, weil sie sich der Gemeinschaft nicht mehr stellen wollten. „Wir leben schon einen hohen Anspruch an Kommunikation und Miteinander“, sagt Florida: Es gehe darum zu lernen, sich mitzuteilen, Konflikte auszutragen, für Fehler geradezustehen, Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen und Initiative zu ergreifen. Das bedeutet für jeden die Bereitschaft, an sich zu arbeiten, sich mit eingefahrenen Mustern auseinanderzusetzen und Korrektur anzunehmen. Ein Ja zu dieser Verbindlichkeit und Haltung ist Voraussetzung, um hier mitzuleben. Seit der Anfangsphase teilen alle Mitbewohner den Alltag intensiv miteinander, kochen gemeinsam, machen Filmabende und unternehmen Ausflüge oder Spaziergänge. Auch der Brunch am Sonntag gehört dazu und das samstagmorgendliche Putzen.

Glaube ist keine Voraussetzung

In den vergangenen 16 Jahren lebten 22 junge Frauen und Männer länger als ein Jahr in der Gemeinschaft. Weitere haben übergangsweise für einige Wochen oder Monate hier ein Zimmer bezogen. Seit 2009 gehört noch die eigene Tochter der Zimmermanns dazu. 2010, in der absoluten Hochphase des „Offnigs Huus“, lebten zeitweise elf Personen in der Gemeinschaft. Oft waren es Bekannte oder junge Frauen, mit denen Zimmermanns in der Jugendarbeit ihrer Gemeinde Beziehungen aufgebaut hatten, aber es stießen auch Menschen dazu, die über Mund-zu-Mund-Propaganda, über die Website und Artikel vom „Offnigs Huus“ hörten.

Der persönliche Glaube ist keine Voraussetzung zum Mitleben. „Aber man darf keine Abneigung gegen den Glauben haben, denn Jesus ist mittendrin“, erzählt Florida. Für sie selbst ist ihre Beziehung zu Gott nach wie vor eine große Motivation für das, was sie tut: „Ich blühe auf, wenn ich das Potenzial von Menschen sehe und dann mit Gott an der Seite helfen darf, es hervorzubringen. Ich möchte für Menschen da sein und es ist wunderschön zu erleben, wie ich mitten in meiner Berufung bin.“ Das bestätigt auch Christian mit Nachdruck. Während ich mit beiden rede und ihren Alltag miterlebe, staune ich, wie sehr sie im Gespräch, aber auch bei den alltäglichen Aufgaben harmonieren und sich als eingespieltes Team die Bälle zuwerfen.

Beziehung ist eine Herausforderung

Dass Dienen ihre Ausrichtung ist, zeigt sich auch in ihrer Beziehung. Mir wird klar, wie sehr sie für die Mitbewohner ein Vorbild im Miteinander und in der Kommunikation darstellen. „Dabei war und ist es eine der größten Herausforderungen, wie wir unsere Ehe pflegen“, sind sich die beiden einig. Gerade mal ein Jahr Zweisamkeit erlebte das junge Paar, bevor der erste Schützling einzog. Ab dann mussten sie sich regelmäßige Eheabende konsequent freikämpfen. Aber einfach mal ein Wochenende wegfahren war nicht drin. Auch sonst hatten sie keinerlei Privatsphäre, jeder Konflikt fand unter Beobachtung statt.

„Eine andere große Herausforderung ist, dass wir immer flexibel sein müssen, ständig ändert sich der Plan, den ich für eine Woche mache“, lacht Florida. Christian nickt. „Leben im dauerhaften Provisorium“ nennt er es. Die beiden geben schmunzelnd zu, dass sie eigentlich sehr strukturierte Menschen sind, die gerne planen. Aber wer mitten im Alltag offen sein will für Menschen, muss wohl bereit sein, Pläne auch wieder über den Haufen zu werfen.

Café schafft Gelegenheit für Gespräch

Menschen Zeit zu schenken, ist auch das Anliegen, das die beiden dazu motivierte, die Nachbarschaft zum Verweilen und Kaffeetrinken einzuladen – in ihrem „Kafi Uszyt“ (Café Auszeit). Es ist kein Café im klassischen Sinne, sondern an zwei Vormittagen und einem Nachmittag pro Woche ist einfach Zeit für Gespräche beim Kaffee, meist gibt es auch eine frische Waffel oder ein Stück Kuchen. Jeder aus Bremgarten ist willkommen – bislang wegen Corona nur in den Sommermonaten und draußen im Hof. Zusammen mit einer befreundeten Nachbarin und Mitbegründerin des Cafés bieten Florida und Christian einfach Gespräche an. „Es passiert viel zu selten, dass man zuhört und Zeit hat für sein Gegenüber“, ist Florida überzeugt, „und es ist unser Herz, genau das Menschen zu schenken.“

Andrea Specht arbeitet als Autorin und Lektorin und lebt mit ihrer Familie in Potsdam.

Floridas besondere Lebensgeschichte und den Weg zum „Offnigs Huus“ erzählen Florida Zimmermann und Andrea Specht im gerade erschienenen Buch „Durchbrecherin. Mein langer Weg nach Hause – mitten durch Terror, Selbstablehnung und Zerbruch“ (SCM Hänssler). Weitere Infos zum Projekt: offnigshuus.ch

Das Hausboot von Kerstin Hack, Foto: Privat

Hausboot: Kerstin ist auf dem Wasser daheim

Kerstin Hacks Haus liegt an der Spree vor Anker. Als Hauptwohnsitz kann sie es jedoch nicht nutzen – wegen der deutschen Bestimmungen.

Wer Kerstin Hack zu Hause besucht, sollte eines nicht sein: wasserscheu. Denn die Autorin, Verlegerin und Beraterin lebt in einem alten, 24 Meter langen umgebauten Marineschiff am Ufer der Spree in Berlin. Hier wohnt sie nicht nur, sondern bietet an Board auch Auszeiten für Menschen an, die zur Ruhe kommen und neue Perspektiven finden wollen. Es gefällt Kerstin Hack, täglich von Wasser umgeben zu sein: „Der Blick aus dem Fenster ist jeden Morgen anders. Mal ist das Wasser ruhig, mal sehr belebt. Mal sind viele Vögel und Boote unterwegs, manchmal ist es ganz still.“

Von einem Ort zum nächsten schippern kann Kerstin nicht: Ihr Boot hat keinen Motor mehr und ist somit fest an seinem Liegeplatz verankert. Dennoch gilt es rechtlich nicht als Immobilie und kann nur schwer als Hauptwohnsitz angemeldet werden. Kerstin hat daher offiziell einen anderen ersten Wohnsitz.

Liegeplatz ist schwer zu bekommen

Wer auf einem sogenannten „Floating Home“, einem auf dem Wasser gebauten Haus ohne eigenen Antrieb und mit festem Liegeplatz, seinen Erstwohnsitz anmelden möchte, benötigt zweierlei: eine Baugenehmigung wie bei einem Haus an Land auch und einen genehmigten Liegeplatz – die eher rar sind. Sich einen neuen genehmigen zu lassen, kann langwierig und kostenintensiv sein. Bei umgebauten „Traditionsschiffen“ ohne eigenen Antrieb wie in Kerstins Fall entfällt die Baugenehmigung, alle vier bis zehn Jahre muss das Schiff am Trockendeck auf die Schwimmfähigkeit überprüft werden.

Die Preise für wohntaugliche Hausboote variieren stark. Kleinere Boote mit 30 bis 40 Quadratmetern bekommt man ab etwa 70.000 Euro. Wer ein altes Traditionsschiff umbaut, kann deutlich Kosten sparen. Neben Versicherungen, Wartungen und Reparaturen müssen Liegeplatzgebühren bezahlt werden von etwa 20 Euro im Monat pro Meter Länge, also zwischen 2.000 und 6.000 Euro im Jahr. Nicht nur wer schnell seekrank wird, sollte das Leben auf einem Hausboot überdenken, man sollte auch nicht arbeitsscheu sein oder Platzangst haben, meint Kerstin. Sie selbst hat ihre Wohnform trotz zahlreicher Herausforderungen auf manchmal stürmischem Gewässer „keine Sekunde bereut“.

Mehr über Kerstin Hack ist unter kerstinhack.de zu finden.

Von Lisa-Maria Mehrkens

Symbolbild: Getty Images / E+ / imaginima

Tiny House: Tims Familie wohnt auf 25 Quadratmetern

Tim (Namen geändert) und seine Familie können ihr Haus wortwörtlich durch die Gegend fahren. Das Zusammenleben auf kleinstem Raum empfinden sie als unproblematisch.

Tim wohnt seit 2020 mit Frau, Kleinkind und zwei Katzen auf 25 Quadratmetern im Tiny House. Bereits in ihrer vorherigen Drei-Zimmer-Wohnung in der Großstadt beschlossen sie: „Zeit für die Kinder und Familie ist uns wichtiger als Karriere.“ So verkürzten sie ihre Arbeitszeiten. Ein traditionelles Haus ist auf diese Weise allerdings schwer finanzierbar. Tims Frau Anna träumte schon lange von einem Tiny House – und nach einem Wochenende Probewohnen war auch Tim überzeugt.

Als das Angebot kam, am selben Ort einen eigenen Tiny House-Stellplatz zu bekommen, griffen sie zu: „Irgendwann gingen uns die Argumente aus, warum wir es nicht tun sollten“, erzählen sie und sehen viele Vorteile: „Wir mussten uns bei der Bauplanung nicht auf einen Wohnort festlegen, obwohl wir was Eigenes haben wollten. Wir zahlen keine Miete mehr und sind dennoch flexibel. Für unser Haus reichte ein kleinerer Kredit aus, als für ein normales Haus notwendig gewesen wäre.“

Jeder Quadratmeter gut genutzt

Außerdem mache es ihnen Spaß, klein zu wohnen und kreative Lösungen zu finden: „Es ist toll, wie klug jeder Quadratmeter des Hauses genutzt wird. Es fühlt sich ein bisschen nach dauerhaftem Campingurlaub an – nur besser.“ Tim und Anna lieben es, in der Natur zu leben, viel draußen zu sein, Lagerfeuer zu machen – „und weniger Kram zu besitzen!“

Eine Schreinerei baute ein mobiles Häuschen auf Rädern, mit dem die beiden mittlerweile sogar schon ihren Wohnort gewechselt haben. Ohne großen Aufwand konnte es an einen anderen Ort geschafft werden. Damit gelten für sie rechtlich sogar zwei verschiedene Verordnungen: Um in ihrem Tiny House wohnen zu können, mussten sie einen Bauantrag stellen und unterliegen wie bei einem normalen Wohnhaus der Bauordnung des jeweiligen Bundeslandes. Sobald sie ihr Haus transportieren wollen, fällt es unter die Straßenverkehrsordnung und muss – wenn es fest mit dem Anhänger verbunden ist – als Wohnwagen zugelassen werden, sonst als Ladung.

Baugenehmigung ist Hürde

Die größte Hürde zum Traum vom Tiny House liegt oft in der Genehmigung des Bauantrags. Wichtig sei es, das zuständige Bauamt möglichst frühzeitig in das Projekt mit einzubeziehen: „Es ist sehr schade, wenn von dem Grundstück, der Umgebung alles passt, aber das geplante Haus irgendwelche Details mit sich bringt, die dann einer Genehmigung im Wege stehen.“

Die Kosten für ein solch kleines Zuhause sind sehr verschieden. Tim und Anna haben 2020 für ihr schlüsselfertiges Haus aus hochwertigen Materialien etwa 75.000 Euro bezahlt. Fertigbausätze gibt es ab rund 10.000 Euro. Hinzu kommen dann Eigenleistungen, Kosten für Dämmung und Innenausbau.

Vierstellig zu haben

Wer sein Tiny House – vielleicht sogar aus recycelten Baumaterialien – selbst baut und mit wenig zufrieden ist, kann sogar mit einem vierstelligen Betrag zurechtkommen. Wichtig für den Bau eines Tiny Houses: ein passendes Heiz- und Lüftungskonzept. Denn Luftfeuchtigkeit und Schimmelbildung sind immer ein Thema.

Das Zusammenleben auf so kleinem Raum hingegen findet Tim unproblematisch: „Wenn einer telefoniert, geht er bei gutem Wetter raus oder wir nutzen Kopfhörer. Vielleicht haben wir aber auch die Persönlichkeiten für ein Tiny House: Um uns nach einem Streit aus dem Weg zu gehen, brauchen wir nicht mehrere Räume.“

Einen großen Wocheneinkauf verstauen oder mehrere Leute einladen? Auch im Tiny House für die beiden kein Problem. Die kurzen Wege innerhalb des Hauses und ihre Tochter immer im Blick zu haben, sind für sie sogar Pluspunkte. Wieder in ein Steinhaus zu ziehen, könnten sich die beiden nicht vorstellen – „allein schon aufgrund des Raumklimas“. Mehr Platz allerdings ist geplant: Für ihre Tochter und eventuell weitere Kinder wollen Tim und Anna zukünftig noch ein weiteres Tiny House anbauen und so ihr kleines Wohnparadies erweitern.

Von Lisa-Maria Mehrkens

Die Jurte von innen, Foto: Pirmin Bertle

Pirmin lebt mit seiner Familie in einer Jurte

Pirmin Bertle hat sich wegen des besonderen Lichts in Jurten verliebt. Die Wohnung ist günstig – aber auch ein Graubereich.

Das türkische Wort yurt bedeutet Heim. Traditionell leben zentralasiatische Nomadenvölker in solchen schnell auf- und abbaubaren Zelten mit festem Gestell. Hierzulande bilden Holzgitter das Gerüst der runden Wohnjurten. Baumwollstoffe und Filz sorgen für eine gute Dämmung und Gemütlichkeit. Die Inneneinrichtung steht der einer traditionellen Wohnung in nichts nach.

Pirmin Bertle hat sich mit seiner Familie in das Leben in einer solchen Jurte verliebt. Der Profi-Kletterer hatte schon unter freiem Himmel, in Zelten und Wohnwagen in ganz Europa und in einem Bus in Südamerika gelebt, als er mit Frau und Kind das erste Mal in einem Jurtendorf übernachtete – und so begeistert war, dass sie als Familie gleich die letzte vorhandene Jurte kauften, aufbauten und dort einzogen.

30-mal günstiger als ein Haus

Nach einem Jahr waren es schon drei Jurten, jede fünf Meter im Durchmesser und von Pirmin selbst innerhalb von zwei Monaten aufgebaut. Jurten seien 30-mal günstiger als ein normales Haus, sagt Pirmin, dafür mit „theoretisch vielen rechtlich-gesellschaftlichen Hürden“ belegt. Sie spekulierten auf Duldung, mieteten auf einem größeren Hof ein Stück Land und stellten ihre Jurten dort auf.

Gegebenenfalls kann eine Jurte als sehr großes Zelt angesehen werden und gilt dann laut Bauordnung als „fliegender Bau“, also als architektonische Anlage, die an verschiedenen Orten mehrfach und zeitlich befristet aufgestellt und wieder abgebaut werden kann. Doch vor allem, wenn man eine größere Jurte als dauerhaften Hauptwohnsitz an einem Ort nutzen will, ist rechtlich eine Baugenehmigung nötig. Oft befindet sich die Nutzung in einer rechtlichen Grauzone.

Holz hacken im Schnee

Das Leben in einer Jurte hat seine Eigenheiten. Neben dem besonderen Licht sind es für Pirmin vor allem die „Nähe zum Himmel, zur Erde, zu den Pflanzen und Tieren, die mit uns diesen Ort teilen, die Leichtigkeit und Authentizität“, die diese Wohnform ausmachen. Und auch die damit verbundene Unmittelbarkeit schätzt er: Holz hacken im Schnee, um es warm zu haben. Tomaten mit eigenem Hühnermist düngen, um sie zu essen. „Das ist eine Kreislaufwirtschaft im Kleinen mit einem Heizbedarf von einem Fünftel, einem Strombedarf von einem Zehntel und einem Wasserbedarf von einem 25stel im Vergleich zum deutschen Durchschnittshaushalt“, erklärt Pirmin.

Auch die Anschaffungskosten für Jurten sind im Vergleich geradezu verschwindend gering: Laut Pirmin kosten wintertaugliche Jurten aus hochwertigen Materialien und mit viel Licht circa 3000 Euro pro Meter Durchmesser, wobei etwa ein Drittel der Kosten auf das Material entfällt. Komfortablere Wohnjurten mit Sanitärmodul und Heizung sind bereits für 10.000 bis 20.000 Euro zu haben.

Lebensqualität ist unübertroffen

Bereut hat Pirmin die Wahl seiner Behausung nie. Doch vor einem knappen Jahr beendete der Vermieter des alten Stellplatzes den Vertrag und Pirmins Jurten mussten weichen. Seitdem teilen er und seine Familie sich mit anderen ein Haus: Zehn Erwachsene und fünf Kinder leben hier zusammen.

Aufgeben will er das Jurtenleben aber nicht: Demnächst sollen wieder sechs Stück davon im Garten stehen, denn „die Lebensqualität ist in Jurten einfach unübertroffen.“ Pirmin plant, ein Unternehmen für den Jurtenbau zu gründen, um „die Idee des leichten Lebens“ zu verbreiten, wie er sagt, und natürlich: „Um mehr Menschen in den Genuss eines Rundzeltes zu bringen.“

Von Lisa-Maria Mehrkens